Sonntag, 3. Juni 2018

Warum nur wir Menschen so ein großes Gehirn haben.

Bei Gorillas blieb die Verdopplung des zuständigen Gens folgenlos.
aus Die Presse, Wien,                                    Bei Gorillas blieb die Verdopplung des zuständigen Gens folgenlos

Warum erst bei uns das Gehirn so groß wurde
Die Verdopplung eines zuständigen Gens kam früh, blieb aber bei Schimpansen und Gorillas folgenlos. Erst bei unseren Ahnen konnte sie ihre Macht entfalten: Sie bremst die Entwicklung des Gehirns und versorgt es im Gegenzug mit mehr Zellen.

Wir sind die Großkopferten der Evolution, auch wenn umstritten ist, ob schieres Volumen Intelligenz bringt oder die innere Organisation: Die kleinen Gehirne von Rabenvögeln etwa leisten Großes. Aber staunen lässt schon, dass unser Gehirn so viel mehr Volumen hat als das unserer Cousins, der Schimpansen. Bei ihnen sind es 450 Kubikzentimeter, bei uns 1200 – es schwankt individuell stark –, der große Schub kam vor drei Millionen Jahren mit Homo erectus.

Wodurch kam er, auf der molekularen Ebene? Weil sich bei den Teilen des Genoms, die für die Produktion von Proteinen zuständig sind, kaum Differenzen zwischen Menschen und Schimpansen gefunden haben, konzentriert man sich auf die Teile, die andere Gene regulieren. Dabei sind nun zwei Gruppen auf einen zentralen Spieler gestoßen, er gehört zum Notch-Signalweg, der ist uralt, regelt in der Embryogenese die Entwicklung vieler Körperteile, bei Fruchtfliegen etwa die der Flügel, denen verschafft er eine Kerbe („Notch“), man merkte es 1917, in den 80er-Jahren wurde die Sequenz geklärt.

Auch die Entwicklung des Gehirns ist von Notch mitbestimmt, und beim Menschen kann etwas fehllaufen: Wir haben auf Chromosom 1 lange DNA-Segmente, die auch verdoppelt oder stillgelegt sein können, in beiden Fällen bringen sie Fehlentwicklungen, man fasst sie unter „1q21.1 deletion/duplication syndrome“ zusammen: Sind sie stillgelegt, werden die Gehirne zu klein („Mikrozephalie“) und von Autismus bedroht; im umgekehrten Fall werden sie übergroß und haben ein erhöhtes Risiko von Schizophrenie. In dieser Region hat David Haussler (UC Santa Cruz) im Vergleich von Makaken und Menschen nun eine spezifisch menschliche Variante von Notch identifiziert: Notch2nl (Cell 31. 5.).

Auf die Primaten kam diese bei einem gemeinsamen Ahnen von Mensch, Schimpanse und Gorilla durch eine Verdopplung des Gens Notch2, das haben alle Säugetiere. Aber die Verdopplung brachte zunächst nichts – die Gehirne von Schimpansen und Gorillas blieben klein –, die Kopie war funktionsunfähig, ein Pseudogen. Das änderte sich erst beim Menschen, vor drei bis vier Millionen Jahren, da wurde das Pseudogen im Zuge neuer Verdopplungen aktiv.

Geringeres Tempo garantiert Größe

Diese griffen in die Entwicklung von Gehirnstammzellen dadurch ein, dass sie sie verzögerten: Aus jeder dieser Stammzellen wurden bei der Teilung nicht zwei ausdifferenzierte Zellen, nur eine der Töchter war das, die andere war wieder eine Stammzelle, das hat Pierre Vanderhaegen (Brüssel) gerade an Organoiden gezeigt, Minigehirnen in der Petrischale (Cell 31. 5.).

Das bringt das Gehirn langsamer voran, schafft aber auf Dauer einen viel größeren Pool von Zellen: „Zu den Charakteristika des Menschen gehören größere Gehirne und eine verzögerte Gehirnentwicklung. Und nun sehen wir molekulare Mechanismen, die diesen evolutionären Trend in sehr frühen Stadien der Entwicklung unterstützen“, schließt Haussler und vermutet, dass sich noch ähnliche Gene finden werden.

Das Gehirn von Homo sapiens ist etwa dreimal so groß wie von Menschenaffen.
aus Tagesspiegel.de, 1. 6. 2018                        Das Gehirn von Homo sapiens ist etwa dreimal so groß wie von Menschenaffen.

Mutationen vergrößerten das menschliche Gehirn
Forscher haben die Genveränderungen entdeckt, die das Denkorgan von Homo sapiens so groß machen. Allerdings erhöht das auch das Schizophrenie- und Autismus-Risiko.

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Das Gehirn des Menschen ist etwa dreimal so groß wie das seiner nächsten Verwandten im Tierreich. Zwei Forscherteams haben nun offenbar die Ursache für diesen Zuwachs gefunden. Sie beschreiben ihre Befunde im Fachblatt „Cell“ (zweite Arbeit hier). Demnach regt eine nur beim Menschen vorkommende Genvariante Stammzellen im Gehirn zu mehr Teilungsschritten in der Embryonalentwicklung an, sodass sie erst relativ spät, aber zu sehr viel mehr Nervenzellen heranwachsen als bei Menschenaffen.

Den Heiligen Gral der Gehirnforschung gefunden

„Einer der Heiligen Grale von Forschern wie uns ist es, herauszufinden, was während der menschlichen Entwicklung verantwortlich ist für ein größeres Gehirn“, sagt Pierre Vanderhaeghen von der Université Libre in Brüssel. Seine Gruppe suchte nach Genen, die nur beim Menschen vorkommen und bei der Entwicklung des Gehirns aktiv sind. Sie fand unter den insgesamt 23 000 Erbanlagen 35 Kandidaten, darunter „Notch2NL“.

„Notch“-Gene sind evolutionsgeschichtlich sehr alte, bei vielen Tieren vorkommende Gene. Sie sind in Signalübertragungs- und Entwicklungsprozesse eingebunden. „Notch2“ etwa spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Organen wie dem Gehirn. Von diesem Gen hat nur der Mensch eine besondere Variante, Notch2NL, die noch dazu drei Mal im Humangenom vorkommt.

Mehr Stammzellen, mehr Nervenzellen, mehr Hirn

Wenn das Forscherteam von David Haussler von der University of California in Santa Cruz diese Gene in Gehirnstammzellen in der Zellkultur mit einem gentechnischen Kunstgriff abschaltete, reiften die Stammzellen zwar schneller zu Nervenzellen heran. Dadurch blieben aber weniger Stammzellen übrig, sodass insgesamt weniger Nervenzellen entstanden. In der Embryonalentwicklung sorgen die Notch2NL-Gene also dafür, dass die Stammzellen sich häufiger teilen und länger Stammzellen bleiben, bevor sie zu Nervenzellen heranreifen: Mehr Stammzellen bilden mehr Nervenzellen, das Gehirn wird größer. Das gilt vor allem für die Großhirnrinde – eben jenes Hirnareal, das beim Menschen im Vergleich zu Menschenaffen überproportional vergrößert ist.

Offenbar sind die Notch2NL-Gene durch Verdopplung eines ursprünglicheren Notch-Gens entstanden – und zwar zur Zeit der Entwicklung von Hominiden vor etwa drei Millionen Jahren. Allerdings hatte diese natürliche, zufällige Erbgutoptimierung ihren Preis. „Diese evolutionäre Veränderung im Genom begünstigte auf der einen Seite die Ausbildung einer größeren Großhirnrinde, auf der anderen Seite wurde aber auch das Risiko für spontan auftretende genetische Veränderungen erhöht, welche letzten Endes mit Erkrankungen wie Schizophrenie oder Autismus einhergehen können“, sagt der Neurobiologe Oliver Brüstle vom Universitätsklinikum Bonn. „In Übereinstimmung mit der vermuteten Rolle der Notch2NL-Genfamilie bei der evolutionären Größenzunahme des Gehirns lässt sich bei diesen Patienten auch eine abweichende Größe des Gehirns feststellen.“

Bei Autisten fehlt eine Genkopie

Tatsächlich entdeckte Hausslers Team, dass bei drei Patienten mit Autismus nur zwei der drei Notch2NL-Gene vorhanden waren. Sie hatten etwas verkleinerte Gehirne. Bei drei Schizophrenie-Patienten mit vergrößertem Gehirn hingegen fanden sie vier statt drei Notch2NL-Gene.

Dass die Notch-Gene die einzigen Treiber für die Entwicklung des großen Gehirns von Homo sapiens gewesen sind, ist aber eher unwahrscheinlich. „Während der menschlichen Evolution sind eine Vielzahl von genetischen Veränderungen aufgetreten, die für die Gehirnentwicklung und -funktion relevant sind“, sagt Brüstle. „Dieses Verständnis ist wichtig, um Erwartungen oder Befürchtungen entgegenzuwirken, dass sich etwa mit einem künstlichen Einfügen einzelner Gene auf einfache Art und Weise eine ‚Humanisierung' in Tiermodellen induzieren lässt.“ Tiere mit menschenähnlichen Hirnleistungen dürften sich vorerst also nicht züchten lassen. (mit dpa/smc)

Das große Gehirn macht uns Menschen einzigartig. Aber welche Gene liegen dem zugrunde?
aus scinexx

Verdanken wir diesen Genen unser großes Hirn?
NOTCH2NL-Genfamilie treibt Hirnwachstum an – und ist nur beim Menschen aktiv

Treiber der Evolution: Eine Genfamilie auf dem ersten Chromosom könnte für ein einzigartiges Merkmal des Menschen verantwortlich sein: unser großes Gehirn. Denn wie zwei Forscherteams entdeckt haben, ist diese NOTCH2NL-Genfamilie nur bei uns funktionsfähig und besonders ausgeprägt. Ihre Aktivität fördert die Bildung zusätzlicher Hirnzellen und damit das Wachstum der Großhirnrinde. Sie könnten damit der Treiber für das Hirnwachstum unserer Vorfahren gewesen sein, so die Forscher im Fachmagazin "Cell".

