aus nzz.ch, 12.11.2016, 05:30 Uhr
Leibniz und Schopenhauer
Die schlechteste aller möglichen Welten?
Arthur Schopenhauer, der Pessimist, hat Leibniz des «ruchlosen Optimismus» geziehen – und zu zeigen versucht, dass unsere Welt die schlechteste aller möglichen sei
von Uwe Justus Wenzel
Ein griesgrämiger Arthur Schopenhauer war es, der Leibniz das garstige Adjektiv «ruchlos» anheftete. Nicht eigentlich Leibniz, aber doch dessen Denkungsart, dem «Optimismus». Diesen Ausdruck hinwiederum hatten, nicht ganz zweihundert Jahre vor Schopenhauer, jesuitische Kritiker geprägt und auf die Leibnizsche «Theodizee» gemünzt, um über des Philosophen Versuch zu spotten, die Güte Gottes angesichts der Übel der Welt mit mathematischer Genauigkeit – Stichwort «Optimum» – zu demonstrieren.
Dass die Welt, in der wir leben, die beste aller möglichen sein solle, erschien Schopenhauer als «schreiende Absurdität». Wer sich Schmerz und Leid auf dem Erdenrund vor Augen führe, der werde, sofern er nicht heuchle, «schwerlich disponiert sein, Hallelujas anzustimmen». – Dem wird man beipflichten können, aber auch eine Unterscheidung entgegenhalten dürfen, die ein Schüler Schopenhauers, der Sprachphilosoph Fritz Mauthner, trifft: Man müsse genau unterscheiden «zwischen der verzweifelten Theologenfrage, ob diese unsere Erdenwelt mitsamt ihrer ganzen Infamie wirklich immerhin noch die beste aller möglichen Welten sei», einerseits – und andererseits «der Temperaments- oder Stimmungsfrage», ob man sich in dieser Welt «wohl fühle oder nicht».
Ein Gegenbeweis
Ob Schopenhauer sich unwohler gefühlt haben mag als Leibniz, wird sich kaum ermitteln lassen. Aber es ging ihm ohnehin doch nicht nur um die Stimmungsfrage, sondern auch um jene Theologenfrage, die ebenso sehr und mehr noch eine Philosophenfrage genannt zu werden verdient (und kein Ausdruck der Verzweiflung sein muss). Schopenhauer skizzierte, nicht ohne Sarkasmus, sogar eine Art Gegenbeweis zu Leibnizens Gedanken von der besten aller möglichen Welten: «Möglich» sei nur, «was wirklich existieren und bestehen kann». Die existierende Welt sei nun augenscheinlich so eingerichtet, «wie sie sein musste, um mit knapper Not bestehen zu können». Wäre sie jedoch «noch ein wenig schlechter, so könnte sie schon nicht mehr bestehen». Folglich sei eine schlechtere als die real existierende Welt gar nicht möglich, «sie selbst also unter den möglichen die schlechteste».
Schopenhauer lenkt den Blick auf die Planetenbahnen und andere Betriebsbedingungen des Kosmos, aber auch auf die unter der Erdrinde brodelnden zerstörerischen Naturkräfte, um zu illustrieren, was «mit knapper Not bestehen» bedeute. Heute könnten Atom- und Astrophysiker, die über Naturkonstanten und deren «Feinabstimmung» diskutieren, ihm argumentativ unter die Arme greifen und zeigen, dass das Weltall seine Stabilität verlöre, sobald auch nur ein wenig an den kosmischen «Stellschrauben» gedreht würde.
Was sie aber gewiss nicht tun werden, ist, den – wenn nicht ruchlosen, so doch plumpen – Taschenspieler- trick zu übersehen, den Schopenhauer versucht. Er setzt «schlechter», wo mit Fug und Recht nur «anders» stehen dürfte. Gedeckt wäre, anders gesagt, allenfalls der Satz: «Wäre die Welt nur ein wenig anders, so könnte sie schon nicht mehr bestehen.»
Doch Schopenhauers Denken wird von einer alles bestimmenden, ebenso metaphysischen wie moralischen Prämisse regiert. Sie lautet: «Die Welt ist etwas, was nicht sein soll.» Sie ist also sowieso schlicht schlecht – und dies deswegen, weil ihr Prinzip ein grund- und zielloser, blinder «Wille zum Leben» ist, der in summa mehr Leid als Glück hervorbringt.
Ferner von Leibniz, für den die existierende Welt selbst dann noch die beste aller möglichen wäre, wenn sie tatsächlich mehr Leid als Glück hervorbrächte, kann man sich denkend kaum bewegen. Ausser Frage stand für ihn, dass die Welt nicht grundlos existiere und dass der letzte Grund ihrer Existenz ein in jeder Hinsicht vollkommener Gott sei. Dass ein solcher Gott, salopp gesagt, nur das Beste will, ist selbstverständlich. Nicht aber, wie er herausfindet, was das Beste sei. Ebendieses Wie hat Leibniz zu imaginieren versucht: Vor der Erschaffung der Welt spielt Gott in seinem unendlichen Verstand alle möglichen Welten und Weltläufe durch; alles in diesen Welten hängt mit allem zusammen, so dass die kleinste Änderung eine andere Welt mit anderem Verlauf ergibt. Diejenige mögliche Welt, in der alle beteiligten Wesen, Dinge und Ereignisse am besten aufeinander abgestimmt sind, erschafft Gott schliesslich. – Das ist der ingeniös einfache Grundgedanke, dessen Entfaltung freilich alles andere als einfach ist, auch weil die Freiheit der Menschen dabei nicht verloren gehen soll.
Leicht zu geben ist indes die Antwort auf die bohrende Frage, warum Gott nicht eine vollkommene Welt erzeugt hat, in der kein Übel, keine Unvollkommenheit seinem Ruf schaden kann: Hätte er etwas Vollkommenes schaffen wollen, dann hätte er sich selbst erschaffen, sich sozusagen verdoppeln müssen.
Nota. - Wenn Gott er selbst ist, dann ist er causa sui - und hat sich selbst erschaffen. Die Frage, warum er es dabei nicht hat bewenden lassen; warum er aus sich heraus und über sich hinaus gehen und zum Gegen- stand (der 'Welt') hat verendlichen müssen oder auch bloß wollen - ist eine theologische ja gerade nicht, denn der Ratschluss Gottes ist unerforschlich; sofern man ihn, wie die Theologen tun, einmal als seiend voraussetzt.
Letzteres aber können die Philosophen nicht, für sie ist die Frage nach der Güte Gottes zugleich die nach seiner Existenz; denn die eine ist nicht glaubbar ohne die andere: Leibniz will die Güte Gottes nachweisen, um nicht an seiner Existenz zweifeln zu müssen. Letzteres kommt für ihn aber nicht in Betracht; daraus folgt, dass auch Gottes Güte nicht bezweifelt werden darf. Darauf beruht die offenkundige Künstlichkeit seiner Theodizee; und auch die gewundene Prosa des sonst so scharfsinnigen Herrn Wenzel.
JE
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