aus nzz.ch, 29. Mai 2014, 05:30
Conditio techno-humana
Das Heu im Nadelhaufen
Eduard Kaeser ⋅ Man spricht vom «information overload», von der
Überlastung und Übersättigung durch Information. Der amerikanische
Medientheoretiker Clay Shirky prägte gegen diesen Truismus einen Slogan:
Nicht die Überlastung mit Informationen ist das Problem, sondern das Versagen der Filter.
Halten wir uns die folgende ganz alltägliche Situation vor Augen. Ich mache einen Einkaufsbummel durch den Supermarkt. Überall und jederzeit fluten mich Angebote
und Verheissungen von Waren an. Meine Aufmerksamkeit ertrinkt
buchstäblich in diesem Umgebungsrauschen. Ich muss den grössten Teil
davon ausblenden, um mich auf ganz bestimmte Objekte zu konzentrieren. Das ist die herkömmliche Filterfunktion der Sinne: spezielle, meinen Absichten entsprechende Signale aus dem Rauschen herauszufischen.
Nun vergleiche man damit den virtuellen Einkaufsbummel via Klick.
Die Netzumgebung ist ungleich «smarter». Sie «erkennt» mich, ist auf
mein persönliches Kundenprofil zugeschnitten: Hallo Herr Kaeser, Sie
haben schon X und Y gekauft, es könnte Sie auch Z interessieren! Ich
bewege mich durch das
Netz als Zielobjekt, als «target». Die Umgebungsinformation ist kein
Rauschen, sondern ein massives gebündeltes Bombardement durch spezielle,
auf mich zugeschnittene Daten. Nicht das Rauschen stellt hier das Problem dar, sondern das Signal.
Man kann also zwei Arten von Informationen unterscheiden: solche, die für mich nicht wichtig sind (das Rauschen),
und solche, die für mich wichtig sind (die an mich persönlich
adressierten Signale). Moderne Filter, wie sie etwa bei Amazon oder
Anbietern von E-Mail-Diensten in Betrieb sind, unterscheiden immer besser
zwischen diesen beiden Arten. Das kann ein scheinbares Paradox
erzeugen: In dem Masse, in dem Informationen aussortiert werden, fühle
ich mich überlastet und übersättigt.
Wir haben es hier mit einer nicht-intendierten Konsequenz des digitalen Filters zu tun. Er schützt mich vor der einen Art von Information, damit eine andere Art ungehindert Zugang
zu mir findet. Er richtet mich ab auf ein bestimmtes Einkaufsverhalten.
Zoologen sprechen vom «Stereotypieren», wenn Tiere, deren Bedürfnisse
nicht befriedigt werden, in ein fixes Verhaltensschema fallen.
Internetfirmen bauen ihrerseits auf das Stereotypieren des Netzkunden.
So wird er als Werbe-Target immer besser einschätzbar.
Dem
digitalen Filter kommt dabei die Funktion zu, Informationen für mich
auszusuchen: Mitteilungen von Freunden und Kollegen, neue Apps,
Celebrity-Klatsch, Urteile von Experten, die ich schätze, Buch- oder
Artikelempfehlungen. Der Filter peppt all das auf zu Updates, Pop-ups,
Mails, News-Feeds, Offerten – zu einem stetigen, nie versiegenden
Datenstrom. Es handelt sich dabei wohlgemerkt nicht um lästigen Unflat,
sondern um höchst interessante, mich persönlich betreffende Information;
Stoff, den ich will und mag. Und davon kriege ich mit zunehmend besseren Filtern immer mehr.
Bessere
Filter mindern die Überflutung nicht, sie intensivieren sie, indem sie
sie punktgenau auf mich richten. Das ist ein klassischer Fall von
technischem «Solutionismus»: Man verkauft ein Problem als Lösung. Um es mit der
sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen auszudrücken: Früher gab es sehr
viel mehr Heu als Nadeln; heute gibt es fast nur noch Nadeln. – Aua!
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