Donnerstag, 12. Juni 2014

Eine Fresse zum Reinhaun.

aus Die Presse, Wien, 10.06.2014 | 18:36 |                                                                                          dante-saw

Anthropologie:
Prügelten die Männer die Menschheit empor? 
Die massigen Gesichter unserer ganz frühen Ahnen wurden in einem Rüstungswettlauf entwickelt, vermutet ein US-Biologe: Erst kam die Faust zum Zuschlagen, dann wurde das bevorzugte Ziel verstärkt, das Gesicht.

Von Jürgen Langenbach

Waren die ersten Menschen friedliche und freundliche Gesellen, geistig nicht allzu rege allerdings auch, und wurden sie einander erst durch die Ursünde des Privateigentums zu Wölfen? Oder waren sie das von Anfang an und konnten nur unter der starken Hand einer zentralen Autorität halbwegs miteinander auskommen? Diese Differenz markierten Rousseau und Hobbes, sie war natürlich vor ihnen schon da und blieb es bis heute, Autokraten und Kolonialisten bedienten sich bei Hobbes, Egalitäre suchten Gegenmodelle zu den eigenen Gesellschaften bei edlen Wilden, die letzte große Runde lief Mitte des 20.Jahrhunderts, als Margarete Mead das Paradies in der Südsee sichtete, mit freier Sexualität obendrein etwa in Samoa. Mead war Ethnologin, aus der Zunft kam heftiger Widerspruch, die Erforschung fremder Völker ist anfällig für Projektionen.
 

Aber wie soll man sonst unsere Ursprünge erkunden, wenn nicht an denen, die noch näher an ihnen leben? Soll man etwa in den paar Knochen lesen, die sich erhalten haben seit den fünf, sechs Millionen Jahren, vor denen sich unsere Ahnen von denen der Schimpansen getrennt haben?

Wir, die „aggressiven Affen“

Ja, exakt dort soll man hinschauen, antwortet seit geraumer Zeit David Carrier, der Biologe ist (an der University of Utah) und sich auch als „Friedensforscher“ versteht. In seinen Augen sind die Menschen die „aggressiven Affen“ – mehr noch: die „gewalttätigsten Wirbeltiere auf unserem Planeten“ –, und sie sind es nicht erst heute, sie waren es von Beginn an: Die Menschheit hat sich hinaufgeprügelt bzw. ihr männlicher Teil* hat es getan.

Auf die Idee kam Carrier 2007, als ihm auffiel, dass die ersten, die aufrecht gehen konnten – die Australopithecinen –, relativ kurze Beine hatten und lange Arme. Diese Ahnen lebten vor etwa 4,2 Millionen Jahren, partiell noch auf den Bäumen, zeitweise stiegen sie herab und gingen herum, aber gut gehen konnten sie wohl nicht, die Beine waren einfach zu kurz. Dafür lag der Schwerpunkt des ganzen Körpers tief, und darin sah Carrier den Schlüssel für den Bauplan: Die Männer hätten miteinander gekämpft – um Frauen und Reviere –, und sie hätten es mit den Armen getan, zugeschlagen. Und wer getroffen war, konnte es um so besser auspendeln, je tiefer sein Schwerpunkt lag.





Dann ging es bei Carrier Schlag auf Schlag, zunächst führte er auch die Erfindung des aufrechten Gangs selbst auf die ewige Aggression zurück: Viele Tiere erheben sich zum Kämpfen bzw. Drohen auf zwei Beine, Katzen, Hunde, Bären, auch Menschenaffen tun es. Aber nur einer blieb auf Dauer aufrecht, weil er so oft kämpfte, und weil Schläge von oben nach unten viel kraftvoller ausfallen als in Gegenrichtung, Carrier hat das experimentell an Boxern gemessen.

Fäuste ballen können nur wir

Zugeschlagen wurde natürlich mit der Faust, aber diese selbst war alles andere als natürlich: Nur wir können die Hände so ballen, Menschenaffen können es nicht, das war Carriers nächster Streich. Und nun hat er sich endlich auch den Körperteil angesehen, auf den (heute) am häufigsten eingedroschen wird, das Gesicht. Dort sitzen 83 Prozent aller bei Schlägereien gebrochenen Knochen, und unter ihnen wieder rangieren ganz oben der Unterkiefer, die Nase, die Augenhöhle. 


Paranthropus boisei

Ausgerechnet dorthin packten die frühen Menschen die meisten Knochen und Muskeln. Das erklärt man für gewöhnlich mit der Ernährung: Die Australopithecinen hätten umgestellt von Früchten auf Nüsse, und einer ihrer Verwandten – Paranthropus bosei – hatte solche Kieferpakete, dass man ihn auch „Nussknacker“ nannte. Aber in den letzten Jahren zeigten Isotopenanalysen seiner Knochen, dass er überhaupt keine Nüsse verzehrte, sondern Gras und Rinde, die brauchen auch starke Kiefer, aber keine ganz so starken.


Schädelvergleich (von oben nach unten) Gemeiner Schimpanse (Pan troglodytes), Australopithecus afarensis, Paranthropus boisei, Homo erectus und sapiens

Ein ähnliches Bild zeigen die Australopithecinen selbst: Ihr Kauaparat war viel stärker als zum Kauen erforderlich (und als Waffen haben sie ihre Zähne wohl so wenig benutzt, wie wir das tun). Carrier fasst all das zur Hypothese von der „schützenden Verstärkung des menschlichen Gesichts“ zusammen, die erhebt keinen Alleinerklärungsanspruch für die Gesichter der frühen Menschen, aber sie hat ein schwerwiegendes Indiz auf ihrer Seite, das des Sexualdimorphismus: Männer und Frauen sind anders gebaut, früher war die Differenz noch viel größer, und die Männer waren im Gesicht dort viel stärker gerüstet, wo die Schläge hinhagelten und die Energie abgeführt werden musste, an den Augen, an der Nase, am Kiefer, vor allem an dem. Gegessen hingegen haben Männer und Frauen wohl das Gleiche (Biol. Rev. 9.6.).

Abstract
Biological Reviews: Protective buttressing of the hominin face

*Nota.

Darum sagt man heute noch der Mensch und nicht das Mensch.
JE








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