Montag, 16. April 2018

Ich sehe was, was du nicht siehst.

aus derStandard.at, 15. April 2018, 16:15

Unterschwellige Bilder beeinflussen, wie wir ein Gesicht interpretieren
US-Psychologen nutzten für ihr Experiment das Phänomen der Augendominanz

San Francisco – "Wir nehmen nicht passiv Informationen von außen wahr und reagieren dann darauf. Wir konstruieren Wahrnehmungen der Welt als Architekten unserer eigenen Erfahrung." So fasst die Psychologin Erika Siegel von der University of California die Ergebnisse einer Versuchsreihe zusammen, die sie mit ihrem Team durchführte.

Bei dem Experiment mussten die insgesamt 43 Probanden einen Gesichtsausdruck interpretieren. Dieser Ausdruck war stets neutral – dennoch kamen die Probanden zu unterschiedlichen Interpretationen, weil ihnen die Forscher ohne ihr Wissen zusätzliche Bilder untergejubelt hatten.

Links und rechts in leichtem Widerspruch

Dabei machten sich die Forscher das Phänomen der Augendominanz zunutze: Den meisten Menschen ist gar nicht bekannt, dass – ähnlich wie bei der Händigkeit – eines ihrer Augen dominant ist; bei der Mehrzahl ist es das rechte. Über dieses Auge gewonnene Eindrücke werden bevorzugt, die des anderen werden gleichsam auf die des dominanten verschoben. Welches Auge dominant ist, lässt sich sehr schnell mit einem einfachen Versuch feststellen.

In ihrem Experiment ließen die Forscher vor dem dominanten Auge der Probanden eine Abfolge von Stimuli aufblitzen: jeweils ein verpixeltes Bild gefolgt von einem neutralen Gesichtsausdruck. Zeitgleich wurden den Probanden – ohne dass ihnen dies bewusst geworden wäre – auch vor dem anderen Auge Bilder vorgeführt. Diese zeigten grimmige, neutrale oder lächelnde Gesichter und hatten einen geringen Kontrast, um nicht doch bewusst wahrgenommen zu werden.

Anschließend sollten die Probanden aus einer Fünferreihe von Gesichtern jenes auswählen, das ihrer Meinung nach am besten dem entsprach, das sie zuvor in der Bilderfolge gesehen hatten. Das Ergebnis war keine Zufallsverteilung: Wenn den Probanden unterbewusst ein lächelndes Gesicht untergeschoben worden war, glaubten sie tendenziell auch das bewusst wahrgenommene neutrale Gesicht als lächelnd in Erinnerung zu haben.

Unkontrollierbare Faktoren

Siegels Team hatte in früheren Studien bereits gezeigt, dass der Gefühlszustand eines Menschen beein- flusst, ob er ein eigentlich neutrales Gesicht als freundlich oder bedrohlich wahrnimmt. Die neue, in "Psychological Science" veröffentlichte Studie ergänzt dies nun um unterschwellige Eindrücke von außen. Dieser bislang verkannte Effekt könne im Alltag durchaus Konsequenzen haben, resümieren die Forscher: etwa wenn Geschworene beurteilen sollen, ob ein Angeklagter reuig wirkt, und dieses Urteil von Faktoren beeinflusst wird, die ihnen gar nicht bewusst sind. (red.)

Abstract
Psychological Science: "Seeing What You Feel: Affect Drives Visual Perception of Structurally Neutral Faces"


Nota. - In der Sache nix Neues. Es beweist nicht, dass wir alle unsere Wahrnehmungen "nur konstruieren". Es beweist allerdings, dass unsere Wahrnehmung nicht das Abbild 'der Wirklichkeit' ist. - Ex negativo läuft das freilich auf dasselbe hinaus.
JE

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