Gedächtnisforschung
Erinnern fördert Vergessen
von Lena Stallmach
Ist das Vergessen ein passiver oder ein aktiver Prozess? Gedächtnisforscher sind sich diesbezüglich nicht einig. Während das eine Lager davon ausgeht, dass Erinnerungen einfach verblassen beziehungsweise durch neue überlagert werden, favorisiert das andere die Ansicht, dass irrelevante Erinnerungen gezielt gelöscht werden. Für die zweite Hypothese bringen Forscher nun einen Beleg anhand von bildgebenden Verfahren. Sie zeigen, dass das mehrmalige Abrufen einer Erinnerung das neuronale Muster einer konkurrierenden Erinnerung abschwächt.¹
Störende Erinnerungen unterdrückt
Als Erstes testeten Maria Wimber von der University of Birmingham in Grossbritannien und ihre Kollegen das Gedächtnis von Probanden. Diese lernten jeweils zwei Gruppen von Bild-Wort-Paaren, wobei ein Wort jeweils mit zwei unterschiedlichen Bildern assoziiert werden musste: Beispielsweise das Wort Sand mit Marilyn Monroe im ersten Durchgang, im zweiten mit einem Hut. Danach wurde ein Teil der Wörter jeweils vier Mal genannt, wobei sich die Probanden nur das erste Bild möglichst detailliert in Erinnerung rufen sollten. Zusätzlich nannten sie auch die Kategorie des Bildes (Gesicht, Objekt oder Ort), damit die Forscher überprüfen konnten, ob sich die Probanden korrekt erinnerten. Anfangs funkte das zweite Bild oft dazwischen, dies geschah aber immer seltener. Eine halbe Stunde später konnten sich die Probanden schlechter an Details aus dem zweiten Bild, dem Störbild, erinnern im Vergleich zu Bildpaaren, bei denen keines der Bilder in Erinnerung gerufen wurde. Das mehrmalige Abrufen einer Erinnerung scheint demnach ähnliche, störende Erinnerungen aktiv zu hemmen.
Zu ähnlichen Ergebnissen waren zwar auch schon andere Forscher gekommen. Doch Wimber und ihre Kollegen gingen in ihrer Studie noch einen Schritt weiter, indem sie die Hirnaktivität der Probanden mit der fMRI untersuchten. In Hirnregionen, in denen visuelle Informationen verarbeitet werden, erzeugen verschiedene Bilder unterschiedliche Aktivitätsmuster. Die Forscher konnten zeigen, dass ein Wort anfangs noch die neuronalen Muster für beide Bilder aktivierte. Mit jedem Abrufen verschob sich die Aktivität allerdings in die Richtung des abgerufenen Bildes. Vor allem war das Aktivitätsmuster für das Störbild nach viermaligem Abrufen des richtigen Bildes schwächer als das Muster für ein Bild, das niemals gestört hatte.
Sinnvolles Vergessen
Bei dieser gezielten Unterdrückung von dazwischenfunkenden Erinnerungen scheinen Hirnregionen im Stirnhirn eine Rolle zu spielen, wie die Studie zeigt. Je stärker die neuronalen Muster der Störbilder gehemmt wurden, desto höher war die Aktivität in diesen Regionen.
Wimber geht davon aus, dass irrelevante Erinnerungen durch das regelmässige Abrufen von ähnlichen, wichtigen Erinnerungen irgendwann ganz gelöscht werden. Das sei auch sinnvoll, sagt sie. Wenn man einen neuen PIN-Code für ein Bankkonto habe, könne man den alten getrost vergessen. In anderen Situationen, etwa beim Lernen von zwei Fremdsprachen, von denen man die eine selten braucht, ist es dagegen weniger praktisch.
¹ Nature Neuroscience, Online-Publikation vom 16. März 2015.
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