Donnerstag, 7. September 2017

Und wer redet von den Rechten der Pflanzen?

Themenbild: Pflanzen
aus Die Presse, Wien, 02.09.2017 um 18:41

Pflanzen
Immer klarer wird, dass auch Pflanzen über erstaunliche Sinnesleistungen verfügen. Das wirft auch neue Fragen auf - wie etwa: Leiden Pflanzen, wenn sie gefressen werden?

von Martin Kugler 

Pflanzen sind alles andere als empfindungslos vor sich hin vegetierende „Bioautomaten“. Sie haben vielmehr all ihre Sinne beisammen: Sie verfügen über elf verschiedene Typen von Lichtrezeptoren; sie können Luftvibrationen (sprich: Schall) wahrnehmen; sie spüren, wenn Schädlinge auf ihnen herumtrampeln; sie schmecken den Speichel von Fraßfeinden, die an ihnen knabbern; und sie riechen, wenn sich Feinde oder Artgenossen in ihrer Umgebung ausbreiten. Man weiß das aufgrund ihrer physiologischen Reaktionen – etwa, wenn sie in Richtung des Lichtes wachsen, ihre Ranken zielsicher um feste Gegenstände winden oder ihr chemisches Arsenal zur Schädlingsabwehr aktivieren.

Gerade die chemischen Sinne sind sehr gut ausgeprägt: Limabohnen z. B. bilden bei einem Angriff gefräßiger Insekten neben Abwehrstoffen auch Duftstoffe, die Feinde ihrer Fraßschädlinge anlocken und Pflanzen in der Nachbarschaft auf die Gefahr aufmerksam machen. Manche Gewächse können sogar Schadinsekten riechen, noch bevor diese ihr Zerstörungswerk beginnen: Ein Forscherteam um Mark Mescher (ETH Zürich) hat herausgefunden, dass Goldruten die Anwesenheit von Gallfliegen auf einen Meter Entfernung riechen können – und zwar anhand der Substanz Conophthorin, einem Hauptbestandteil der Ausdünstung der männlichen Insekten, mit der sie Weibchen anlocken (Nature Communications, 24. 8.).

Pflanzen reagieren auf Reize jedenfalls anders als Tiere, uns fällt es daher schwer, die „Sprache“ der Pflanzen zu verstehen (auch wenn Esoteriker behaupten, einen Draht zu Bäumen etc. zu haben).

Durch die vielen neuen Erkenntnisse drängen sich neue Fragen auf. Schmerzt es Pflanzen, wenn sie von Schädlingen gefressen werden? Oder leiden sie, wenn wir sie ernten und in den Kochtopf werfen? Die Beantwortung solcher Fragen (die auch für ethisch motivierte Vegetarier nicht uninteressant sind) ist derzeit unmöglich. So ist etwa ungeklärt, ob Pflanzen ein übergeordnetes System zur Informationsverarbei- tung besitzen – wie es Vertreter der „Pflanzeneurobiologie“ postulieren – oder ob sie noch über andere, uns unbekannte Sinne verfügen.

Tiere wurden früher als eine Art Automaten angesehen, die zwar auf ihre Umgebung reagieren, denen aber kein geistiges Innenleben zugestanden wurde. Dieses Bild hat sich stark gewandelt: Heute werden Tieren Gefühle, höhere kognitive Fähigkeiten und sogar eine Art Bewusstsein zugesprochen. Müssen wir auch bei Pflanzen umdenken?


Nota. - Das wär's doch! Endlich könnten wir sündigen Carnivoren den veganischen Tartuffes heimleuch- ten.
JE 


aus derStandard.at, 7. September 2017, 12:22

Wie Pflanzen dem Verlust ihres Gedächtnisses vorbeugen
Genetische Erinnerungen werden unmittelbar nach der Erbgut-Verdoppelung aufgefrischt


Wien – Auch Pflanzen haben eine Art Gedächtnis. Ein schnelles Auffrischen der genetischen Erinnerungen direkt bei jeder Verdopplung ihres Erbguts sorgt dafür, dass sie dies nicht von einem Jahr aufs andere vergessen, wie nun Wiener Wissenschafter im Fachjournal "Science" berichten.

Für das genetische Gedächtnis sind bei Pflanzen und Tieren Veränderungen an der Verpackung des Erbguts zuständig, also an den Histon-Eiweißstoffen, die die DNA umhüllen. Danhua Jiang und Frederic Berger vom Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien haben sich bei Tabakpflanzenzellen eine spezielle Veränderung genauer angesehen, die für viele Entwicklungsprozesse wichtig ist: das Anhängen von drei Methylgruppen an das Verpackungselement Histon-3. Dies stellt Gene ruhig, unter anderem eines namens FLC, welches bei Pflanzen das Blühen unterbindet.


Sichere Übertragung

Sie fanden heraus, dass diese Veränderungen unmittelbar nach dem Kopieren des DNA-Fadens für die Zellteilung vorgenommen werden, wenn er sogleich wieder wohlverpackt wird. Zunächst hängt ein Eiweißstoff namens ATXR5/6 eine einzelne Methylgruppe auf den vorgesehenen Platz (die Aminosäure Lysin 27). Dies ist Zeichen für den Eiweißstoff PCR2, zwei weitere Methylgruppen hinzuzufügen. Die Forscher zeigten, dass PCR2 direkt an den Ort gebunden ist, wo die DNA-Verdopplung vorgenommen wird, und dadurch eine verlässliche Übertragung der Gedächtnisinformation auf den neu hergestellten DNA-Faden gewährleistet.

Dieser Prozess geschieht bei Pflanzen deutlich schneller als bei Tieren, denen ATXR5/6 fehlt, erklärte Berger. Dies sei auch notwendig, denn Pflanzenzellen sind etwa weit mehr in Gefahr, ihre Identität zu vergessen, weil sie im Gegensatz zu tierischen Zellen ihr ganzes Leben lang Alleskönner bleiben. Dadurch können Pflanzen zwar wunderbar regenerieren, wenn man ihnen zum Beispiel einen Zweig abschneidet, brauchen aber zusätzliche Unterstützung, damit sie ihre aktuelle Aufgabe im Gedächtnis behalten. (APA, red.)



Abstract
Science: "DNA replication–coupled histone modification maintains Polycomb gene silencing in plants."


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen