aus Der Standard, Wien,12.7.2016
Kapuzineraffen als Nussknacker
Ein weiterer Fall von Werkzeuggebrauch im Tierreich: Die kleinen Primaten in Brasilien nützen seit über 700 Jahren Steine, wie Forscher rekonstruieren konnten
von Klaus Taschwer
Oxford/Wien – Es ist mittlerweile auch schon wieder über 50 Jahre her, dass die britische Primatologin Jane Goodall erstmals Werkzeuggebrauch bei Schimpansen in freier Wildbahn dokumentierte: Das erste Beispiel war der Einsatz von Stöcken, um Termiten zu angeln. Außerdem fand sie heraus, dass die Menschenaffen Steine als Hammer und Amboss verwendeten, um damit Nüsse und andere hartschalige Früchte zu knacken. Mittlerweile ist der Gebrauch von Werkzeugen bei verschiedenen Tierarten belegt, längst nicht nur bei Menschenaffen: Auch bestimmte Vogelarten greifen mit ihren Schnäbeln zu Ästen, Seeotter legen sich Steine auf den Bauch, um rückenschwimmend Muscheln zu öffnen, Elefanten verwenden Zweige, um lästige Insekten zu verscheuchen.
university of oxford
Besonders geschickt in der Verwendung von Werkzeug sind Kapuzineraffen in Brasilien. So ist seit einigen Jahren bekannt, dass sie Steine benützen, um mit deren Hilfe Wurzeln im Erdreich freizulegen. Sie verwenden außerdem Zweige, um in Astlöchern nach Insekten, Wasser oder Honig zu stochern. Und zum Nussknacken verwenden Rückenstreifen-Kapuziner ebenfalls Steine.
Forscher um Michael Haslam, die bereits bei verschiedenen Primatenarten Werkzeuggebrauch erforschten, versuchten nun im Fachblatt "Current Biology" zu rekonstruieren, seit wann die Primaten diese von Generation zur Generation weitergegebene Kulturtechnik verwenden. Dafür kam ihnen zupass, dass die Tiere ihr Werkzeug an die gleichen Orte zurücklegen, bevorzugt neben die Stämme von Cashewbäumen, deren Früchte sie knacken. Laut ihren archäologischen Untersuchungen dürfte der Gebrauch von Steinwerkzeug bei den Kapuzineraffen mindestens 700 Jahre alt sein, womöglich aber noch viel älter, berichten die Wissenschafter. Zum Vergleich: Makaken in Thailand haben vermutlich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts gelernt, mit Steinen Nüsse, und Muscheln aufzuschlagen.
Abstract
Current Biology: "'Pre-Columbian monkey tools'"
aus Die Presse, Wien, 11.07.2016 | 18:00 |Konservative Technologie der Affen Kapuzineraffen in Brasilien knacken ihre Cashewnüsse seit mindestens 700 Jahren mit speziell ausgesuchten Steinen.
Dass es der Werkzeuggebrauch sei, der den Menschen – als Homo faber – auszeichne, diese Vorstellung haben die Biologen schon lang ad acta gelegt: Nicht nur Menschenaffen setzen Steine und Stöcke z. B. als Hämmer und Speere ein, auch Delfine, Elefanten und Krähen verwenden eindeutig Werkzeuge.
Für die Urgeschichte der Menschen spielt eine wesentliche Rolle, wie sich der Werkzeuggebrauch über die Jahrtausende entwickelt hat. Archäologen lesen viel aus der Form bearbeiteter Steine, sie gliedern die Zeit danach: Vor 600.000 Jahren, sagen sie, habe das (nach einem Fundort benannte) Acheuléen mit seinen Faustkeil-Industrien begonnen, vor 120.000 Jahren, im Mittelpaläolithikum, seien die Keile asymmetrisch geworden usw.
Über die Geschichte des Werkzeuggebrauchs bei Tieren wurde bisher noch wenig geforscht, gerade über die Schimpansen an der Elfenbeinküste weiß man Einschlägiges. Nun haben Archäologen um Michael Haslam (University of Oxford) untersucht, ob und wie die Rückenstreifen-Kapuzineraffen – mit dem hübschen amtlichen Namen Sapajus libidinosus – ihre Cashewnüsse knacken und früher geknackt haben. Dazu verwenden sie größere Steine als Ambosse und kleinere als Hämmer, wobei sie auch auf das Material schauen: Für die Hämmer bevorzugen sie den harten Quarzit, für die Ambosse flache Sandsteine.
Spuren der Nüsse
Das tun diese Affen seit mindestens 700 Jahren. Das entnehmen die Archäologen Ausgrabungen im brasilianischen Nationalpark Serra de Capivara, wobei sie die Spuren der Nüsse an den Steinen mit Massenspektrometrie nachweisen. Es ist nicht anzunehmen, dass jeder Affe diese Technik aufs Neue erfindet, also kann man getrost von einer Weitergabe dieses Verhaltens über ungefähr hundert Generationen sprechen. Auffällig sei, dass sich die äffische Technologie in dieser Zeit gar nicht geändert habe, schreiben die Forscher in Current Biology (26, R515), sie nennen das „a strongly conservative element to capuchin stone technology“.
Menschen sind da typischerweise weniger konservativ. Sie ziehen es übrigens vor, die Cashewnüsse zu rösten – was die Affen nicht können –, und das nachweislich in dieser Gegend seit mindestens 7000 Jahren. Trotzdem spekuliert Haslam, wenn auch nicht in der Publikation, sondern nur in einer Aussendung: „Es ist möglich, dass die ersten Menschen, die dort ankamen, diese unbekannte Nahrung kennenlernten, indem sie die Affen und ihre Cashew-Verarbeitungsindustrie beobachteten.“
Nota. - "Menschen sind da typischerweise weniger konservativ", und das macht vielleicht den entscheidenden Unterschied aus. Im Einzelnen mögen die Fortschritte im Werkzeugbau minimal und gleitend gewesen sein; aber dass ein steter Fortschritt offenbar beabsichtigt war, macht einen qualitativen Unterschied aus.
Doch ein bloßes Gedankenexperiment verrät: Sobald ein Werkzeug seine Aufgabe zufriedenstellend erfüllt, gibt es keinen Anlass, es weiter zu entwickeln. Der Antrieb muss also in den Aufgaben gelegen haben: Es sind die Zwecke, die die Menschen immer höher entwickelt haben, und für die waren neue Werkzeuge erforderlich.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen