Zum 500. Geburtstag der spanischen Mystikerin Teresa von Avila
Im frommen Spiel mit Gott
von Bernhard Lang
Als Heilige und Kirchenlehrerin gilt sie in der katholischen Kirche, aber auch darüber hinaus hat die Mystikerin und Karmelitin Verehrer gefunden: Vor fünfhundert Jahren, am 28. März 1515, wurde Teresa von Avila geboren.
Der «Libro de la vida» ist das erste und zweifellos lebendigste Werk der Teresa von Avila. 1565 entstanden, gehört es zu den grossen Autobiografien der Weltliteratur. Die Autorin schildert ihre Jugendstreiche, erzählt von ihrem Vater, der ihren Eintritt in das Frauenkloster Santa Maria de la Encarnación in ihrer kastilischen Heimatstadt Avila nicht verhindern konnte, sie berichtet von den Zuständen im Kloster und zuletzt von ihrem Auszug und der Gründung eines eigenen kleinen Konvents. Gleichzeitig erfahren wir vielerlei über das Gebetsleben der Nonne. Mit dem von ihr ohnehin nur halb verstandenen lateinischen Stundengebet unzufrieden, ergänzt sie es durch «inneres Gebet», durch stille Andacht zu Gott, den sie als unsichtbaren Freund stets in ihrer Nähe weiss. Teresa spricht nicht nur zu ihrem göttlichen Gegenüber, sondern vernimmt auch seine Worte, die sie eifrig notiert. Es sind Worte des Trostes und der Ermutigung. Sie nimmt den Freund als schöne männliche Gestalt wahr, dessen Augenfarbe ihr – zu ihrem Leidwesen – verborgen bleibt.
Den König fangen
Teresas Autobiografie bietet das Bild einer klugen, tatkräftigen, im Umgang mit anderen geschickten und vor allem selbstbewussten Frau. Auch ihrem unsichtbaren göttlichen Freund gegenüber bleibt sie erstaunlich stark. In dem «Weg der Vollkommenheit», einer ihrer geistlichen Schriften, vergleicht sie das heilige Spiel der Frömmigkeit mit dem Schachspiel, das sie in ihrer Jugend gepflegt hat. Da gilt es, den König mattzusetzen und einzufangen. Das muss der Dame gelingen, die alle anderen Schachfiguren einsetzt, um dieses Ziel zu erreichen. «Wie sehr ist es uns erlaubt, dieses Spiel zu spielen!», belehrt sie ihre Mitschwestern. «Wie schnell werden wir diesen göttlichen König schachmattsetzen, wenn wir es oft spielen, so dass er uns nicht mehr entkommen kann. Ja es auch gar nicht will.» Keine Spur von Unterwerfung, sondern ein fröhliches Zugehen auf Christus. Man fühlt sich an Mechthild von Magdeburg erinnert, eine Mystikerin des 13. Jahrhunderts, deren Umgang mit Christus von ähnlicher Unbefangenheit geprägt war.
Nach Teresas Tod im Jahr 1582 setzt eine intensive Beschäftigung mit ihren Schriften und ihrer Person ein. 1622 wurde sie heiliggesprochen und ihr Fest auf den 15. Oktober festgelegt. Im Zeitalter des Barock galt Teresa ihren katholischen Verehrern als eine Heilige, die die fast handgreifliche Präsenz Gottes in der Welt belegt. Diese Auffassung fand ihren klassischen Ausdruck in Giovanni Lorenzo Berninis berühmter – 1652 fertiggestellter – Marmorskulptur, die eine Art Gottesrausch zur Anschauung bringt: Ein Engel zielt mit einem Liebespfeil auf das Herz der Heiligen; sie wirft den Kopf in den Nacken und öffnet den Mund, verzückt und entrückt – wie beim Höhepunkt eines Liebesakts. Die Szene ist Teresas Autobiografie entnommen und wurde zum Symbol der Sinnlichkeit des barocken Katholizismus.
