Das «Ich» in einer Welt aus Bilder
Bilder
sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Nun wollen Natur- und
Geisteswissenschafter gemeinsam erforschen, wie sie die
Selbstwahrnehmung und unsere Beziehungen verändern.
Schon
Kleinkinder setzen sich intensiv mit ihren Bildern auseinander. Überall
werden sie fotografiert und lassen die Momentaufnahmen auch gern Revue
passieren. So kommt es, dass Kinder schon früh in ihrem Leben
regelmässig eine Aussenperspektive einnehmen. Sie erinnern sich an den
Moment nicht aus der Innenperspektive mit all den Gefühlen, die sie
dabei hatten, sondern als Betrachter der Szene. Bald machen sie selber
Fotos und teilen sie in den sozialen Netzwerken. Der Neuropsychologe
Manos Tsakiris will untersuchen, was diese ständige Auseinandersetzung
mit Bildern in uns auslöst, wie das die Selbstwahrnehmung verändert und
die Beziehungen zueinander.
Es
gebe schon viele Studien darüber, wie das Gehirn Bilder oder Gemälde
visuell verarbeite. «Aber das interessiert uns weniger. Wir wollen
wissen, welche körperlichen Gefühle die Bilder in uns auslösen, wie der
Herzschlag reagiert, der Blutdruck oder die Schweissproduktion und wie
das die Repräsentation des eigenen Körpers im Gehirn beeinflusst», sagt
Tsakiris. Aus seiner früheren Forschung weiss er, dass die Wahrnehmung
des eigenen Körpers leicht formbar ist.
Eine fremde Hand wird eigen
In
einem interdisziplinär ausgerichteten Projekt namens Body & Image
in Arts and Sciences (Bias), das von der Schweizer Nomis Foundation
finanziert wird, strebt er dabei eine enge Zusammenarbeit mit
Kunsthistorikern und Geisteswissenschaftern an, die schon seit
Jahrhunderten untersuchen, wie Kunst und Bilder auf den Menschen wirken.
«Jetzt wollen wir die beiden Traditionen zusammenbringen und eine
gemeinsame Theorie und Experimente entwickeln», sagt Tsakiris.
Der
gebürtige Grieche, der an der Royal Holloway University of London
lehrt, hat in seiner Forschung die Selbstwahrnehmung wiederholt auf die
Probe gestellt und dabei gezeigt, dass das Körper-«Ich» alles andere als
konstant ist. Dafür griff er unter anderem auf ein in der Psychologie
beliebtes Experiment zurück, die sogenannte «Gummihand-Illusion».
Dabei bringt man Menschen dazu, dass sie eine Gummihand als zu ihrem
Körper zugehörig empfinden. Das geht so weit, dass sie Angst und sogar
Schmerzen spüren, wenn jemand ihre neue Hand mit einem Hammer
attackiert.
Bei
dem Experiment wird die echte Hand einer Versuchsperson von einem
Sichtschutz verdeckt. Im Blickfeld liegt dagegen eine Gummihand (siehe
Grafik). Werden diese und die eigene Hand gleichzeitig mit einem Pinsel
gestreichelt, entsteht bei den meisten Personen nach einer Weile das
Gefühl, dass sie die Berührung in der Gummihand spüren. Sie entwickeln
ein echtes Körpergefühl für diese Hand. Der Trick funktioniert
allerdings nur, wenn die Berührungen synchron ausgeführt werden.
Illusion ändert das Verhalten
Tsakiris Team zeigte vor einigen Jahren, dass die Illusion auch dann entsteht, wenn die Gummihand eine andere Hautfarbe hat. Weisse Versuchspersonen entwickelten dabei ein Körpergefühl für eine schwarze Gummihand
– mit weitreichenden Folgen. Das Erlebnis veränderte ihre Einstellung
gegenüber schwarzen Menschen. Sie waren ihnen gegenüber weniger
voreingenommen. Dies zeigten die Forscher mit einem Fragebogen, der
versteckten Rassismus aufdeckt. «Anhand von sensorischen Informationen
produziert das Gehirn ein Modell darüber, was mein Körper ist», erklärt
Tsakiris. Das Modell werde angepasst, wenn sich der sensorische Input
verändere, und das beeinflusse, welche Distanz wir zu anderen empfänden.
