Ausschnitt aus der dreidimensionalen Karte zeigt die Verteilung von fast 50000 Galaxien. Die Farben signalisieren den Abstand von der Erde (gelb heisst nah). (Bild: Daniel Eisenstein and SDSS-III)
aus nzz.ch, Weltmodell auf dem Prüfstand
Eine dreidimensionale Karte des Weltalls bestätigt, dass unser Universum von dunklen Kräften regiert wird. Bei Kosmologen weckt der Erfolg ihres Standardmodells zwiespältige Gefühle.
Christian Speicher
In den letzten zwanzig Jahren hat sich in der Kosmologie ein Weltmodell etabliert, das nicht rundum glücklich macht. Zwar wird das Standardmodell der Kosmologie durch verschiedene Beobachtungen gestützt. Da es jedoch zu 95 Prozent auf unbekannter Physik beruht, würden es nicht wenige Kosmologen begrüssen, wenn sich Risse in diesem Theoriegebäude zeigten. Diese Hoffnung ist nun einmal mehr enttäuscht worden. Eine dreidimensionale Karte des Universums, die 1,2 Millionen Galaxien umfasst, zeigt, dass sich das Weltall seit einigen Milliarden Jahren genau so entwickelt, wie es das Standardmodell der Kosmologie erwarten lässt.
Spielball dunkler Mächte
Das
Weltmodell, das sich in den letzten Jahren herauskristallisiert hat,
fusst auf der Einsteinschen Gravitationstheorie. Es postuliert aber,
dass es neben der gewöhnlichen Materie noch andere Materie- und
Energieformen geben muss. Da wäre die dunkle Materie, die durch ihre
Anziehungskraft massgeblich zur Ausbildung von Strukturen im frühen
Universum beigetragen haben soll. Der grosse Gegenspieler der dunklen
Materie ist die dunkle Energie. Diese hypothetische Energieform wirkt
der Gravitation entgegen und beschleunigt deshalb die Expansion des
Universums. Zusammen machen dunkle Materie und dunkle Energie laut
Standardmodell über 95 Prozent des Universums aus. Die gewöhnliche
Materie der leuchtenden Sterne ist also der Spielball «dunkler» Mächte.
Dieses
Bild – so lückenhaft es auch ist – ist in den letzten Jahren immer
wieder bestätigt worden. Einen weiteren sehr genauen Test liefert nun
der «Baryon Oscillation Spectroscopic Survey» (Boss). In den letzten
zehn Jahren hat ein internationales Team von Astrophysikern mit einem
Teleskop in New Mexico 1,2 Millionen Galaxien kartiert, die über ein
Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren verteilt sind. Die
nächstgelegenen Galaxien sandten ihr Licht vor 2 Milliarden Jahren aus,
die entferntesten vor 7 Milliarden Jahren. Damit deckt die Untersuchung
jene Epoche ab, in der sich die Expansion des Universums zu
beschleunigen begann.
Der
Wechsel der Perspektive lässt die räumliche Verteilung der Galaxien
erkennen, die zwischen zwei und sieben Milliarden Lichtjahre von der
Erde entfernt sind. (Bild: Jeremy Tinker and SDSS-III)
Akustischer Fingerabdruck
Die Forscher interessierten sich vor allem für die grossräumige Verteilung der Galaxien in diesem Volumen. Eine aufwendige Analyse zeigt,
dass die Galaxien einen ganz bestimmten Abstand voneinander bevorzugen,
der mit der Expansion des Universums grösser wird. Man nennt diese
charakteristische Längenskala auch akustische Skala, weil sie dem
Universum 380 000 Jahre nach dem Urknall durch Schallwellen aufgeprägt
wurde. Indem man aus der Galaxienverteilung extrahiert, wie diese Skala
mit der Zeit gestreckt wurde, lässt sich im Prinzip die gesamte
Expansionsgeschichte des Universums rekonstruieren.
Die Grafik zeigt das Universum zu drei verschiedenen Zeiten. Ganz rechts sieht man den Mikrowellenhintergrund. In den kleinen Unregelmässigkeiten war schon damals die grossräumige Struktur des Universums angelegt. Zu erkennen ist auch das ringförmige Muster, das dem Mikrowellenhintergrund durch Schallwellen aufgeprägt wurde. Mit der Expansion des Universums wächst auch der Durchmesser des Rings, was sich auf die grossräumige Verteilung der Galaxien in späteren Epochen auswirkt. (Bild: E.M. Huff, the SDSS-III team)
Die
Auswertung der Daten bestätigt das Standardmodell der Kosmologie auf
ganzer Linie: Der bevorzugte Abstand zwischen den Galaxien hat sich im
fraglichen Zeitraum just so entwickelt, wie es das Seilziehen zwischen
der anziehenden dunklen Materie und der abstossenden dunklen Energie
erwarten lässt. Die Erweiterung des Standardmodells um zusätzliche
Parameter – etwa zusätzliche Neutrino-Sorten – führte nicht zu einer
besseren Übereinstimmung mit den Beobachtungsdaten.
Zudem
sind die Daten mit einer Unsicherheit von nur 5 Prozent mit der
Vorstellung verträglich, dass die dunkle Energie – was immer sich hinter
ihr verbirgt – eine kosmologische Konstante ist. Kompliziertere
Modelle, in denen sich die dunkle Energie mit der Zeit verändert, können
zwar nicht ausgeschlossen werden, machen die Übereinstimmung mit den
Daten aber nicht besser.
Gravitation wie im Bilderbuch
Zu
guter Letzt liefern die Daten auch eine Bestätigung der Einsteinschen
Gravitationstheorie. In einem expandierenden Universum bewegen sich die
Galaxien wie Rosinen in einem aufgehenden Kuchenteig voneinander weg.
Daneben haben sie aber auch noch eine Eigenbewegung. Denn die
Gravitationskraft zieht die Galaxien dorthin, wo mehr Materie vorhanden
ist. Durch die Analyse dieser Eigenbewegung konnten die Forscher zeigen,
dass es keine Notwendigkeit gibt, die Einsteinsche Gravitationstheorie
auf kosmischen Skalen zu modifizieren.
Für
das Standardmodell der Kosmologie sind diese Resultate zweifellos ein
Erfolg. Die Kehrseite der Medaille ist, dass die Natur der dunklen
Materie und der dunklen Energie weiterhin rätselhaft bleibt.
Möglicherweise hätte man mehr gelernt, wenn sich in den Daten
Widersprüche zum Standardmodell angedeutet hätten, sagt Ariel Sanchez
vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, der
massgeblich an der Untersuchung beteiligt war. Doch man könne sich das
Verhalten der Natur nicht aussuchen.
Die Hoffnung vieler Kosmologen beruht nun auf weiterführenden Untersuchungen. Das Nachfolgeprojekt eBoss sammle
bereits seit zwei Jahren Daten, sagt Jean-Paul Kneib von der ETH
Lausanne, der das Projekt leitet. Mit den ersten Ergebnissen sei in
einigen Monaten zu rechnen. Anders als mit Boss werde der Fokus auf der
Zeit zwischen 7 und 10 Milliarden Jahren vor heute liegen. Indem man die
Expansionsgeschichte des Universums weiter in die Vergangenheit zurück
verfolge, sollten sich die Parameter des Standardmodells noch genauer
bestimmen lassen. Auf diese Weise, so hofft Kneib, werde man das Wesen
der dunklen Energie noch genauer eingrenzen können.
aus scinexx Die baryonischen akustischen Oszillationen hinterließen subtile Schwankungen in der Galaxienverteilung.
Größte 3D-Galaxienkarte verrät Expansion des Kosmos Vermessung von 1,2 Millionen Galaxien spricht gegen eine höhere Hubble-Konstante
Fünf Milliarden Lichtjahre tief und ein Viertel des Himmels groß: Das sind die Ausmaße der bisher größten dreidimensionalen Galaxienkarte, die Astronomen je erstellt haben. Auf Basis von rund 1,2 Millionen Galaxien haben Forscher damit die kosmische Expansion präzise nachgemessen. Das Spannende daran: Ihre Werte für die Hubble-Konstante stimmen zwar gut mit einigen vorherigen überein - nicht aber mit allen.
Sie ist noch immer die große Unbekannte im Universum: die Dunkle Energie. Sie ist die Triebkraft für die Expansion des Kosmos, doch woraus sie besteht und wie stark sie zu verschiedenen Zeiten wirkte, ist weitgehend ungeklärt. Messungen der Expansionsrate sorgen immer wieder für Rätselraten, weil sie je nach Methode deutlich voneinander abweichen.
650 Milliarden Kubiklichtjahre
Ein Team aus hunderten von Astronomen hat nun die bisher umfangreichste dreidimensionale Galaxienkarte fertiggestellt. Die Forscher des Baryon Oscillation Spectroscopic Survey (BOSS) hatten bereits vor zwei Jahren erste Vorabversionen dieser Karte genutzt, um die Entfernungen von 1,2 Millionen Galaxien mit einem Prozent Genauigkeit zu vermessen – so präzise wie nie zuvor.
