Debatte um Heidegger-Lehrstuhl
Große Chance statt Skandal
Von "Skandal" bis "Austreibung des Geistes": In die Diskussion um die Umwidmung des sogenannten Heidegger-Lehrstuhls in Freiburg mischt sich ein erstaunliches Maß Empörungsbereitschaft und Parteilichkeit. Warum die Debatte falsch verläuft.
Von Markus Wild
In drei großen Tageszeitungen stand jüngst zu lesen, dass am Philosophischen Seminar der Universität Freiburg der Lehrstuhl 1 in Philosophie, derzeitig besetzt mit einer Professur mit Schwerpunkt in Neuzeit und Moderne, zu einer Juniorprofessur mit neuer Ausrichtung umgewidmet werden solle. Das ist an Universitäten schon vorgekommen. Danach würde auch kein Hahn krähen, wenn es sich nicht um den "Heidegger-Lehrstuhl" handelte, den Lehrstuhl, den Martin Heidegger von 1928 bis 1947 innehatte. Ah, Heidegger! Nun krähen die Hähne drei Mal "Verrat!". Was ist davon zu halten, dass man den "Heidegger-Lehrstuhl" umwidmet? Viele sagen, es sei ein schlimmes Zeichen für eine schlimme Tendenz in einer schlimmen Zeit. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen.
Lesen konnte man, dass der ehemalige Lehrstuhl des umstrittenen Denkers in eine Juniorprofessur für "Logik und sprachanalytische Philosophie" umgewandelt werde. Damit sei ein allzu deutlicher Schlussstrich beabsichtigt, weil die "Schwarzen Hefte" Heidegger noch stärker als bislang einer nationalsozialistischen und antisemitischen Weltanschauung überführt haben.
Die Universität wurde dafür kritisiert, sich von ihrer phänomenologischen Tradition abzuschneiden, was umso bedauerlicher sei, weil gerade heute die kritische Auseinandersetzung mit Heidegger dringlicher sei als je. Weiter befördere die Universität die fatale Tendenz, die "kontinentale" Philosophie zu Ungunsten der "analytischen" Philosophie zu verdrängen, die sich angeblich in Argumentationstechnik und Sprachanalyse erschöpfe. Damit betreibe man den Import einer fremden angelsächsischen Tradition, während die einheimische deutsche Tradition zusehends an Universitäten in den USA exportiert werde. Schließlich sei die Aufgabe eines Lehrstuhls zugunsten einer Juniorprofessur nur eine schlecht verdeckte Sparübung. Aufgrund solcher Berichte hat der Bonner Philosoph Markus Gabriel eine weltweite Online-Petition "Save Phenomenology and Hermeneutics in Freiburg" lanciert, um die von "Machenschaften" bedrohte Freiburger Tradition zu retten.
Mit der analytischen Philosophie wird eine fremde Tradition importiert? Im Gegenteil!
Mittlerweile hat die Universität Freiburg einige der Behauptungen richtig gestellt: Die Juniorprofessur wird nicht für "sprachanalytische Philosophie" ausgeschrieben, sondern für "Sprachphilosophie". Eine solche Ausschreibung ist offen und könnte auch von einer Spezialistin für Leibniz oder Phänomenologie besetzt werden. Weiterhin war gar nicht die Problematik der nationalsozialistischen "Verstrickung" Heideggers (so die halboffizielle, exkulpierende Sprachregelung) Anlass der Umwidmung. Man will also keinen Schlussstrich unter Heidegger ziehen oder auf kritische Auseinandersetzung verzichten. Auch verschwindet die Phänomenologie nicht aus Freiburg, das Husserl- und das Waldenfels-Archiv bleiben Orte phänomenologischer Forschung.
Der Lehrstuhl wird auch nicht zugunsten einer ephemeren Juniorprofessur aufgegeben, sondern eine gut ausgestattete Juniorprofessur mit Tenure-Track wird geschaffen, die später in eine Professur überführt werden soll. Dieser Umstand entzieht der Angst, die Universität könnte die Philosophie in Freiburg dauerhaft reduzieren, den Boden. Die Mitteilungen der Universität Freiburg zeigen, dass die Vorwürfe auf wackligen Beinen stehen. Die alarmistische Berichterstattung - "Ein Skandal" (SZ), "Austreibung des Geistes" (NZZ) - beruht auf einer schiefen Informationsgrundlage. Dennoch wird die Petition weltweit fleißig unterzeichnet. Der Diskussion scheint ein erstaunliches Maß Empörungsbereitschaft und Parteilichkeit beigemischt.
