Mittwoch, 13. Juni 2018

Bilder oder Worte.

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aus Tagesspiegel.de, 12. 6. 2018

... In der Dorotheenstraße in Mitte unterhält das Institut für Deutsche Sprache und Linguistik der Humboldt-Universität gleich mehrere Labore. Hier erforscht die Psycholinguistin Pia Knoeferle mit ihrem Team, wie Sprache und Bilder im Gehirn zusammenwirken. Eye-Tracking-Geräte stehen dafür zur Verfü- gung, Elektroenzephalographen (EEG) und Geräte, die die Reaktionszeit messen. Denn so banal die Auf- gabenstellungen für die Probanden auf den ersten Blick erscheinen, so komplex ist die Forschung, die Knoeferle mit ihren empirischen Experimenten betreibt. Noch ist vieles von dem, was im Gehirn passiert, während Menschen sehen und hören, nämlich völlig unklar.

Ältere filtern negative Faktoren in der Kommunikation eher heraus

Beispiel: Lächelnde Menschen, die sprechen. Fassen die Zuhörer die Inhalte anders auf, je nach Mimik des Sprechers? „Die Vermutung liegt nahe, dass Emotionen bei der Kommunikation eine große Rolle spielen“, erklärt Knoeferle. Im Labor konnten die Effekte der Mimik aber nur teilweise bestätigt werden.

Dafür kam ein anderer interessanter Fakt zum Vorschein: Jüngere Menschen reagieren stärker auf negative Gesichtsausdrücke, Ältere mehr auf positive. Woran mag das liegen? Möglicherweise filtern ältere Menschen äußere Faktoren einfach weg, die ihr Wohlbefinden beeinträchtigen, sagt Knoeferle. „Aber ob solche antrainierten Verhaltensstrategien wirklich verantwortlich sind für oft unbewusste Augenbewegun- gen, die sich binnen Millisekunden abspielen, das wissen wir noch nicht.“


Die neurolinguistische Forschung ist ein relativ junger Forschungszweig. Erst seit Anfang der 1980er Jahre haben Kognitionswissenschaftler begonnen, buchstäblich in die Köpfe der Menschen zu gucken. Seitdem haben sich die Messtechniken immer weiter verfeinert und auch die Sprachwissenschaften erobert. Heute ist es einerseits möglich, mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie aktive Hirnregionen sichtbar zu machen. Andererseits nutzen Sprachforscher EEG-Geräte, um Gehirnströme zu messen. Auch die Eye-Tracking-Verfahren, die schon seit Jahrzehnten eingesetzt werden, liefern mittlerweile viel genau- ere Ergebnisse als noch im 20. Jahrhundert. Kleinste Pupillenvergrößerungen und minimale Augenbewe- gungen können erfasst werden.

Motorik hilft beim Verstehen

Schleichend sind naturwissenschaftliche Methoden in die Linguistik eingesickert. „Früher hat sich die Linguistik vor allem mit Syntax, Semantik, Phonetik und Phonologie beschäftigt", sagt Knoeferle – also mit Satzbau, Wortbedeutung, Lautkunde und Spracheigenschaften. Linguisten erforschten Sprache vor allem auf dem Papier, stellten komplexe Theorien über ihre Strukturen auf. Jetzt endlich können die formalen Modelle und Systeme im Labor überprüft werden.

Wie funktioniert Verstehen, was passiert beim Spracherwerb, welche Rolle spielt der Körper? Erste Ant- worten liegen vor: So konnten die amerikanischen Wissenschaftler Art Glenberg und Michael Kaschak durch eine Versuchsreihe nachweisen, dass sich körperliche Bewegungen tatsächlich auf das Sprachverste- hen auswirken. Der Satz „Die Frau öffnet die Schublade“ wird schneller und besser ver- standen, wenn der Zuhörer zugleich eine ähnliche Armbewegung ausführt – Hand hin zum eigenen Körper. Motorik, die Sprachinhalte spiegelt, macht das Verstehen leichter.

Knoeferle hat sich darauf spezialisiert, das Zusammenspiel von Sprachverstehen und visuellen Beobachtun- gen zu untersuchen. Wer „gezuckerte Pfannkuchen“ hört und gezuckerte Erdbeeren sieht, ist für einen Moment irritiert. Wie lange braucht der Mensch, um widersprüchliche Eindrücke zu sortieren? Und was wirkt stärker: das Bild, das ein Versuchsteilnehmer unmittelbar vor sich sieht – oder die Erwartungen im Kopf, die sich aus der Lebenserfahrung speisen?

Handlungskontext ist stärker als die "Bilder" im Kopf

Bei dem eingangs beschriebenen Versuch ging es genau um diese Frage. Bilder und Worte von Kuchen, von Männern, von Frauen – was ist inhaltlich richtig, was passt zusammen? Die Probanden ließen sich dabei von ihrem Wissen um Geschlechterstereotypen wenig ablenken; sie vertrauten den Informationen auf dem Bild. Knoeferle findet das hochinteressant: „Das zeigt, dass der unmittelbare Handlungskontext einen starken Einfluss auf die Sprachverarbeitung hat.“ Vermutlich ist dieser Einfluss sogar dominanter als die vorgefertigten „Bilder“ im Kopf. ...


Nota. -  Das ist doch erst ein Anfang. Ob Bilder oder Worte im Verstehensprozess dominieren, ist zu ab- strakt gefragt. Ebenso abstrakt könnte man fragen: Dominiert in der Wahrnehmung das, was bleibt, oder das, was sich verändert? Was sich bewegt, oder was verharrt? Dann stellt sich die Frage nach Bildern und Worten anders: Bilder können bewegt angeschaut werden - Bewegungen, Veränderungen können nur als bewegte Bilder angeschaut werden. Gesetzte Worte werden dagegen verharrenden Zuständen eher gerecht als verlaufenden Handlungen. Sätze können dagegen "behalten" werden, Bilder neigen dazu, gleich wieder zu verschwimmen.

Mit andern Worten: Bevor man 'Faktoren' isoliert, muss man das Verstehen als aktives, intentionales und kontextbezogenes Handeln darstellen können - in der Verlaufsform eben, und diese kann nur im Ganzen angeschaut, aber nicht aus Einzeldaten zusammengesetzt und 'begriffen' werden.
JE









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