Alexander von Humboldt
Überschätzter Universalgelehrter
Eine neue Biografie verklärt den Naturforscher. Aber Humboldt irrte sich in manchem, und sein Einfluss auf die moderne Wissenschaft ist überschaubar.
Matthias Glaubrecht
Alexander
von Humboldt (1769–1859) gilt als der moderne Forscher schlechthin und
zugleich als der letzte große Universalgelehrte. Als erster
Umweltaktivist und als Weltreisender und Weltbürger. Ein Superstar der Wissenschaft,
dabei charismatisch, spitzzüngig und voller Grandeur. Fast alles an
biologischen Disziplinen hat er angeblich angestoßen, die Ozeanografie,
Pflanzengeografie und Ökologie in jedem Fall.
Als er 1802 am Chimborazo in Ecuador die Vegetationszonen durchquerte, die sich höhenbedingt wie abwechselnde Gürtel um den erloschenen Vulkankegel legten, begann seine Umgebung plötzlich auf ihn zu wirken, heißt es in der neuen Biografie von Andrea Wulf über den Gelehrten. Noch nie habe jemand Pflanzen so betrachtet. Er habe sie nicht als Bestandteile eines Klassifikationssystems registriert, sondern als Lebensformen eines bestimmten Standorts und Klimas. „Als Alexander von Humboldt nun am vermeintlich höchsten Punkt der Welt stand und auf die Bergketten schaute, die sich unter ihm ausbreiteten, begann er, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Die Erde erschien ihm als ein riesiger Organismus, in dem alles mit allem in Verbindung stand. Eine mutige, neue Sicht der Natur, die noch immer beeinflusst, wie wir heute unsere Umwelt sehen und begreifen.“
Bei Humboldt ist alles bio, öko, global und nachhaltig sowieso
Humboldt erkannte die Natur als „globale Kraft“, prägte unser Verständnis von Ökosystemen; er sei zudem der Begründer der Naturschutzbewegung und habe bereits vor zwei Jahrhunderten vor dem menschengemachten Klimawandel gewarnt. Behauptet Andrea Wulf. Bei ihr ist alles an Humboldt bio und öko, ganzheitlich und nachhaltig, global ohnehin. Humboldt habe „die Natur erfunden“ und mit seiner Vorstellung der Erde als einem einzigen Organismus der Gaia-Theorie um mehr als ein Jahrhundert vorgegriffen. Beinahe könnte man angesichts seiner zehntausendfachen Briefkorrespondenz glauben, er habe sogar das Internet vorausgedacht und die Globalisierung vorweggenommen. Alles ist Humboldt und Humboldt alles. Nie geht es eine Nummer kleiner.
Zugegeben: Nach Humboldt sind mehr Orte auf Erden benannt als nach irgendeinem anderen Forscher; beinahe hätte in den USA einst sogar der Bundesstaat Nevada den Namen des preußischen Gelehrten bekommen. Humboldt war seinerzeit allseits bekannt, wohl der berühmteste und fraglos einer der einflussreichsten Wissenschaftler, ein Kosmopolit von internationalem Rang.
Zugegeben auch: Mit seiner Geografie der Pflanzen – zusammenfassend dargestellt in seinem „Naturgemälde der Anden“, dem bekannten Querschnitt durch das Andenprofil mit horizontal gestaffelten Vegetationszonen – machte Alexander von Humboldt die Pflanzengeografie populär und trug zur späteren Begründung der Ökologie bei. Mit seiner stilbildenden Darstellung vom Andenvulkan Chimborazo wollte Humboldt nicht nur neue Arten, sondern vielmehr das harmonische Zusammenwirken physikalischer Faktoren und regional verschiedener Organismengruppen beschreiben. Er hat damit die Grundlage für unser Verständnis einer vernetzten Umwelt gelegt.
Für den preußischen Naturforscher hing alles mit allem zusammen
Humboldt begriff die Natur als Kosmos, in dem vom Winzigsten bis zum Größten alles miteinander verbunden ist. Die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Susan Faye Cannon hat diese Sichtweise bereits 1978 als „Humboldtian Science“ bezeichnet, mit der neben empirischer Forschung auch eine neue Gesamtschau in die Naturkunde einzog.
