aus derStandard.at, 1. Juli 2016, 13:31
Das Glück liegt nicht in den einzelnen Genen
Eine Studie mit 300.000 Menschen hat ergeben, Wohlbefinden, Depression und neurotisches Verhalten können angeboren sein, aber die Effekte einzelner Gene sind winzig
Manche Menschen geraten in eine Depression wenn es mal nicht so gut läuft, andere schütteln das Unwohlsein ab und wenden sich neuen Abenteuern zu. Zufriedenheit ist eine äußerst subjektive Empfindung. Hat also ein Mensch die Fähigkeit zum Glücklichsein, der andere nicht?
Eine umfangreiche internationale Studie des "Social Science Genetic Association Consortiums" (SSGAC) hat konkrete Genabschnitte gefunden, die Wohlbefinden, Depression und neurotisches Verhalten beeinflussen. Das Konsortium von 178 Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen untersuchte anonymisierte genetische Daten von fast 300.000 Menschen und entdeckte Abschnitte im Genom, die mit Lebenszufriedenheit und Glücklichsein in Verbindung stehen. "Psychologisches Wohlbefinden wird größtenteils durch die Umwelt, aber auch durch genetische Faktoren beeinflusst. Welche Genabschnitte dabei eine Rolle spielen, war bis jetzt nahezu unbekannt", erklärt Gert G. Wagner, Mitautor der Gen-Studie.
Das Wissenschaftskonsortium hat drei genetische Varianten identifiziert, die mit subjektivem Wohlbefinden in Zusammenhang stehen. Es wurden auch elf genetische Varianten für Neurotizismus und zwei für Depressionen gefunden. Die genetischen Varianten für Depressionen konnten von den Forschern in einer unabhängigen Stichprobe von 370.000 zusätzlichen Studienteilnehmern repliziert werden.
Glück selbst in der Hand
"Obwohl die genauen biochemischen Mechanismen, die diesen Befunden zugrunde liegen, noch weitestgehend ungeklärt sind, scheinen die identifizierten Genorte die Regulation der Genexpression des Gehirns zu beeinflussen. Hierauf können nun zukünftige funktionell-genetische Experimente aufbauen", sagt Lars Bertram von der federführenden Interdisziplinären Plattform für Genomanalytik der Universität zu Lübeck. "Den größten Anteil vom Glück haben wir allerdings noch selbst in der Hand", betonen die Wissenschaftler.
Trotz der ausgeprägten statistischen Signifikanz der Befunde seien die identifizierten Gene nur für einen Bruchteil der Erblichkeit von psychologischem Wohlbefinden verantwortlich und erklären weniger als ein Prozent der Unterschiede im Wohlbefinden in der Bevölkerung. Die geringe Erklärungskraft einzelner Gene widerspräche allerdings nicht der oftmals hohen Erblichkeit von Persönlichkeitseigenschaften innerhalb einer Familie, so Philipp Köllinger, Professor für "Gen-Ökonomie" an der Freien Universität Amsterdam, der zu den Hauptautoren gehört.
Ungewöhnlich große Studie
"Ganz der Opa!" – die verblüffenden Ähnlichkeiten innerhalb einer Familie sind von Tausenden, wenn nicht von Millionen verschiedenen genetischen Varianten beeinflusst. Die Forscher gehen jedoch davon aus, dass künftig durch Studien in einer Größenordnung von mehreren Millionen Probanden weitere genetische Varianten für psychologisches Wohlbefinden gefunden werden.
Schon jetzt ist die Größe der Studie für die Sozialwissenschaften recht neu. "In den Sozial- und auch den Gesundheitswissenschaften haben große Konsortien, wie man sie zum Beispiel aus der Atomphysik kennt, bislang keine Rolle gespielt. Seitdem wir uns aber auch mit den genetischen Grundlagen menschlichen Verhaltens beschäftigen, ist das ganz anders geworden", sagt Wagner. (red.)
Nota. - Die salomonische Lösung der Problems: angeboren oder selbstgemacht? ist nun fast hundert Jahre alt und stammt von Alfred Adler: Angeboren werden lediglich Dispositionen. Was aus ihnen wird, hängt von Vielem ab; in erster Linie von der sozialen Umgebung und dem eigenen Willen.
JE
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