Näher, mein Pi, zu dir! Was soll uns das Tau?!
Die Mathematik hat heute etwas zu feiern, was sie nie vollenden kann, die Annäherung an die Kreiskonstante.
"Hierauf legte er ein Meer an, zehn Ellen von einem Rand zum anderen. Eine Schnur von 30 Ellen umspannte es ringsum.“ Es war natürlich kein Meer, was Salomo da in seinen Palast bauen ließ (1.Könige 7, 23), es war ein Wasserbecken, und es hatte entweder keine zehn Ellen Durchmesser oder keine 30 Ellen Umfang. Das lag nicht an mangelnder Weisheit, sondern daran, dass das „Meer“ ein Kreis war, und so einer umschließt auch eines der größten Mysterien der Mathematik: In jedem Kreis, gleich wie klein oder groß, ist das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser gleich – aber wie groß es in absoluten Zahlen ist, lässt sich nicht sagen.
Und das, obwohl die größten Mathematiker in Ost und West seit Jahrtausenden unzählige Anläufe zur Bestimmung der Kreiszahl nehmen. Sie liegt ein Alzerl über 3,1, das wussten schon Babylonier und Ägypter, dann kam Archimedes auf 3,14 (und Folgestellen), später wurde der gleiche Wert aus Indien und China gemeldet, es gibt verschiedene Wege zu ihm, ganz ans Ziel führt keiner. Denn Pi – wenigstens der Name ist seit Euler eindeutig, er kommt von „peripheria“ (Randbereich) oder von „perimetros“ (Umfang) – ist eine irrationale und transzendente Zahl, sie kann weder in ganzen Zahlen noch in einer Bruchzahl noch als Wurzel ausgedrückt werden.
Deshalb nimmt sie auch nie ein Ende. Archimedes präzisierte bis auf sieben Stellen hinter dem Komma, manches spätere Mathematikerleben ging über Verfeinerungen dahin, dann kamen Computer zu Hilfe: Seit 2010 kennt man fünf Billionen Stellen, sie im Sekundentakt aufzusagen würde 158.549Jahre füllen, so steht es zumindest auf der Homepage der Wiener „freunde der zahl pi“ (pi314.at). Solche gibt es auch andernorts, um die Kreiszahl herum hat sich ein Kult etabliert, zunächst in den USA. Dort feiert man seit 1988 alljährlich den Pi Day – er findet nach Maßgabe der Zahl 3,14159 am 14.3. statt (3/14), exakt um 1.59 Uhr gibt es pie, Kuchen, runden natürlich, und im März 2009 beschloss das US-Repräsentantenhaus in einer Resolution (H.Res.224.EH), „die Einführung eines Pi-Tages und seiner Feier weltweit zu unterstützen“.
Das brachte Neider und Nörgler, die den alten König stürzen und einen neuen auf den Thron hieven wollten: „Ästhetisch ist Pi hässlich“, posaunte Michael Hart, Physiker und nach Eigendefinition „führender Anti-Pi-Propagandist der Erde“, im Tau Manifesto (tauday.com), es ist ellenlang und kreist darum, dass beim Kreis nicht der Durchmesser zähle, sondern der Radius. Nimmt man den, erhält man eine Kreiszahl namens Tau, sie ist naturgemäß exakt doppelt so groß wie Pi: 6,28 etc. etc. Auch Tau hat seinen Feiertag, den 28.6., an dem „gibt es doppelt so viel pi(e)“, lockt Hart.
Pi-Getreue können darüber nur lachen, zweimal Pi, und „pie“ haben sie schon selbst – damit schließt sich der Kreis dieses Berichts, der nicht dem Füllen eines runden Sommerlochs dient –, sie feiern auch den Tag der Annäherung an Pi. Dessen Rezept stammt wieder von Archimedes: 22 durch 7 – 22. Juli also, heute! Gute Annäherung!
Nota.
Auch ich kann mich zu den Pietisten zählen. Mich beruhigt Pi. Wenn es irgendworin aufginge, das Produkt von irgendwas wäre oder ein Quotient oder sonst ein hoher Funktionsträger der Mathematik - man würde wieder sagen, das habe ein intelligenter Designer ersonnen, alles passt zu allem, alles geht in allem auf. Aber Pi lässt sich auf nichts zurückführen, es ist bête comme un fait, sinnlos wie eine bloße Tatsache. Wenn da ein Designer hinterstecken sollte, kann er intelligent nicht wirklich gewesen sein. Vielleicht aber weise: Er wollte keine schlüssige Welt, er wollte dem Zufall eine Chance lassen. Das mag auch Atheisten beruhigen, es hätte schlimmer kommen können.
JE
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