Zwar hat die Kartografie der Pflanzenverbreitung ihre meist unterschlagenen Vorläufer. Doch waren Humboldts Aufzeichnungen einst derart präzise, dass sich damit unlängst minutiös die klimabedingte Höhenverschiebung der Pflanzenwelt um bis zu 500 Meter gipfelwärts nachweisen ließ. Und kein Zweifel: Humboldt war ein weitläufig gelehrter kritischer Intellektueller, der mit seinem Wissensnetzwerk die Tradition der französischen Aufklärung fortsetzte und sein in der Wissenschaft erworbenes Renommee wissenschafts- und kulturpolitisch über Preußen hinaus geltend machte.
Doch bei aller Verehrung – Humboldt wird maßlos überschätzt. Wulfs neue Biografie ist seltsam unzeitgemäß. Dass viel vom Gedankengut der Humboldt-Zeit noch immer allein ihm zugeschrieben wird, zeugt von einem hagiografischen Personenkult (wie ihn gerade auch die deutsche Akademie-Forschung betreibt). Humboldt wird nicht nur als Initiator beinahe aller naturkundlichen Disziplinen idealisiert, der durch seine Forschungs- und Denkanstöße bis heute unser Verständnis der Umwelt geprägt habe. Einmal mehr wird er als volksaufklärender „Weltwissenschaftler“, als „mobiler Forschungsreisender rund um die Welt“ und als Leitbild der Globalisierung stilisiert.
Die studierte Kunsthistorikerin und Journalistin Andrea Wulf hat ihre im vergangenen Jahr in den USA und England erschienene und sehr erfolgreiche Biografie „The Invention of Nature. The Adventures of Alexander von Humboldt“ vor allem für den angloamerikanischen Leser geschrieben. Dem ist Humboldt weit weniger vertraut als dem in Lateinamerika oder in seinem Heimatland. So sehr sich Humboldt mithin dort als vergessene Forscher-Ikone wiederentdecken ließ, so wenig angemessen ist dieser Anspruch hierzulande.
Dabei ist Wulfs Biografie keine runde Lebensgeschichte im eigentlichen Sinne. So unterhaltsam sich ihre Reise auf den Spuren ihres Helden zu den Schauplätzen der Humboldtschen Wissenschaft liest, an vielen wichtigen Stationen seines Lebens zeigt sie wenig Interesse. Einige Episoden werden breit dargelegt, dagegen schnurren andere Jahre auf wenige Zeilen zusammen. Entscheidend aber ist, dass Humboldts Ideen zum einen wichtige, bislang weitgehend unbekannt gebliebene Wurzeln haben, die auch Wulf nicht erwähnt. Zum anderen waren viele seiner Ideen keineswegs derart wirkungsmächtig, wie Wulf uns glauben machen will. Während Historiker beginnen, sich kritisch mit dem preußischen Gelehrten und seiner Epoche der „Humboldtian Science“ zu befassen, bedient Andrea Wulf eine aus der Zeit gefallene Wissenschaftsgeschichte, die nur Gipfel kennt, keine Gebirgsketten.
Natur als ewige Harmonie statt als steter Wandel
Humboldt hat tatsächlich bereits um 1800 die Umweltfolgen von Abholzung und Monokultur in Venezuela gesehen und davor gewarnt, dass Menschen ihre unmittelbare Umwelt zerstören, weil dies eine – wie wir heute sagen – ökologische Kettenreaktion auslöse, mit Auswirkungen auf kommende Generationen. „Alles ist Wechselwirkung“, schrieb Humboldt. Aber ein nennenswerter Einfluss auf die heutige Wissenschaft, die sich mit den globalen Konsequenzen des Klimawandels beschäftigt, darf getrost bezweifelt werden.
