Donnerstag, 13. Oktober 2016

Eine zweite Kopernikanische Wende: die Dunkle Materie.


 
Dunkle Materie in einer Computersimulation der Entstehung des Universums nach dem Urknall.

Der Wiener Standard bringt heute ein Inteview mit dem deutsch-österreichischen Elementarphysiker Jochen Schieck. Er  ist seit 2013 Direktor des Wiener Instituts für Hochenergiephysik der Akademie der Wissenschaften, seit 2014 ist er Professor für Teilchenphysik am Atominstitut der Technischen Universität Wien

Das Intervier führte Tanja Traxler.
 
.... STANDARD: Als Sie 2013 Direktor wurden, brachten Sie ein weiteres Forschungsfeld ans Hephy: Dunkle Materie. Wie kam es dazu?

 Schieck: Meiner Ansicht nach wird die Trennung zwischen Teilchenphysik und Astrophysik immer geringer. Man kann das eine nicht mehr ohne das andere betrachten. Viele Hinweise zeigen, dass das Standardmodell der Teilchenphysik nicht alles sein kann. Gleichzeitig gibt es Beobachtungen in der Astrophysik wie zum Beispiel Dunkle Materie, bei denen offene Fragen bestehen. Meine Idee war, die Expertise des Hauses in Richtung Astroteilchenphysik zu erweitern. Wenn man in der Physik weiterkommen will, kann man nicht nur eng fokussierte Detailfragen betrachten.

STANDARD: Wie gehen Sie vor, um Dunkle Materie zu erforschen?

Schieck: Wir haben uns dazu einer Kollaboration angeschlossen – der CRESST-Kollaboration. Das Experiment wird im Gran-Sasso-Untergrundlabor in Italien durchgeführt. Es basiert auf den Annahmen, dass Dunkle Materie existiert und diese durch ein neues Teilchen beschrieben werden kann. Dazu gibt es viele Theorien, und der Bereich des möglichen Gewichts dieses neuen Teilchens beträgt mehrere Größenordnungen. Daher kann man nicht mit einem Experiment die Frage lösen, was Dunkle Materie ist, man muss sie aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Mit dem CRESST-Experiment hat man in einem bestimmten Massenbereich die beste Möglichkeit, nach Dunkler Materie zu suchen. 

STANDARD: Was ist die Aufgabe des Hephy dabei? 

 Schieck: Wir simulieren das Experiment. Es gibt viele Untergrundprozesse, die wir verstehen müssen, um das Signal, nach dem wir suchen, identifizieren zu können. Außerdem bringen wir durch die Cern-Kooperation Erfahrung mit, wie Software für Großexperimente konzipiert werden kann. 

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STANDARD: Sie sind nicht nur Direktor des Hephy, sondern haben seit 2014 auch eine Professur an der Technischen Universität Wien – wie gehen Sie mit dieser Doppelfunktion um? 

Schieck: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ein Forschungslabor allein viel weniger effektiv ist, als wenn man eine direkte Anbindung zu einer Universität und zu Studierenden hat. Es ist klar, dass mir Zeit bei der Forschung abgeht, wenn ich Vorlesungen halte, aber ich sehe das nicht als Verlust – im Gegenteil: Mir ist der Kontakt zu Studierenden extrem wichtig. Man muss sie früh im Studium abholen und für ein Feld begeistern, und das funktioniert nur über den persönlichen Kontakt.

STANDARD: Es scheint Ihnen ein Anliegen zu sein, nicht nur Studierenden wissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln, sondern auch einer breiteren Öffentlichkeit – warum? 

Schieck: Darauf könnte ich Ihnen viele Antworten geben. Wenn ich vor fachfremdem Publikum von meiner Arbeit erzähle, sehe ich immer, wie begeistert die Leute sind – das will ich einfach teilen. Wenn Wissenschafter anfangen, nicht mehr nach außen zu kommunizieren, und nicht mehr spüren, was die eigene Motivation ist, wenn man sich als Wissenschafter von der Gesellschaft entkoppelt, dann ist das der Anfang vom Ende für die Wissenschaft. 

STANDARD: Aber ist es nicht schwierig, die komplexen Fragen, an denen Sie arbeiten, herunterzubrechen? 

Schieck: Ich glaube gar nicht, dass es so komplexe Fragen sind, sie sind relativ einfach. Zum Beispiel: Wenn beim Urknall genauso viel Materie wie Antimaterie produziert wurde, warum gibt es jetzt plötzlich nur noch Materie? Das ist eine einfache Frage, jeder kann das verstehen. Kompliziert sind oft nur die Methoden, mit denen wir versuchen, diese Fragen zu beantworten. Auch ich selbst lerne dazu, wenn ich versuche, die Fragen, an denen ich arbeite, einfach zu formulieren. Der nächste Schritt ist, daraus Konsequenzen abzuleiten, zum Beispiel: Was bedeutet es für unser Selbstverständnis, wenn es Dunkle Materie gibt, wenn es also viel mehr gibt als nur die Masse, die wir sehen? 

STANDARD: Wie würden Sie auf diese Frage antworten?

Schieck: Darauf würde ich philosophisch antworten: Ich sehe das wie meine Kollegen, die sagen, dass Dunkle Materie so etwas wie eine zweite kopernikanische Wende ist. Die Erkenntnis, dass sich die Sonne nicht um die Erde dreht, sondern umgekehrt, hatte zur Folge, dass sich der Mensch weniger wichtig nimmt. Durch Dunkle Materie erkennen wir erneut, dass wir nicht im Zentrum stehen, sondern nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen sind. (Tanja Traxler, 13.10.2016)   

Jochen Schieck (45) ist seit 2013 Direktor des Wiener Instituts für Hochenergiephysik der Akademie der Wissenschaften, seit 2014 ist er Professor für Teilchenphysik am Atominstitut der Technischen Universität Wien

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