Dieter Schütz / pixelio.de
aus NZZ, 29. 1. 2014
Verifizieren und falsifizieren
Die Wissenschaft als selbstkorrigierendes System stärken
von Alan Niederer
Die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH will die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen in der Biomedizin erhöhen. Dazu schlägt sie konkrete Massnahmen vor.
Das Problem beschäftigt Wissenschaftsgemeinde und Öffentlichkeit gleichermassen: In der biomedizinischen Forschung lassen sich zu viele Ergebnisse nicht reproduzieren. Das wäre kein Problem, solange die falschen Resultate zeitig erkannt würden. Doch genau das ist oft nicht der Fall - mit der Folge, dass die Irrtümer lange «stehen bleiben» und so manche Nachfolgestudie am Menschen auf wissenschaftlich wackeligen Beinen steht. Dabei ist nicht etwa Forschungsbetrug das Hauptproblem, sondern Fehlentwicklungen im System. Um hier korrigierend einzugreifen, schlägt Francis Collin, Direktor der amerikanischen National Institutes of Health (NIH), in der Fachzeitschrift «Nature» konkrete Massnahmen vor.¹
Die Wissenschaft als selbstkorrigierendes System stärken
von Alan Niederer
Die amerikanische Gesundheitsbehörde NIH will die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen in der Biomedizin erhöhen. Dazu schlägt sie konkrete Massnahmen vor.
Das Problem beschäftigt Wissenschaftsgemeinde und Öffentlichkeit gleichermassen: In der biomedizinischen Forschung lassen sich zu viele Ergebnisse nicht reproduzieren. Das wäre kein Problem, solange die falschen Resultate zeitig erkannt würden. Doch genau das ist oft nicht der Fall - mit der Folge, dass die Irrtümer lange «stehen bleiben» und so manche Nachfolgestudie am Menschen auf wissenschaftlich wackeligen Beinen steht. Dabei ist nicht etwa Forschungsbetrug das Hauptproblem, sondern Fehlentwicklungen im System. Um hier korrigierend einzugreifen, schlägt Francis Collin, Direktor der amerikanischen National Institutes of Health (NIH), in der Fachzeitschrift «Nature» konkrete Massnahmen vor.¹
Heikle Tierexperimente
So sollen die von den NIH
unterstützten Wissenschafter künftig einen obligatorischen Kurs in
Forschungsmethodik absolvieren müssen. Ein Schwerpunkt werde dabei auf
dem Planen, Durchführen, Auswerten und Rapportieren von Labor- und
Tierexperimenten liegen. Diese Tätigkeiten sind für Projekte in der
sogenannten präklinischen Phase zentral. Laut Collins ist diese
Studienphase besonders anfällig für nichtreproduzierbare Ergebnisse.
Dies deshalb, weil Arbeiten zur gleichen Frage oft mit verschiedenen
Tierstämmen und bei variierenden Umgebungsbedingungen durchgeführt
würden. Viele Forscher würden zudem eine «geheime Sauce» einsetzen, um
ihr Experiment zum Laufen zu bringen. Dies alles erschwert eine spätere
Verifizierung oder Falsifizierung der Ergebnisse durch andere Forscher.
Um das «Nachkochen» der
Experimente zu erleichtern, sollen künftig wichtige Details zur
Versuchsanordnung und relevante Rohdaten publiziert werden, so eine
weitere Forderung des NIH-Chefs. Hier müssten aber auch die Fachjournale
Hand bieten. Diese räumten noch immer dem Methodik-Teil zu wenig Platz
ein, so Collins. Wichtiger als Studiendetails sei vielen Herausgebern
die Brisanz der Ergebnisse. Diese Tendenz sei der wissenschaftlichen
Qualität nicht förderlich.
Die NIH suchen auch nach Wegen, um
den «Peer-Review»-Prozess, also die Begutachtung von Projekten durch
anerkannte Fachkollegen, zu anonymisieren. Damit sollen unbewusste
Voreingenommenheit und Befangenheit verhindert werden. Mit «PubMed
Commons» soll zudem eine neue Online-Plattform entstehen, auf der
Forscher über publizierte Arbeiten diskutieren können.
Falsche Anreizsysteme
Das grösste Problem im
Forschungsbetrieb sei allerdings das Anreizsystem, schreibt Collins
weiter. So würden Universitäten und Förderagenturen bei ihren
Entscheiden noch immer zu stark auf die reine Anzahl an Publikationen in
hochrangigen Journalen abstellen. Hier gelte es, neue Kriterien zu
finden, um die Qualität und Bedeutung von Forschungsprojekten zu
beurteilen. An den NIH soll dazu das von den Forschern auszufüllende
Antragsformular so abgeändert werden, dass die Begutachter rasch
erkennen können, was der wissenschaftliche Beitrag einer
Forschungsarbeit ist. Mit all diesen Massnahmen soll die Wissenschaft
als selbstkorrigierendes System gestärkt werden.
¹ Nature 505, 612/613 (2014).
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