Tsakiris
geht von einem Körperbewusstsein aus, wie es der Neurowissenschafter
und Bewusstseinsforscher António Damásio definiert hat. Das Körper-Ich
entstehe durch den ständigen Austausch zwischen Körper und Gehirn. Der
Körper sendet Signale über den Zustand der Organe. Aus dem Herzschlag,
der Sauerstoffsättigung und dem physiologischen Gleichgewicht in unserem
Blut entnimmt das Gehirn, ob es uns gut geht oder nicht. Das
Gleichgewichtsorgan und die Muskeln teilen mit, in welcher Position sich
der Körper im Raum befindet. Aus all diesen Informationen entsteht das
Gefühl für den eigenen Körper, und daraus bildet sich das Körper-Ich.
Wo die Grenzen verschwimmen
Die
Grenzen zwischen dem «Ich» und den anderen könnten aber auch im Alltag
leicht verschwimmen, sagt Tsakiris. Zum Beispiel, wenn man sich mit
einer geliebten Person eins fühlt. Oder wenn man mit jemandem mitfühlt.
Man kann die Gefühle oder körperlichen Schmerzen eines anderen
empfinden, als wären es die eigenen. Studien zeigen, dass im Gehirn
dabei die gleichen Netzwerke aktiv werden, wie wenn man selbst diese
Erfahrungen macht. Dennoch kann das Gehirn in diesem Moment
unterscheiden, dass das, was es gerade fühlt, nicht im eigenen Körper
geschieht, sondern ein Produkt der Vorstellungskraft ist. «Mich
interessiert, wie man zwischen diesen verschiedenen Stadien der
«Ich»-Wahrnehmung und der Verbindung mit anderen hin und her
oszilliert», sagt Tsakiris.
Auch wenn man Bilder betrachtet, kann man sich auf verschiedenen Ebenen mit ihnen auseinandersetzen. Man kann wahrnehmen, was abgebildet ist, sich Gedanken über die Symbolik machen oder sich überlegen, was der Künstler oder Fotograf damit sagen will. Was der Betrachter mit einem Bild mache und wie es auf ihn wirke, hänge von verschiedenen Umständen ab, dem momentanen Gemütszustand und den äusseren Umständen, sagt Tsakiris. Die Biologie und die Kultur beeinflussten unsere Wahrnehmung und die Art, wie wir miteinander umgingen.
Auch wenn man Bilder betrachtet, kann man sich auf verschiedenen Ebenen mit ihnen auseinandersetzen. Man kann wahrnehmen, was abgebildet ist, sich Gedanken über die Symbolik machen oder sich überlegen, was der Künstler oder Fotograf damit sagen will. Was der Betrachter mit einem Bild mache und wie es auf ihn wirke, hänge von verschiedenen Umständen ab, dem momentanen Gemütszustand und den äusseren Umständen, sagt Tsakiris. Die Biologie und die Kultur beeinflussten unsere Wahrnehmung und die Art, wie wir miteinander umgingen.
Deshalb
könne man all die Fragen, was ist das Ich?, wie reagieren wir auf
Bilder?, wo liegt die Grenze zwischen dem «Ich» und den anderen?, nicht
losgelöst vom kulturellen Kontext untersuchen, sagt Tsakiris.
Neurowissenschafter vernachlässigten dies manchmal, wohingegen
Geisteswissenschafter in der Regel die biologischen Reaktionen ausser
Betracht liessen. Nicht selten geraten sich Natur- und
Geisteswissenschafter in die Haare, wenn es darum geht, diese Fragen zu
beantworten. Mit «Bias» will Tsakiris die Gräben überbrücken.
Gemeinsame Sprache bilden
Das
Projekt, das Anfang September am Warburg Institute der University of
London startete, hat zwei Ziele: Einerseits geht es darum, eine
gemeinsame Sprache und Theorie zu entwickeln, andererseits sollen darauf
aufbauend Experimente entstehen, die verschiedene Fragestellungen zu
dem Thema abdecken. Zum Beispiel, inwiefern Bilder von idealisierten
Körpern beeinflussen, wie das Gehirn Signale aus dem Körper des
Betrachters verarbeitet, zum Beispiel das Hungergefühl. Eine andere Idee
ist, zu untersuchen, ob zum Beispiel Stresshormone beeinflussen, wie
ein Betrachter ein Gemälde beurteilt.
Das
Projekt sei ein riskantes Unterfangen, sagt Tsakiris. Denn der Erfolg
hänge davon ab, wie der Dialog zwischen den Disziplinen verlaufe.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen