aus derStandard.at, 22. Jänner 2017, 09:00 Nervenzellen im Hippocampus
Innsbrucker Forscher
entschlüsseln das Gedächtnis
Molekularbiologen der Medizinischen Universität Innsbruck forschen an
den Grundlagen für das Langzeitgedächtnis
von Steffen Arora
Innsbruck – Kein anderes Organ im menschlichen Körper stellt die
Wissenschaft bis heute vor so viele Rätsel wie das Gehirn. Die
Molekularbiologen Galina Apostolova und Georg Dechant von der
Gemeinsamen Einrichtung für Neurowissenschaften an der Medizinischen
Universität Innsbruck haben nun einen weiteren Schritt bei der
Entschlüsselung der Funktionsweise unseres Gedächtnisses geschafft.
Konkret wurde nachgewiesen, dass ohne das Protein Satb2 im zentralen
Nervensystem kein Langzeitgedächtnis gebildet werden kann. Satb2 regelt
im Zellkern die dreidimensionale Anordnung der DNA. Die neue Innsbrucker
Studie, die im Wissenschaftsmagazin eLife publiziert wurde, belegt nun,
dass eine korrekte Ausführung von Gedächtnisleistungen nur möglich ist,
wenn die DNA richtig angeordnet ist. Bei Versuchen mit erwachsenen
Mäusen gelang es den Forschern durch die Entnahme und das
Wiederhinzufügen des Proteins Satb2 aus dem Gehirn, das
Langzeitgedächtnis der Tiere aus- und wieder einzuschalten.
Vor allem dieses neue Tiermodell schafft Möglichkeiten der Umlegbarkeit
der Forschungsergebnisse auf den Menschen. Bei Patienten werden
Mutationen des menschlichen Satb2-Gens nicht nur für schwerwiegende
Beeinträchtigungen der höheren Denkfunktionen verantwortlich gemacht,
sondern sie vermitteln auch ein erhöhtes Risiko, an Schizophrenie zu
erkranken.
Standen bei der Gedächtnisforschung bisher die synaptischen Verbindungen
zwischen Nervenzellen im Vordergrund, belegen nun neue Arbeiten, wie
die der Innsbrucker Wissenschafter, dass die Grundlagen für unser
Langzeitgedächtnis auch im Zellkern zu suchen sind. Anders als etwa
Hautzellen erneuern sich Nervenzellen so gut wie nicht durch
Zellteilung.
"Diese Zellen und ihr Zellkern müssen ein ganzes Leben lang ihre
Funktion erfüllen und sich plastisch an Veränderungen anpassen. Wir
vermuten, dass die Abnahme von Denkleistungen im Alter auch mit der
Verschlechterung der Leistung der Kerne von Nervenzellen zusammenhängen
könnte", erklärt Dechant.
Verteilung des Proteins
Interessant ist auch die Verteilung des Satb2-Proteins, das nur sehr
selektiv in zwei Bereichen des Gehirns vorkommt: im zerebralen Kortex,
wo Gedächtnisinhalte abgespeichert werden, und im Hippocampus, wo das
Gedächtnis gebildet wird.
Gerade hinsichtlich möglicher neuer Therapieformen ist diese Verteilung
besonders wichtig, weil sich Satb2 somit als ideales Target anbietet, um
Gedächtnisleistung zu verändern, ohne dass Vitalfunktionen, die von
anderen Gehirnregionen gesteuert werden, durch Nebenwirkungen in
Mitleidenschaft gezogen werden.
Durch die Entschlüsselung der Wirkung von Satb2 im Nervenzellkern sind
Apostolova und Dechant in ihrer Forschung einen großen Schritt
weitergekommen. "Ziel unserer zukünftigen Arbeiten wird es sein, einen
Wirkstoff in Form eines Medikamentes zu finden, der die Funktion von
Satb2 im Gehirn beeinflusst." Um ihre Erkenntnisse für den Menschen
anwendbar zu machen, bedarf es noch viel Arbeit.
Ringen um Mittel
Finanziert wurde die Forschung vom Wissenschaftsfonds FWF. Ohne ihn,
einen Spezialforschungsbereich sowie ein Doktoratskolleg wäre die
Forschung nicht möglich gewesen, sagen die Wissenschafter. Durch diese
Netzwerke wurde auch die Zusammenarbeit mit Nicolas Singewald vom
Institut für Pharmakologie an der Innsbrucker Universität ermöglicht,
die wesentlich zum Erfolg der Arbeit beigetragen hat.
"Es wäre wichtig, wenn Österreich den FWF mehr wertschätzen würde und
mit mehr Mitteln ausstatten könnte. Wir tun uns sehr schwer, langfristig
zu planen, und sind im Vergleich mit unseren internationalen Kollegen
unterfinanziert", beschreibt Dechant die alltäglichen Schwierigkeiten in
seiner Arbeit.
Denn die Konkurrenz schläft nicht. Die Neurowissenschaften entwickeln
sich immer mehr zur Leitwissenschaft. Das bleibt für den Arbeitsmarkt
für Wissenschafter nicht ohne Folgen. So sind Neurowissenschafter
zunehmend auch in der Wirtschaft und der IT-Branche gefragt. "Auch dort
hat man großes Interesse daran, die Grundlagen menschlichen Verhaltens
besser zu verstehen."
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