Teresa blieb keineswegs nur eine katholische Kultfigur. Sie fand viele protestantische Verehrer. Als gebildete, selbstverantwortliche Gläubige, die von der priesterlichen Mittlerschaft zwischen Gott und Mensch nichts hielt, erschien sie ihnen. Teresa konnte kühne Sätze schreiben: «Wie wenig braucht man bei Dir Mittelspersonen», sagt sie zu Christus. Pietisten wie Gerhard Tersteegen (1697–1769) haben Teresas «Vida» geschätzt und die Lektüre Glaubensgenossen empfohlen. Tersteegen selbst hat grosse Teile des Buches für seine «Auserlesenen Lebensbeschreibungen heiliger Seelen» übersetzt. Pietisten lasen keine Romane, sondern wahre Geschichten von wahren Helden und Heldinnen des Glaubens. Und manche waren sich sicher: Hätte Teresa im 18. Jahrhundert im protestantischen Deutschland oder in der Schweiz gelebt, wäre sie ohne Zweifel eine Pietistin geworden, an der Lavater seine Freude gehabt hätte.
Zu Teresas Lebzeiten kam die «Vida» in die Hände der Inquisition, die daran nichts Ungutes fand. Strenger fällt Jahrhunderte später das Urteil eines Harvard-Professors aus. Für die Gifford-Vorlesungen über «Die Vielfalt religiöser Erfahrung», die William James 1901 und 1902 in Edinburg hielt, bot ihm Teresas «Buch des Lebens» viel Stoff. Der Psychologe und Philosoph nutzte die eingehenden Beschreibungen seelischer Zustände. So sehr er Teresas feine Beobachtungsgabe, ihre fast unerschöpfliche Energie und ihren eleganten literarischen Stil bewunderte, so wenig kam er zu einem freundlichen Urteil. Er hielt die Heilige für eine Frau, die zwar über unglaubliches Talent verfügt, doch ihre Schaffenskraft auf einen Gegenstand gerichtet habe, der James trivial und armselig erschien – nämlich auf die Gründung von Klöstern, deren Insassinnen sich der Meditation hingaben, aber sich keinen sozialen Aufgaben widmeten.
Nach William James ist Teresas Vorstellung von Religion «die eines endlosen amourösen Flirts» mit ihrem göttlichen Geliebten. Doch enthielt er sich grundsätzlich eines Urteils über religiöse Liebesphantasien. Als Utilitarist und Pragmatiker wollte er nicht Erlebnisse, sondern Ergebnisse bewerten; und die Ergebnisse der Lebensarbeit der Heiligen waren nun einmal die Klostergründungen. James schrieb in einer Zeit, in der Religion in wissenschaftliche Kritik geraten war. Es ist die Zeit eines Friedrich Nietzsche und eines Sigmund Freud, die Zeit, in der Religionskritiker das geistige Leben beherrschten. James wollte Religion nur dann gelten lassen, wenn sie gute Früchte bringt, und darunter verstand er einen Beitrag zur Schaffung einer gerechten Gesellschaft.
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Bücher zum Geburtstag
... Anfänger lesen mit Gewinn die kleine Anthologie teresianischer Worte und Briefexzerpte, die Alois Prinz zusammengestellt hat. Wer tiefer eindringen möchte, kann jetzt auf eine gut ausgestattete zweibändige Werkausgabe zurückgreifen. Sie bietet den Text von Teresas Gesamtwerk in der von Ulrich Dobhan und Elisabeth Peeters besorgten Neuübersetzung, die bisher nur in der Form von Taschenbüchern erhältlich war. Diese Ausgabe lädt zum Schmökern nicht zuletzt in Teresas Briefen ein. Und wer besonders mutig ist, mag sich an Teresas spirituellen Klassiker wagen: «Wohnungen der Inneren Burg».
Zwei neue Biografien – eine von Alois Prinz, eine von Linda Maria Koldau – schildern das Leben der kastilischen Karmelitin. Prinz würzt seinen Text mit philosophischen und psychologischen Reflexionen, in denen Friedrich Nietzsche, Eugen Drewermann und Peter Sloterdijk zu Wort kommen. Koldau bringt mehr wörtliche Zitate aus Teresas Werk und würdigt die Heilige stärker als theologische Denkerin – und als Mitbegründerin der spanischen Literatur. Prinz hat ein biografisches Feuilleton geschrieben, Koldau ein klassisches Sachbuch; beide informieren präzise und in lesbarem Stil.
