"Das Buch des Lebens ist in zwei Sprachen geschrieben"
INTERVIEW |
STANDARD: Das Jahr hat für Sie karrieretechnisch vielversprechend begonnen. Haben Sie das
erwartet?
Alexander Stark: Nein. Das Angebot, als Senior Scientist am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie zu arbeiten, bekam ich an meinem ersten Arbeitstag nach Weihnachten. Die Zusage zur Projektförderung durch den Europäischen Forschungsrat ergab sich erst vor kurzem.
STANDARD: Das Forschungsleben ist tendenziell eher von Unsicherheiten geprägt. Max Weber nannte es einst ein "wildes Hasard". Fühlen Sie sich nun sicherer?
Stark: Nein. Mein Gefühl orientiert sich nach wie vor an der Wissenschaft, wo man nie weiß, wo es hingeht und wo es keinen Raum zum Zurücklehnen gibt. Das hält den eigenen Antrieb am Laufen. Rational weiß ich natürlich, dass ich abgesicherter bin und besser planen kann.
STANDARD: Die Anzahl der Gene ist bei Mensch, Maus und Fliege ungefähr gleich groß. Was macht uns dann eigentlich zum Menschen?
Stark: Man muss nur bei den Primaten schauen: Beim Menschen und Schimpansen sind die Gene - genauer jene Bereiche der DNA, die Proteine codieren - zu über 99,9 Prozent identisch. Zumindest auf der sehr engen evolutionären Distanz zwischen Mensch und Schimpansen spielt die Gen-Regulation die Hauptrolle für die Entwicklung zweier Arten.
STANDARD: Was sind die großen offenen Fragen der Gen-Regulation?
Stark: Man weiß, dass die Gen-Regulation in sehr bestimmten Bereichen im Erbgut, genauer auf der DNA, festgeschrieben ist. Diese regulatorischen DNA-Abschnitte heißen Enhancer. Diese können mitunter über sehr lange Distanzen die Gen-Ablesung anschalten oder verstärken. Wie das im Detail funktioniert, ist noch völlig unbekannt. Wir wissen auch nicht, wie die Enhancer aussehen. Und es stellt sich die Frage, wie die Enhancer die Gene finden, deren Aktivierung sie dann steuern.
STANDARD: Weiß man, wie stark die Enhancer im Erbgut vertreten sind?
Stark: Es gibt Schätzungen, dass es im Menschen bis zu einer Million verschiedener Enhancer gibt, in der Fruchtfliege schätzungsweise ein paar Hunderttausend Enhancer.
STANDARD: Sie bezeichnen die Information der Enhancer als regulatorischen Code zur Aktivierung von Genen. Welche Informationen beinhalten die Enhancer?
Stark: Der regulatorische Code definiert alle in einem Organismus vorkommenden Zelltypen und gibt vor, wie aus einer einzigen Eizelle der ganze Körper mit den jeweiligen Zelltypen an den richtigen Stellen gebildet werden soll.
STANDARD: Die Enhancer sind also die Bauherren bei der Entwicklung von Organismen?
Stark: Die Enhancer funktionieren als Schalter der Gen-Aktivierung und letztlich auch als Schalter von der Entwicklung oder der Zelltypdifferenzierung. Sie weisen spezielle Bindestellen für bestimmte Transkriptionsfaktoren auf. Diese Bindestellen können aber in unterschiedlichen Kombinationen vorkommen. Von ihnen gibt es in der Fliege ungefähr 600 und im Menschen 1000. Es gibt bei uns damit quasi 1000 Wörter, die in unterschiedlichen Anordnungen vorkommen können. In diesen Kombinationen codieren sie den Plan, wie sich der menschliche Körper entwickelt. Das funktioniert wie bei Sprachen: Mit 26 Buchstaben formen wir durch beliebige Kombinationen der Buchstaben Wörter, aus Wörtern Sätze und aus Sätzen unendlich komplexe Texte.
STANDARD: Manche sprechen von der DNA als dem "Buch des Lebens" - eine nicht ganz unumstrittene Metapher. Doch wenn man nun einmal bei ihr bleibt: Kommen die Enhancer dabei zu kurz?
Stark: Die Enhancer sind ja als Abschnitte der DNA ein Teil des Buches. Dieses ist aber in zwei verschiedenen Sprachen geschrieben. Zum einen in der Sprache der Proteine, also dem genetischen Code. Dieser macht im Menschen aber nur zwei Prozent des gesamten Genoms aus. Der Rest ist nichtcodierend. In diesem Rest liegen die regulatorischen Elemente - und diese sind in einer anderen Sprache geschrieben. Diese wollen wir entschlüsseln.
STANDARD: Diese Sprache scheint besonders kompliziert zu sein.
Stark: Die Komplexität des Codes hängt mit der Komplexität dessen zusammen, was der Code definieren muss. Der genetische Code im Erbgut muss ja nur die insgesamt 20 Aminosäuren codieren und kann daher relativ einfach sein. Der regulatorische Code enthält viel komplexere Informationen.
STANDARD: Nochmals zu Ihrer Person: Sie haben ihre Forscherkarriere am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) gestartet und waren dann am MIT tätig - beides renommierte Institute für Molekularbiologie. War das geplant oder Glück?
Stark: Die Entscheidung, ans EMBL zu gehen, war reines Glück. Ich bin in der Rückschau bestürzt, wie naiv ich an die Wahl der PhD-Stelle herangegangen bin. Denn das war der entscheidende Moment. Ohne das EMBL wäre ich jetzt nicht hier. An das MIT zu gehen, war eine gezielte Wahl. Meine Erfahrung zeigt: Viele Nachwuchsforscher wissen nicht, worauf es beim Wechsel vom Studium ins Doktorat ankommt.
STANDARD: Worauf kommt es an?
Stark: Man sollte nicht aus Bequemlichkeit an der Heimat-Uni bleiben, sondern nach renommierten Instituten suchen. Diese erkennt man etwa an ihrem wissenschaftlichen Output und ob die Gruppenleiter und Professoren zu internationalen Konferenzen eingeladen werden. Zudem ist wichtig: Wie viele Ressourcen gibt es? Haben die Institute die neueste Ausrüstung? An der Uni ist es oft schwer, an diese Informationen heranzukommen. Obwohl ich ein sehr guter Student war, habe ich sie damals nicht bekommen.
Alexander Stark (40) studierte Biochemie und Bioinformatik. Der gebürtige Deutsche war am Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie in Heidelberg, am Broad-Institut der US-Unis MIT und Harvard sowie am MIT Computer Science and Artificial Intelligence Lab tätig. Seit 2008 wirkt er am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien, seit 2015 als Senior Scientist.
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