aus Die Presse, Wien,17.03.2015
Beim Urteilen folgt das Gehirn den Augen
Was man länger sieht, gefällt einem besser, man wusste es vom Essen. Aber es gilt auch für Moralfragen.
Ob es um das Essen geht oder um den Einkauf, das Auge entscheidet mit, jeder Koch weiß es, und in jedem Supermarkt ist das, was man am wenigsten braucht und was am meisten kostet, dort platziert, wo es ins Auge sticht. Da hilft der Einkaufszettel oft nichts, die Emotion überrennt die Vernunft, und spätestens beim Heimschleppen des Gekauften muss man sich eingestehen, dass man nicht ganz so Herr im eigenen Haus ist, wie man sich das gern vormacht: Wir werden unterschwellig von der Umwelt gesteuert.
Das läuft über alle Sinne – wer etwas Kaltes in der Hand hält, verhält sich sozial kalt –, auch über das Auge. Nun ja, das mag im Alltagspraktischen so sein, beim Einkaufen, aber im Grundsätzlichen lassen wir uns doch vom Auge nichts dreinreden! Und wie! Psychologen um Philip Pärnamets (Lund) belehren uns eines Schlechteren: Sie haben Testpersonen ins Labor geladen und sie über moralische Fragen urteilen lassen, etwa darüber, ob „Lügen immer schlecht“ ist oder „Töten in manchen Fällen gerechtfertigt“ sein kann.
Ist Lügen übel? Je nach Augen-Blick!
Erst bekamen die Probanden die Fragen zu hören, dann sahen sie die alternativen Antworten auf einem PC, links stand etwa: „manchmal gerechtfertigt“, rechts: „nie gerechtfertigt“. Die Varianten waren verschieden lang zu sehen, die Augen schweiften hin und her, das wurde per Kamera dokumentiert. Dann wurde das Urteil abgefragt: Die Variante, die länger im Blick war, überwog, zugleich fiel das Urteil rascher und mit größerer Sicherheit. Das heißt, dass das Hin und Her der Augen und das des Urteilens im Gehirn zusammenhängen: Am Ende neigt man rational dorthin, wo man länger hingesehen hat.
In der erste Runde tauchten die Alternativen nach Zufall auf, in der zweiten bestimmten die Experimentatoren. Wieder wurde überwiegend das länger Gesehene gewählt: Die Zeit (der Augen-Blicke) entscheidet über die Inhalte (der Urteile). Das wusste man schon von der Wahl von Speisen: Man nimmt die, die man länger im Auge hat (Pnas, 16. 3.). „Der Prozess, in dem man zu einer moralischen Entscheidung kommt, kann durch den Blick der Augen determiniert werden“, schließt Pärnamets. Und sein Kollege Petter Johansson mahnt zur Wachsamkeit: „Schon heute sind alle möglichen Sensoren in Mobiltelefone eingebaut, sie können auch Augenbewegungen nachverfolgen. Damit haben sie das Potenzial, unsere Entscheidungen in einer Weise zu beeinflussen, wie es früher unmöglich war.“
Nota. - Wichtigkeit! Bei Hunden wird's der Geruchssinn sein, sie verbringen ja den halben Tag mit der Nase am Boden, bei Katzen vielleicht eher... das Gehör? Bei uns Menschen ist die Wahrnehmung unter allen Sinnen am engsten an die Augen gebunden: Seit wir uns auf die Hinterbeine gestellt haben, reichen wir mit der Nase nicht mehr tief, dagegen haben wir einen weiten Überblick - und einen Blickwinkel von ziemlich 360°! Ist es irgend verwunderlich und gar eine spezielle Untersuchung wert, dass unsere Ein- sichten weitestgehend von unsern Sichten abhängen?
Viel geistreicher wäre es, darauf hinzuweisen, dass es sich - im Unterschied zu den meisten Tieren - um denjenigen Sinn handelt, von dem man noch am ehesten abstrahieren kann - und sei's nur, indem man die Augen schließt. Ein unangenehmer Ton, ein unangenehmer Geruch, ein unangenehmes Gefühl auf der Haut führt schnell zu körperlichem Unbehagen und kann nicht lange ausgehalten werden. An einen hässlichen Anblick dagegen kann man sich gewöhnen. Aber wenn die Augen dann doch mal eine starke körperliche Reaktion hervorrufen - Ekel, Abscheu, Mitleid, Empörung -, so sind es nicht die Sinnesempfindungen selbst, die sie bewirken, sondern der (geistige) Sinn, den wir ihnen beilegen.
Eigentlich handelt es sich um eine Untersuchung darüber, wie wenig unsere Urteile von unsern Sinnen geprägt sind.
JE
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog.
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