Wir Menschen haben ein im Verhältnis zum Körper ungewöhnlich großes Gehirn – dies gilt als Basis unserer Intelligenz. Doch was ermöglichte das Hirnwachstum bei unseren Vorfahren? Klar scheint, dass eine bessere Energieversorgung des Denkorgans eine Rolle spielte, beispielsweise durch stärkehaltigere und vielleicht auch gekochte Nahrung. Doch welche biologischen Mechanismen die Triebkraft dieses Größenwachstums waren, blieb bisher unklar.

Genfamilie nur beim Menschen aktiv

Jetzt haben gleich zwei Forschergruppen eine mögliche Antwort gefunden. David Haussler von der University of California in Santa Cruz und sein Team hatten für ihre Studie die Genexpression im Gehirn von Menschen und Makaken verglichen und dabei besonderes Augenmerk auf die Regulation der neuronalen Stammzellen gelegt.

Es zeigte sich: Eine ganze Genfamilie, der sogenannte NOTCH2NL-Komplex auf dem ersten Chromosom, ist zwar in menschlichen Gehirnzellen aktiv, nicht aber bei den Affen. Auch bei Orang-Utans, Schimpansen und Gorillas fanden die Forscher nur eine verkürzte, inaktive Version dieser Gengruppe. Ihren Ergebnissen nach wurde die NOTCH2NL-Genfamilie erst vor rund drei bis vier Millionen Jahren bei unseren Vorfahren repariert und mehrfach dupliziert.


Weg zum Menschenhirn: Entwicklung der NOTCH2NL-Genfamilie
Mehr Hirnzellen durch kopierte Gene

Das Interessante daran: Die NOTCH-Gene gelten als Schlüsselfaktoren für das Organwachstum bei nahezu allen Tieren einschließlich des Menschen. Welche Rolle die typisch menschliche NOTCH2NL-Familie für die Hirnentwicklung spielt, hat das zweite Forscherteam um Pierre Vanderhaeghen von der Freien Universität Brüssel untersucht. Sie pflanzten Mäuseembryos menschliche NOTCH2NL-Gene ein und beobachten, wie sich dies auf die Hirnentwicklung auswirkte.

Und tatsächlich: Die Zahl der Neuronen-Vorläuferzellen im Gehirn der Tiere stieg deutlich an. In Kulturen menschlicher Hirnstammzellen machten die Wissenschaftler dann den Gegentest: Sie entfernte diese Gengruppe aus dem Erbgut einiger Zellen und ließen sie zu Organoiden heranwachsen. Es zeigte sich: Ohne NOTCH2NL entwickelten sich die Protohirne zwar schneller, blieben aber klein.

Einzigartig menschlich

Nach Ansicht beider Forscherteams spricht dies dafür, dass diese Genfamilie ein Schlüsselfaktor für das menschliche Hirnwachstum sein könnte. "Die mehrfache Duplizierung der NOTCH2NL-Gene und die typisch menschliche Ausstattung mit dieser Genfamilie deutet darauf hin, dass sie Schlüsselkontrolleure der menschlichen Hirngröße und -funktion sind", sagt Vanderhaeghen. "Weniger Kopien von NOTCH2NL führen zu geringerer Hirngröße, während mehr Kopien ein Wachstum des Gehirns bewirken."

Noch allerdings sind einige Fragen offen, wie die Forscher betonen. So ist der genaue Mechanismus noch unbekannt, über den die NOTCH2NL-Gene das Hirnwachstum ankurbeln. Zudem gibt es noch weitere Gene, die eine Rolle spielen könnten: "Spannenderweise gibt es in der gleichen Erbgutregion noch weitere menschenspezifische Gene mit unbekannter Funktion", sagt Vanderhaeghen. "Es wird interessant sein herauszufinden, ob sie möglicherweise weitere Aspekte der Hirnentwicklung kontrollieren." (Cell, 2018; doi: 10.1016/j.cell.2018.03.067; doi: 10.1016/j.cell.2018.03.051)

(Cell Press, Flanders Institute for Biotechnology, 01.06.2018 - NPO)

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