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aus Tagesspiegel.de, 12. 6. 2018
... In der Dorotheenstraße in Mitte unterhält das Institut für Deutsche
Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität gleich mehrere Labore.
Hier erforscht die Psycholinguistin Pia Knoeferle mit ihrem Team, wie
Sprache und Bilder im Gehirn zusammenwirken. Eye-Tracking-Geräte stehen
dafür zur Verfü- gung, Elektroenzephalographen (EEG) und Geräte, die die
Reaktionszeit messen. Denn so banal die Auf- gabenstellungen für die
Probanden auf den ersten Blick erscheinen, so komplex ist die Forschung,
die Knoeferle mit ihren empirischen Experimenten betreibt. Noch ist
vieles von dem, was im Gehirn passiert, während Menschen sehen und
hören, nämlich völlig unklar.
Ältere filtern negative Faktoren in der Kommunikation eher heraus
Beispiel: Lächelnde Menschen, die sprechen. Fassen die Zuhörer die
Inhalte anders auf, je nach Mimik des Sprechers? „Die Vermutung liegt
nahe, dass Emotionen bei der Kommunikation eine große Rolle spielen“,
erklärt Knoeferle. Im Labor konnten die Effekte der Mimik aber nur
teilweise bestätigt werden.
Dafür kam ein anderer interessanter Fakt zum Vorschein: Jüngere Menschen reagieren stärker auf negative Gesichtsausdrücke,
Ältere mehr auf positive. Woran mag das liegen? Möglicherweise filtern
ältere Menschen äußere Faktoren einfach weg, die ihr Wohlbefinden
beeinträchtigen, sagt Knoeferle. „Aber ob solche antrainierten
Verhaltensstrategien wirklich verantwortlich sind für oft unbewusste
Augenbewegun- gen, die sich binnen Millisekunden abspielen, das wissen wir
noch nicht.“
Die neurolinguistische Forschung
ist ein relativ junger Forschungszweig. Erst seit Anfang der 1980er
Jahre haben Kognitionswissenschaftler begonnen, buchstäblich in die
Köpfe der Menschen zu gucken. Seitdem haben sich die Messtechniken immer
weiter verfeinert und auch die Sprachwissenschaften erobert. Heute ist
es einerseits möglich, mithilfe der funktionellen
Magnetresonanztomographie aktive Hirnregionen sichtbar zu machen.
Andererseits nutzen Sprachforscher EEG-Geräte, um Gehirnströme zu
messen. Auch die Eye-Tracking-Verfahren, die schon seit Jahrzehnten
eingesetzt werden, liefern mittlerweile viel genau- ere Ergebnisse als
noch im 20. Jahrhundert. Kleinste Pupillenvergrößerungen und minimale
Augenbewe- gungen können erfasst werden.
Motorik hilft beim Verstehen
Schleichend sind
naturwissenschaftliche Methoden in die Linguistik eingesickert. „Früher
hat sich die Linguistik vor allem mit Syntax, Semantik, Phonetik und
Phonologie beschäftigt", sagt Knoeferle – also mit Satzbau,
Wortbedeutung, Lautkunde und Spracheigenschaften. Linguisten erforschten
Sprache vor allem auf dem Papier, stellten komplexe Theorien über ihre
Strukturen auf. Jetzt endlich können die formalen Modelle und Systeme im
Labor überprüft werden.
Wie funktioniert Verstehen, was passiert
beim Spracherwerb, welche Rolle spielt der Körper? Erste Ant- worten
liegen vor: So konnten die amerikanischen Wissenschaftler Art Glenberg
und Michael Kaschak durch eine Versuchsreihe nachweisen, dass sich
körperliche Bewegungen tatsächlich auf das Sprachverste- hen auswirken.
Der Satz „Die Frau öffnet die Schublade“ wird schneller und besser
ver- standen, wenn der Zuhörer zugleich eine ähnliche Armbewegung ausführt
– Hand hin zum eigenen Körper. Motorik, die Sprachinhalte spiegelt,
macht das Verstehen leichter.
Knoeferle hat sich darauf
spezialisiert, das Zusammenspiel von Sprachverstehen und visuellen
Beobachtun- gen zu untersuchen. Wer „gezuckerte Pfannkuchen“ hört und
gezuckerte Erdbeeren sieht, ist für einen Moment irritiert. Wie lange
braucht der Mensch, um widersprüchliche Eindrücke zu sortieren? Und was
wirkt stärker: das Bild, das ein Versuchsteilnehmer unmittelbar vor sich
sieht – oder die Erwartungen im Kopf, die sich aus der Lebenserfahrung
speisen?
Handlungskontext ist stärker als die "Bilder" im Kopf
Bei dem eingangs beschriebenen Versuch ging es genau um diese Frage.
Bilder und Worte von Kuchen, von Männern, von Frauen – was ist
inhaltlich richtig, was passt zusammen? Die Probanden ließen sich dabei
von ihrem Wissen um Geschlechterstereotypen
wenig ablenken; sie vertrauten den Informationen auf dem Bild.
Knoeferle findet das hochinteressant: „Das zeigt, dass der unmittelbare
Handlungskontext einen starken Einfluss auf die Sprachverarbeitung hat.“
Vermutlich ist dieser Einfluss sogar dominanter als die vorgefertigten
„Bilder“ im Kopf. ...
Nota. - Das ist doch erst ein Anfang. Ob Bilder oder Worte im Verstehensprozess dominieren, ist zu ab- strakt gefragt. Ebenso abstrakt könnte man fragen: Dominiert in der Wahrnehmung
das, was bleibt, oder das, was sich verändert? Was sich bewegt, oder was verharrt? Dann stellt sich die Frage nach Bildern und Worten anders: Bilder können bewegt angeschaut werden - Bewegungen, Veränderungen können nur als bewegte Bilder angeschaut werden. Gesetzte Worte werden dagegen verharrenden Zuständen eher gerecht als verlaufenden Handlungen. Sätze können dagegen "behalten" werden, Bilder neigen dazu, gleich wieder zu verschwimmen.
Mit andern Worten: Bevor man 'Faktoren' isoliert, muss man das Verstehen als aktives, intentionales und kontextbezogenes Handeln darstellen können - in der Verlaufsform eben, und diese kann nur im Ganzen angeschaut, aber nicht aus Einzeldaten zusammengesetzt und 'begriffen' werden.
JE
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