Humboldt war rückwärtsgewandt und in vielem noch sehr der Goethezeit verhaftet. Als Wissenschaftler wollte er die Natur einerseits vermessen, andererseits glaubte er, dass sie mit allen Sinnen zu erfahren sei. „Die Natur muss gefühlt werden“, schrieb er an Goethe, der ebenfalls überzeugt war, dass man die Natur nur so vollkommen verstehen könne. Humboldt beschrieb sie poetisch wie ein Dichter und stellte sie illuster wie ein Maler dar.
Auch lässt Wulf unter den Tisch fallen, wie grundlegend Humboldts Naturverständnis spätestens in seinem Todesjahr 1859, als Darwins epochales Werk „Über den Ursprung der Arten“ erschien, von dessen Theorie der Evolution durch natürliche Selektion abgelöst wurde. Statt natürlicher Harmonie des Kosmos, einer „Wohlgeordnetheit“ der Welt, sehen wir seitdem eine dynamische und sich stetig wandelnde, vor allem aber eine unerbittlich auslesende Natur. Humboldts Zeitgenosse Thomas Jefferson konnte noch behaupten, „die Haushaltung der Natur“ sei derart beschaffen, dass sie noch nie „eine ihrer Tierarten hätte aussterben lassen oder irgendein Glied ihrer großen Kette so schwach gebildet hätte, dass es zerbrochen wäre“. Mit Darwin wurde das Erlöschen der Arten so selbstverständlich wie die Entstehung neuer Arten durch natürliche Zuchtwahl. Und so angenehm uns mit Humboldt der Gedanke ist, es gäbe diese Harmonie in der Natur und der Mensch habe einstmals in Harmonie mit ihr gelebt – das eine wie das andere ist höchst zweifelhaft.
Statt einer Heroisierung Humboldts wird es Zeit, die geläufigen Erzählmuster seiner Biografie aufzubrechen und zu erkennen, dass der kosmische Ansatz von Humboldts Naturverständnis nicht zukunftsfähig war und sein Weltbild längst veraltet ist. Andrea Wulfs „Erfindung der Natur“ ist, nach der überzeichneten Romanfigur Kehlmanns, die weitere Erfindung eines Humboldt, den es so nicht gab. Den wahren Humboldt zu entdecken bleibt die Herausforderung.
Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. Aus dem Englischen von Hainer Kober. C. Bertelsmann, München 2016. 556 S., 24,99 €.
Der Autor ist Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde der Universität in Hamburg.
Als er 1802 am Chimborazo in Ecuador die Vegetationszonen durchquerte, die sich höhenbedingt wie abwechselnde Gürtel um den erloschenen Vulkankegel legten, begann seine Umgebung plötzlich auf ihn zu wirken, heißt es in der neuen Biografie von Andrea Wulf über den Gelehrten. Noch nie habe jemand Pflanzen so betrachtet. Er habe sie nicht als Bestandteile eines Klassifikationssystems registriert, sondern als Lebensformen eines bestimmten Standorts und Klimas. „Als Alexander von Humboldt nun am vermeintlich höchsten Punkt der Welt stand und auf die Bergketten schaute, die sich unter ihm ausbreiteten, begann er, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Die Erde erschien ihm als ein riesiger Organismus, in dem alles mit allem in Verbindung stand. Eine mutige, neue Sicht der Natur, die noch immer beeinflusst, wie wir heute unsere Umwelt sehen und begreifen.“
Bei Humboldt ist alles bio, öko, global und nachhaltig sowieso
Humboldt erkannte die Natur als „globale Kraft“, prägte unser Verständnis von Ökosystemen; er sei zudem der Begründer der Naturschutzbewegung und habe bereits vor zwei Jahrhunderten vor dem menschengemachten Klimawandel gewarnt. Behauptet Andrea Wulf. Bei ihr ist alles an Humboldt bio und öko, ganzheitlich und nachhaltig, global ohnehin. Humboldt habe „die Natur erfunden“ und mit seiner Vorstellung der Erde als einem einzigen Organismus der Gaia-Theorie um mehr als ein Jahrhundert vorgegriffen. Beinahe könnte man angesichts seiner zehntausendfachen Briefkorrespondenz glauben, er habe sogar das Internet vorausgedacht und die Globalisierung vorweggenommen. Alles ist Humboldt und Humboldt alles. Nie geht es eine Nummer kleiner.
Zugegeben: Nach Humboldt sind mehr Orte auf Erden benannt als nach irgendeinem anderen Forscher; beinahe hätte in den USA einst sogar der Bundesstaat Nevada den Namen des preußischen Gelehrten bekommen. Humboldt war seinerzeit allseits bekannt, wohl der berühmteste und fraglos einer der einflussreichsten Wissenschaftler, ein Kosmopolit von internationalem Rang.
Zugegeben auch: Mit seiner Geografie der Pflanzen – zusammenfassend dargestellt in seinem „Naturgemälde der Anden“, dem bekannten Querschnitt durch das Andenprofil mit horizontal gestaffelten Vegetationszonen – machte Alexander von Humboldt die Pflanzengeografie populär und trug zur späteren Begründung der Ökologie bei. Mit seiner stilbildenden Darstellung vom Andenvulkan Chimborazo wollte Humboldt nicht nur neue Arten, sondern vielmehr das harmonische Zusammenwirken physikalischer Faktoren und regional verschiedener Organismengruppen beschreiben. Er hat damit die Grundlage für unser Verständnis einer vernetzten Umwelt gelegt.
Für den preußischen Naturforscher hing alles mit allem zusammen
Humboldt begriff die Natur als Kosmos, in dem vom Winzigsten bis zum Größten alles miteinander verbunden ist. Die amerikanische Wissenschaftshistorikerin Susan Faye Cannon hat diese Sichtweise bereits 1978 als „Humboldtian Science“ bezeichnet, mit der neben empirischer Forschung auch eine neue Gesamtschau in die Naturkunde einzog.
Zwar hat die Kartografie der Pflanzenverbreitung ihre meist unterschlagenen Vorläufer. Doch waren Humboldts Aufzeichnungen einst derart präzise, dass sich damit unlängst minutiös die klimabedingte Höhenverschiebung der Pflanzenwelt um bis zu 500 Meter gipfelwärts nachweisen ließ. Und kein Zweifel: Humboldt war ein weitläufig gelehrter kritischer Intellektueller, der mit seinem Wissensnetzwerk die Tradition der französischen Aufklärung fortsetzte und sein in der Wissenschaft erworbenes Renommee wissenschafts- und kulturpolitisch über Preußen hinaus geltend machte.
Doch bei aller Verehrung – Humboldt wird maßlos überschätzt. Wulfs neue Biografie ist seltsam unzeitgemäß. Dass viel vom Gedankengut der Humboldt-Zeit noch immer allein ihm zugeschrieben wird, zeugt von einem hagiografischen Personenkult (wie ihn gerade auch die deutsche Akademie-Forschung betreibt). Humboldt wird nicht nur als Initiator beinahe aller naturkundlichen Disziplinen idealisiert, der durch seine Forschungs- und Denkanstöße bis heute unser Verständnis der Umwelt geprägt habe. Einmal mehr wird er als volksaufklärender „Weltwissenschaftler“, als „mobiler Forschungsreisender rund um die Welt“ und als Leitbild der Globalisierung stilisiert.
Die studierte Kunsthistorikerin und Journalistin Andrea Wulf hat ihre im vergangenen Jahr in den USA und England erschienene und sehr erfolgreiche Biografie „The Invention of Nature. The Adventures of Alexander von Humboldt“ vor allem für den angloamerikanischen Leser geschrieben. Dem ist Humboldt weit weniger vertraut als dem in Lateinamerika oder in seinem Heimatland. So sehr sich Humboldt mithin dort als vergessene Forscher-Ikone wiederentdecken ließ, so wenig angemessen ist dieser Anspruch hierzulande.