"Zehn Jahre lang haben wir Messungen von 1,2 Millionen Galaxien über ein Viertel des Himmels hinweg gesammelt, um damit die Struktur des Universums in einem Volumen von 650 Milliarden Kubiklichtjahren zu kartieren", sagt Jeremy Tinker von der New York University, einer der Leiter des Projekts. Die jetzt abgeschlossene Karte zeigt Galaxien aus der Zeit von vor zwei bis sieben Milliarden Jahren und erfasst damit eine entscheidende Zeit: Bisherigen Erkenntnissen nach nimmt die kosmische Expansion seit etwa fünf bis sechs Milliarden Jahren an Tempo zu.
"Eingefrorene" Dichtewellen als Messlatte
Um die Ausdehnungsrate und damit die Wirkung der Dunklen Energie zu messen, analysieren die Forscher in der neuen Karte subtile Schwankungen in der Verteilung der Galaxien. Sie entstanden durch Dichtewellen im frühen Kosmos, sogenannte Baryonische Oszillationen. Rund 400.000 Jahre nach dem Urknall brach die Kopplung von Licht und Materie jedoch zusammen, so dass das Muster dieser Dichtewellen quasi "eingefroren" wurde.
Genau das ermöglicht die Messung der kosmischen Expansion: Weil sich diese primordialen Dichtewellen sowohl in der kosmischen Hintergrundstrahlung als auch in der späteren Galaxienverteilung widerspiegeln, können Forscher durch Vergleiche beider auf die seither erfolgte Expansion schließen.
Diskrepanzen bei der Expansion
Das Ergebnis: Die BOSS-Forscher kommen auf einen Wert der Hubble-Konstante von 67,6 Kilometer pro Sekunde pro Megaparsec (km/s/Mpc). Damit aber liegen sie sehr nahe an dem Wert von 67,15 km/s/Mpc, den der Planck-Satellit im Jahr 2013 ermittelt hatte – und deutlich niedriger als die erst vor wenigen Wochen veröffentlichten Ergebnisse eines Teams, das die Expansion anhand von Supernovae und veränderlichen Sternen bestimmt hatte.
"Unsere Karte sagt uns, dass sich der Einfluss der Dunklen Energie in dem von uns betrachteten Zeitausschnitt sehr langsam, wenn überhaupt, verändert hat", erklärt Florian Beutler von der University of Portsmouth.
Die Auswertungen der Galaxienkarte scheinen damit das klassische Modell eines flachen Universums mit kalter, Dunkler Materie (ΛCDM) zu bestätigen. Nach diesem halten sich der Einfluss der Masse und der Dunklen Energie so die Waage, dass die Expansion erst nach unendlich langer Zeit stoppen wird. Auch das von den Forschern beobachtete Verhalten der Galaxien entspricht genau den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie.
Offene Fragen bleiben
Die Diskrepanzen mit den neuesten Supernovae-Messergebnissen der Hubble-Konstante bleiben damit jedoch bestehen. "Ob dies mit einer Kombination aus statistischen und systematischen Fehlern erklärt werden kann oder ob das flache ΛCDM-Modell zusammenbricht, ist eine spannende offene Frage", konstatieren die Forscher.
In jedem Falle hat sich die neue Galaxienkarte schon jetzt als ein wertvolles Werkzeug der Kosmologie erwiesen: "Wir glauben, dass der Baryon Oscillation Spectroscopic Survey einen wichtigen kosmologische Meilenstein markiert, indem er präzise Messungen der Materieverteilung in einem enormen Volumen des Kosmos mit detaillierten Modellierungen und Beobachtungen des kosmischen Mikrowellenhintergrunds verbindet", so das Fazit der Astronomen. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, in press; arXiv:1607.03155)
(Lawrence Berkeley National Laboratory / BOSS, 15.07.2016 - NPO)
Nota. - Am liebsten wäre den Naturwissenschaftlern ein Modell, das einfach und schön ist.
Das macht sie sympathisch. Aber unschuldig ist es nicht: denn sie liebäugeln heimlich immer wieder mit einem intelligent design, und danach sieht das gegenwärtige Standardmodell mit all seinen Ungleichgewichten, notwendigen Zusatzannahmen, diskreten Größen und Regelwidrigkeiten ganz und gar nicht aus.
Einfach und schön, das sind ästhetische Maßstäbe, und dass sie unserer Intelligenz als ihr eigenes Ideal vorschweben, ist am Ende vielleicht deren ultimative Rechtfertigung. Aber sie kann sich doch nicht selber zum Maßstab des Universums aufwerfen; wie ein Zwölfjähriger, den der Hafer sticht!
JE
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