Freitag, 4. Juli 2014

Bauch-Hirn.

aus Der Standard, Wien,

Im Darm liegt die Gesundheit 
Kot-Transplantationen haben heilsame Wirkung bei Überernährung, psychische Erkrankungen sollte man in Zukunft auch über den Bauch behandeln können

 
Wenn es noch eines Beweises bedurfte, dass es nicht Essgewohnheiten allein sind, die auf das Gewicht Einfluss nehmen, dann wurde er damit wohl erbracht: Wissenschafter der Washington University's School of Medicine transplantierten den Stuhl eines fettleibigen Menschen und seines schlankeren Zwillings in vollkommen keimfreie Mäuse. Der Nager, der die Mikrobenkultur aus dem dicken Bauch erhielt, nahm schnell zu. Sein Artgenosse wuchs zu einem schlanken Tier heran.

Damit war das Experiment aber noch lange nicht beendet: Da Mäuse Kot essen, gingen die Forscher davon aus, dass sie auch die Darmbakterien austauschen, und steckten die Tiere zusammen. Die Rechnung ging auf: Nach wenigen Tagen ballaststoffreicher Ernährung vermischte sich die Darmflora der dickeren Maus mit jener der dünneren, die Gewichtszunahme verlangsamte sich. Sobald die Ernährung auf kalorienreich umgestellt wurde, gelang der Mikrobenaustausch nicht mehr.


Die im vergangenen Jahr im Fachmagzin Science publizierte Arbeit erregte einiges Aufsehen unter Wissenschaftern. Schon mehrfach hatte man nachgewiesen, dass die Zusammensetzung der Darmflora den Stoffwechsel steuert. Und dass die individuelle Mikrobenzusammensetzung, der "Shitprint", heilsame Wirkung haben kann. 2012 gelang niederländischen Forschern ein ähnlicher Coup: Kot-Transplantation von einem gesunden Menschen in die Gedärme eines fettleibigen Patienten linderten dessen Insulinresistenz und damit auch die Gefahr, an Typ-2-Diabetes zu erkranken.

Heilsame Mikroben

Die Schlussfolgerung: Mikroben aus den Gedärmen können bei gesunder Ernährung heilsam wirken. Doch welche Bestandteile der Darmflora sind es genau, die hier einen positiven Einfluss haben? Und wie könnte man sie auch ohne Kot-Transplantation aktivieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das EU-Projekt "MyNewGut" mit 30 Partnern aus Industrie und Forschung. Der Gastroenterologe Peter Holzer von der Medizinischen Universität Graz ist einer von ihnen. Er weist darauf hin, dass sich die Zusammensetzung der Mikroben sehr schnell durch Ernährungsumstellungen ändern lässt. Und weit mehr Einfluss auf den Wirt hat als nur auf seinen Stoffwechsel.

Es ist ja ein wirklich gewaltiges Ökosystem, das da in unseren Bäuchen lebt. Schätzungen zufolge sind es bei gesunden Menschen 100.000 Milliarden Mikroben, die etwa 1,5 bis zwei Kilogramm wiegen. 400 bis 500 verschiedene Bakterienarten besiedeln einen gesunden Darm. Ihre Zusammensetzung wird auch über die Erbanlagen und spezifischen Kontakte mit verschiedensten Keimen aus der Umwelt beeinflusst.

Erfolge bei Multipler Sklerose

Diese Mikroben haben über mindestens 500 Millionen Nervenzellen im Magen-Darm-Trakt einen Draht zum Gehirn, der in jüngster Zeit mit erstaunlichen Forschungsergebnissen nachgewiesen wurde. Erkrankungen wie Autismus wurden da mit einer veränderten Zusammensetzung der Darmflora assoziiert.

Zuletzt gab es Kot-Transplantationen, die bei Multipler Sklerose Erfolge brachten. Wissenschafter berichten auch von Versuchen mit Mäusen, bei denen durch Ernährung die Gehirnchemie und ihr Verhalten geändert wurde. Nager, die nur Fleisch bekamen und keine probiotische Nahrung, zeigten demnach deutlich mehr Angst und Stresssymptome als die andere Gruppe.

Schutz vor Depressionen

Holzer warnt aber davor, die Entstehung oder Vermeidung von Angst allein mit bakterienhältiger Ernährung wie Milchsäure in Verbindung zu bringen: "Das wäre viel zu kurz gedacht." Forschungsarbeiten würden aber natürlich bestätigen, was Hausverstand und Allgemeinmediziner schon seit Jahren sagen: Eine ausgewogene Ernährung macht glücklicher als eine einseitige. Sie sei vor allem bei Jugendlichen ein nicht zu unterschätzender Schutz gegen Depressionen, sagt Holzer.

Wie stark die Verbindung zwischen Darm und Gehirn ist, zeigt sich auch durch psychische Erkrankungen, die bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa oder sogar bei Salmonellenvergiftungen auftreten.

Nicht selten haben Patienten mit diesen Leiden auch Angstzustände und Depressionen. Der Volksmund hat also recht, wenn er "Das schlägt auf den Magen" oder "Das macht mir Bauchschmerzen" sagt. Der Bauch ist unser zweites Gehirn.

Die Wirkung von Verdauungshormonen

So banal diese Sätze auch sind: Es gibt mittlerweile Therapien, die genau in diese Richtung zielen, berichten Hanno Charisius und Richard Friebe in ihrem Sachbuch "Bund für Leben: Warum Bakterien unsere Freunde sind" (Hanser-Verlag, 2014). Patienten mit Leberversagen können vor den damit oft einhergehenden Krampfanfällen. Demenzerscheinungen und Komazuständen durch Antibiotika geschützt werden". So wird die bakterielle Produktionen von Nervengiften im Darm verhindert.

Holzers Team wird im EU-Projekt aber nicht nur die Mikroben und ihre Zusammensetzung im Magen-Darm-Trakt untersuchen. Im Mittelpunkt des Interesses steht auch ein Peptid mit dem Namen YY, das eine positive Wirkung auf das Gemüt hat. Mäuse, denen das Peptid entfernt wurde, entwickelten Angstzustände und Depressionen.

Andere Verdauungshormone wie Ghrelin reduzieren aber die Angst. Womit klar wird, dass einige psychische Erkrankungen über den Bauch behandelt werden können. Über das Wie soll man nach Ende des EU-Projekts mehr wissen.

 

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