Dabei ist Wulfs Biografie keine runde Lebensgeschichte im eigentlichen Sinne. So unterhaltsam sich ihre Reise auf den Spuren ihres Helden zu den Schauplätzen der Humboldtschen Wissenschaft liest, an vielen wichtigen Stationen seines Lebens zeigt sie wenig Interesse. Einige Episoden werden breit dargelegt, dagegen schnurren andere Jahre auf wenige Zeilen zusammen. Entscheidend aber ist, dass Humboldts Ideen zum einen wichtige, bislang weitgehend unbekannt gebliebene Wurzeln haben, die auch Wulf nicht erwähnt. Zum anderen waren viele seiner Ideen keineswegs derart wirkungsmächtig, wie Wulf uns glauben machen will. Während Historiker beginnen, sich kritisch mit dem preußischen Gelehrten und seiner Epoche der „Humboldtian Science“ zu befassen, bedient Andrea Wulf eine aus der Zeit gefallene Wissenschaftsgeschichte, die nur Gipfel kennt, keine Gebirgsketten.
Natur als ewige Harmonie statt als steter Wandel
Humboldt hat tatsächlich bereits um 1800 die Umweltfolgen von Abholzung und Monokultur in Venezuela gesehen und davor gewarnt, dass Menschen ihre unmittelbare Umwelt zerstören, weil dies eine – wie wir heute sagen – ökologische Kettenreaktion auslöse, mit Auswirkungen auf kommende Generationen. „Alles ist Wechselwirkung“, schrieb Humboldt. Aber ein nennenswerter Einfluss auf die heutige Wissenschaft, die sich mit den globalen Konsequenzen des Klimawandels beschäftigt, darf getrost bezweifelt werden.
Humboldt war rückwärtsgewandt und in vielem noch sehr der Goethezeit verhaftet. Als Wissenschaftler wollte er die Natur einerseits vermessen, andererseits glaubte er, dass sie mit allen Sinnen zu erfahren sei. „Die Natur muss gefühlt werden“, schrieb er an Goethe, der ebenfalls überzeugt war, dass man die Natur nur so vollkommen verstehen könne. Humboldt beschrieb sie poetisch wie ein Dichter und stellte sie illuster wie ein Maler dar.
Auch lässt Wulf unter den Tisch fallen, wie grundlegend Humboldts Naturverständnis spätestens in seinem Todesjahr 1859, als Darwins epochales Werk „Über den Ursprung der Arten“ erschien, von dessen Theorie der Evolution durch natürliche Selektion abgelöst wurde. Statt natürlicher Harmonie des Kosmos, einer „Wohlgeordnetheit“ der Welt, sehen wir seitdem eine dynamische und sich stetig wandelnde, vor allem aber eine unerbittlich auslesende Natur. Humboldts Zeitgenosse Thomas Jefferson konnte noch behaupten, „die Haushaltung der Natur“ sei derart beschaffen, dass sie noch nie „eine ihrer Tierarten hätte aussterben lassen oder irgendein Glied ihrer großen Kette so schwach gebildet hätte, dass es zerbrochen wäre“. Mit Darwin wurde das Erlöschen der Arten so selbstverständlich wie die Entstehung neuer Arten durch natürliche Zuchtwahl. Und so angenehm uns mit Humboldt der Gedanke ist, es gäbe diese Harmonie in der Natur und der Mensch habe einstmals in Harmonie mit ihr gelebt – das eine wie das andere ist höchst zweifelhaft.
Statt einer Heroisierung Humboldts wird es Zeit, die geläufigen Erzählmuster seiner Biografie aufzubrechen und zu erkennen, dass der kosmische Ansatz von Humboldts Naturverständnis nicht zukunftsfähig war und sein Weltbild längst veraltet ist. Andrea Wulfs „Erfindung der Natur“ ist, nach der überzeichneten Romanfigur Kehlmanns, die weitere Erfindung eines Humboldt, den es so nicht gab. Den wahren Humboldt zu entdecken bleibt die Herausforderung.
Andrea Wulf, Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur. Aus dem Englischen von Hainer Kober. C. Bertelsmann, München 2016. 556 S., 24,99 €.
Der Autor ist Gründungsdirektor des Centrums für Naturkunde der Universität in Hamburg.