Wie Reize auf dem Weg ins Bewusstsein versickern
Trennung zwischen bewusst und unbewusst erfolgt erst spät
Zwischen bewusst und unbewusst: Ob wir Bilder, die auf die Netzhaut unserer Augen fallen, auch bewusst wahrnehmen, entscheidet sich im Gehirn. Eine Studie zeigt nun, wie manche Reize auf dem Weg ins Bewusstsein gewissermaßen "versickern". Demnach setzt dieser Prozess offenbar erst erstaunlich spät im Laufe der Signalverarbeitung ein. Anfangs unterscheidet sich die Reaktion der Nervenzellen auf unbewusste und bewusste Reize dagegen kaum.
Im Alltag strömen ununterbrochen tausende visuelle Reize auf uns ein. Doch nur einen Bruchteil davon nehmen wir bewusst wahr: Um einer Reizüberflutung zu entgehen, sortiert unser Gehirn systematisch aus. In unserem Denkorgan entscheidet sich, ob wir die Bilder, die auf die Netzhaut unserer Augen fallen, bewusst wahrnehmen oder nicht.
Wie dieser Prozess genau vonstatten geht, ist bisher jedoch weitestgehend unbekannt. Wissenschaftler um Thomas Reber von der Universität Bonn haben diesen Mechanismus nun genauer untersucht – und gezeigt, wie manche Reize auf dem Weg ins Bewusstsein gewissermaßen "versickern".
Wahrnehmung im Bildertest
Für ihre Studie nutzten die Forscher ein lange bekanntes Phänomen: Zeigt man Menschen nacheinander zwei Bilder, nehmen diese das zweite nur dann bewusst wahr, wenn der zeitliche Abstand zum ersten lang genug ist. Im Versuch bekamen 21 Probanden eine Abfolge von Fotos präsentiert, die im Abstand von etwas mehr als einer Zehntelsekunde wechselten.
Zuvor hatten Reber und seine Kollegen ihnen zwei Motive gezeigt, auf die sie besonders achten sollten. Am Ende mussten sie angeben, ob sie diese beiden Motive im Strom der anderen Bilder gesehen hatten. "Wir haben dabei den zeitlichen Abstand zwischen den beiden gesuchten Fotos variiert", erklärt Reber: "Mal erschienen sie direkt hintereinander auf dem Monitor, mal waren ein anderes Foto oder sogar mehrere dazwischen."
Ins Gehirn geblickt
Es zeigte sich: Erschienen die gesuchten Bilder direkt hintereinander, nahm rund die Hälfte der Teilnehmer nur das erste bewusst wahr. Was aber war im Gehirn passiert, dass dem Bewusstsein eines der Motive entgangen war? Das konnten die Wissenschaftler untersuchen, weil alle Probanden der Studie Epilepsie-Patienten waren, denen zu Therapiezwecken Spezialelektroden in die Schläfenlappen implantiert worden waren.
Der nützliche Nebeneffekt: "Damit konnten wir die Reaktion einzelner Nervenzellen auf visuelle Reize messen", erläutert Rebers Kollege Florian Mormann. "Wir wollten so herausfinden, inwiefern sich die Verarbeitung von Bildern unterscheidet – je nachdem, ob sie bewusst wahrgenommen wurden oder nicht."
Späte Trennung
Wenn ein Bild auf die Netzhaut fällt, leitet der Sehnerv die dazu gehörigen Reize zunächst an die Hinterseite des Schädels zum sogenannten visuellen Cortex – dem primären Sehzentrum. Dort verzweigt sich das Signal; ein Teil läuft durch den Schläfenlappen zurück Richtung Stirn. Die Messungen offenbarten, wie sich die elektrischen Pulse auf diesem Weg verändern: "Im hinteren Bereich des Schläfenlappens – also dem, der früher in der Verarbeitungskette liegt – gibt es kaum Unterschiede zwischen bewusst und unbewusst verarbeiteten Bildern", berichtet Reber.
Die Aufspaltung in bewusst und unbewusst passiert erst danach: Auf dem Weg in die vorderen Teile des Schläfenlappens erfolgen die Pulse bei unbewussten Bildern mit einer immer größeren Zeitverzögerung. Zudem werden sie auf ihrer Reise immer schwächer. "Die Trennung zwischen bewusst und unbewusst erfolgt damit deutlich später, als viele Forscher bislang vermuteten", sagt Reber.
Gesehen ja, wahrgenommen nein
Damit ist klar: Das Auge registriert das Foto zwar und erzeugt ein entsprechendes Signal. Dieses scheint auf dem Weg ins Bewusstsein jedoch zu "versickern". Als Folge nimmt der Proband das Bild nicht wahr. "Es ist schon erstaunlich", meint Reber: "Wir können mit unseren Messungen nachweisen, dass der Patient ein bestimmtes Motiv gesehen hat – auch wenn der diese Tatsache auf Nachfrage verneint." (Current Biology, 2017; doi: 10.1016/j.cub.2017.08.025)
(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 25.09.2017 - DAL)
Nota. - Also nicht im Moment des Kontakts mit der Sinneszelle geschieht die Unteerscheidung, sondern erst auf dem Weg nach vorn in den Stirnbereich, wo die Aufmerksamkeit sitzt. Als nächstes wüsste man gern: Wer macht die Unterscheidung - wer scheidet, und warum? Auf den ersten Blick möchte man meinen, es müsse mit der Aufmerksamkeit zu tun haben. Die Aufmerksamkeit verstärkt die Scheidung - oder besser gesagt: Sie ist die Scheidung. - Mit Wörtern kommt man offenbar nicht weiter. Was muss man sich vorstel- len?
JE
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