Mehr noch als die Lektüre biografischer Darstellungen ist die Lektüre der Autobiografie zu empfehlen. Nur sie vermag wirklich etwas von Teresa von Avilas Freundschaft mit Gott, ihrer Freundlichkeit im Umgang mit anderen und von ihrer unbeirrbaren Willenskraft zu vermitteln. Die «Vida» hat in früheren Zeiten geradezu als Werbeschrift für den Orden der Karmelitinnen gewirkt. Junge Frauen, so heisst es, hätten mit dem Buch in der Hand an die Pforte des Klosters geklopft und um Aufnahme gebeten. Das mag in einzelnen Fällen noch heute so sein, doch fehlt dem Orden der Nachwuchs. «Wohin können Menschen heute gehen, die zu Teresas Zeiten ins Kloster gegangen sind?», fragt Alois Prinz. Er lässt die Frage offen.
Teresa von Avila: Werke und Briefe. Gesamtausgabe. Herausgegeben von Ulrich Dobhan und Elisabeth Peeters. Mit einem Geleitwort von Mariano Delgado. Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2015. Zwei Bände, 1915 und 1344 S., Fr. 229.–. Teresa von Avila: Was lieben heisst. Gedanken für ein gutes Leben. Herausgegeben von Alois Prinz. Insel-Verlag, Berlin 2015. 120 S., Fr. 11.90. Linda Maria Koldau: Teresa von Avila. Agentin Gottes 1515–1582. Eine Biografie. Verlag C. H. Beck, München 2014. 316 S., Fr. 37.90. Alois Prinz: Teresa von Avila. Die Biografie. Insel-Verlag, Berlin 2014. 267 S., Fr. 34.90.
Nota. - Der Ausdruck mystisch wird in den verschiedensten und auch trivialsten Bedeutungen verwendet. Dass eine Denkweise, die sich durch den Verzicht auf Begriffe auszeichnet, sich selbst nicht durch Begriffe definieren lässt, liegt in der Natur der Sache. Ohne Begriffe - das ist eine negative Bestimmung, und so ist das Wort auch entstanden: Gr. myein bedeutet (sehen und dabei) die Augen schließen und bezeichnete solche Kulte, die nicht, wie die Zeremonien der Stadtgötter, in aller Öffentlichkeit, sondern im Verborgenen stattfanden, und über die man nur mutmaßen konnte, weil die Eingeweihten zur Verschwiegenheit verpflichtet waren. Man durfte ihnen die wüstesten Exzesse nachsagen, was vielleicht nicht immer berechtigt war.
Typisch ist für mystisches Denken die Tradierungsweise in ordensmäßigen Überlieferungsketten. Es geht um persönliche Erlebensweisen, von stiller Erleuchtung bis zu lauter Ekstase, und die sind nicht durch wörtliche Mitteilung - Begriffe - zu erzielen, sondern durch praktische Exerzitien, zu denen auch Stimulantien wie Kaffee, Haschisch und Alkohol gehören können, aber auch Selbstkasteiungen, die bis zur Besinnungslosigkeit führen mögen. (Berühmt sind bis heute die türkischen Drehderwische, die sich in Trance tanzen.) Gemeinsam ist in all der Vielfarbigkeit nur die Negation: die Negation der diskursiven, Begriffe miteinander verknüpfenden Spekulation, die die offiziellen Theologien der große Religionsgemeinschaften auszeichnet.
Womit auch dies schon vorgezeichnet ist: Die mystischen Richtungen in den großen Religionen neigen stets ein bisschen zur Heterodoxie und werden oft als Ketzereien verfolgt: El Halladsch wurde vor gut tausend Jahren in Bagdad ans Kreuz geschlagen, und Meister Eckhart verscholl auf der Heimreise, nachdem ihn der Papst in Avignon als Ketzer verurteilt hatte.
In der Sache - sofern man bei Mystikern von so etwas reden kann - bestehen aber größtmögliche Unterschiede. Da ist etwa auf dem einen Pol als Vertreter der okkulten Richtung Jakob Böhme, auf dem andern ist Meister Eckhart als Vertreter der Lichtmystik. Jakob Böhme stand dem magischen Denken der Alchemisten nahe, während sich Meister Eckhart in seinem lateinischen Werk als ein scholastischer Philosoph der platonische Richtung zeigt und nur in seinen deutschen Texten eine mystische Metaphorik gebraucht.
Theresa von Avila hatte offenbar mit beidem nicht zu tun, ihre Mystik ist ekstatisch-erotisch, aber erotisch im Sinne von Plato: Eros strebt leidenschaftlich nach Schönheit (=der Seele), weil er sie selbst nicht hat. Es ist vielleicht gerechter, sie (wie übrigens auch Böhme) als eine Kronzeugin des barocken Zeitalters denn als eine der Mystik zu werten.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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