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Nehmen wir dennoch an, die Universität Freiburg habe tatsächlich einen Schlussstrich unter den "Heidegger-Lehrstuhl" setzen wollen. Wäre dies verwerflich, unverständlich? Wie bereits Jürgen Kaube in der FAZ bemerkt hat, sollte man aufhören von Heideggers Lehrstuhl zu sprechen, denn dieser Lehrstuhl ist ebenso derjenige von Edmund Husserl. Husserl, nicht Heidegger, ist der Begründer der Phänomenologie. Weiterhin ist zu bedenken, dass der jetzige Inhaber des Lehrstuhls 1, Günter Figal, unlängst den Vorsitz der Martin-Heidegger-Gesellschaft niedergelegt hat, weil er nach den antisemitischen Auslassungen Heideggers in den "Schwarzen Heften" - die nicht allein die Person Heidegger, sondern eben auch Teile seiner Philosophie direkt betreffen - für eine Gesellschaft dieses Namens nicht mehr einstehen möchte. Ich verstehe die Entscheidung Figals. Doch aus demselben Grund darf man auch damit aufhören, den Lehrstuhl 1 Heidegger zu überlassen und mit der Bürde einer vermeintlichen Nachfolge zu belasten.
Drückt sich Freiburg um die Aufarbeitung Heideggers?
Selbst wenn es stimmen sollte, dass der Lehrstuhl zu Logik und sprachanalytischer Philosophie umgewidmet wird, würde damit die einheimische Tradition nicht aus den deutschsprachigen Universitäten verdrängt. Es hat an mehreren Instituten Neubesetzungen mit jungen Forschern und Forscherinnen gegeben, die über die Klassische Deutsche Philosophie von Kant bis Hegel und Heidegger arbeiten und auch Husserls Phänomenologie ist an deutschsprachigen Instituten durchaus präsent. Ich bestreite nicht, dass Lehre und Forschung in Sachen Phänomenologie und Hermeneutik in deutschsprachigen Universitäten im Rückgang befindlich sind. Eine völlige Verdrängung wäre zu bedauern, denn für die Philosophie vital ist eine Vielstimmigkeit methodischer Zugänge zu den großen und kleinen Fragen.
Allerdings darf man die Frage aufwerfen, ob sich Freiburg nicht um die historisch-kritische Aufarbeitung Heideggers drückt und eine lokale Tradition abschneidet. Wäre das nicht "nahezu dämlich" (Axel Honneth) und "beschränkt" (Rüdiger Safranski)? Nein, wenn es klug gemacht wird, ist die Entscheidung weder dämlich noch beschränkt, denn sie öffnet wissenschaftlich und institutionell Chancen. Um dies zu sehen, muss man etwas ausholen und einem verbreiteten historischen Missverständnis entgegentreten. Selbst wenn die Umwidmung sich auf die analytische Philosophie beschränkt hätte, würde dadurch keineswegs eine fremde Tradition importiert und eine historische Auseinandersetzung verhindert. Im Gegenteil!
Als Begründer der analytischen Philosophie werden in der Regel deutsche und englische Denker wie Gottlob Frege oder Bertrand Russell genannt. Aber wie ist die analytische Philosophie in die USA gekommen? Interessante Geschichte! Deutschsprachige Philosophen wie Carnap, Herbert Feigl, Otto Neurath oder Gustav Bergmann emigrierten in den 1930er Jahren in die USA - viele von ihnen waren jüdischer Herkunft - und institutionalisierten dort die analytische Philosophie an den großen Universitäten Harvard, Princeton oder Yale. Alle waren sie Logiker, Sprachphilosophen, Erkenntnis- und Wissenschaftstheoretiker, oftmals Mitglieder des "Wiener Kreises", freidenkende Geister, die in Mitteleuropa nicht mehr leben konnten.
Die Freiburger Umwidmung wäre also Teil der anhaltenden Rückkehr einer emigrierten Tradition. Anders als in der Germanistik, die der Exilliteratur früh ihre Aufmerksamkeit schenkte, gehört das Stichwort "Philosophie im Exil" nicht zu den gängigen. Was erst langsam in den Fokus der Forschung rückt, sind die diskursiven und institutionellen Beziehungen zwischen Neukantianismus, Husserls Phänomenologie, Ernst Cassirers Philosophie und dem Logischen Empirismus des Wiener Kreises in Mitteleuropa und im Exil. Auch Heidegger gehört in diesen Kontext, allerdings gehörte er zu jenen, die diese Beziehungen boykottiert haben, wie sein diffamierendes Gutachten aus dem Jahr 1933 im Fall Richard Hönigswald - dieser lenke den Blick ab vom Menschen in seiner geschichtlichen Verwurzelung und in seiner volkhaften Überlieferung, seiner Herkunft aus Blut und Boden - auf erschreckende Weise illustriert.
Gerade im Sinne einer vertieften historischen Auseinandersetzung mit der Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts erweist sich der Blick auf das Heidegger-Massiv - das der Meister mit der Planung seiner monumentalen Gesamtausgabe selbst errichtet hat - als Einschränkung. Wir dürfen und müssen das Panorama auch am Fuße des Schwarzwalds auf die erwähnten diskursiven und institutionellen Beziehungen öffnen. Genau das kann geschehen, wenn man in eine wohletablierte Forschungstradition eine neue Perspektive einführt und sich nicht auf die kritische Auseinandersetzung mit dem Werk und der Person Heideggers versteift.
Von der ganzen Umwidmungsdebatte zu unterschieden ist das Vorhaben, eine Professur auf Zeit in eine Juniorprofessur umzuwandeln. In dieser Diskussion sollte man nicht vergessen, dass die Umverteilung von Geldern in entfristbare Stellen für junge Forscherinnen und Forscher nichts Verwerfliches ist. Dem akademischen Mittelbau in Deutschland geht es nicht sonderlich gut, da die universitären Personalstrukturen ungünstig sind. Eine Möglichkeit der Förderung des akademischen Nachwuchses besteht darin, den Mittelbau abzuschaffen. Begabte junge Menschen sollten nicht über Jahre hinweg befristet beschäftigt werden, bevor sie überhaupt eine Chance auf eine Dauerstelle erhalten. Dazu braucht es eine Umverteilung der Gelder und die Einrichtung von unabhängigen Stellen mit Tenure-Option und Forschungsgruppen.
Im Moment ist es im Hinblick auf die Mittelumverteilung schwierig, in diese Richtung zu gehen, die amtierenden Lehrstuhlinhaberinnen und -inhaber wird man kaum dazu bringen, auf ihre befristeten Mittelbaustellen zugunsten von entfristbaren Tenure-Optionen zu verzichten. Dies ist nicht nur der Diskussion, sondern auch der Umsetzung wert - warum nicht auch bei einem Lehrstuhl mit großer, aber schwieriger Tradition? Nur müsste man dazu mit dem ganzen Lehrstuhlgetue aufhören.
Nota. - Verschiedene Verfasser haben sich in verschiedenen Blättern in dieser Sache in verschiedenem Sinn geäußert. Er wirft sie alle in einen Topf und hat natürlich über die so entstandene Olla potrida gut Nase rümpfen. Würde sich irgendwer sperren, dass etwas aus dem Ausland importiert wird, wenn es neu ist und was taugt? Ob es ursprünglich aus Wien gekommen ist, würde gar keine Rolle spielen. Aber an der 'analytischen' Wiederkäuerei ist nichts neu, doch wenn es wirklich von Carnap & Co. herkäme, könnte es immerhin was taugen. Aber man kann den Wiener Kreis (mich wundert, dass er ausgerechnet Wittgenstein unbelästigt lässt) nicht für diesen epigonalen Spülicht verantwortlich machen.
Es geht nicht um diese oder jene Lehrmeinung oder "Schule" in specie. Es geht um einen Betrieb, im dem zweieinhalbtausend Jahre Denkgeschichte als ein Nebenfach, als continental philosophy unter ferner liefen abgeheftet wird und wo sich jeder Jüngling einbilden kann, er dürfe, unvoreingenommen von belastenden Kenntnissen, mit dem Philosophieren ganz von vorn anfangen. Auch das würde die Philosophie überstehen, nehme ich wohl an; aber hier geht es um etwas anderes: Es geht darum, die Qualität der deutschen Universitäten qua Bologna auf die eines amerikanischen College zu reduzieren. Ach Harvard, Yale, von wegen! Damit die "Strukturen" massentauglich werden, muss zuerst das Studium massentauglich gemacht werden - so ist es gemeint. Dann würde die Philosophie im außerakademischen Bereich überleben müssen. (Das wäre vielleicht reizvoll, das muss man einräumen,)
Wer würde nörgeln, wenn es darum ginge, mindestens jeden zweiten Schulabgänger zu einem Humboldt'schen Polyhistor zu bilden? Die Arbeitskräfte - auch die akademischen - werden ohnehin bald von Robotern ersetzt werden, da hätte die Gesellschaft genügend Muße, um sich das leisten zu können. Sie wollen aber den Arbeitsmarkt mit einer Masse angelernter Akademiker überschwemmen, die dann Taxi fahren müssen - denn qualifizierte Handarbeiter werden sie ja wohl nicht verdrängen können.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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