Samstag, 21. Juni 2014

Noch einmal: Spiegelneurone.

C.Kleger  / pixelio.de
aus Die Presse, Wien, 22. 6. 2014

Warum wir uns mit Fans im Stadion mitfreuen Durch Spiegelneurone können wir uns in andere Menschen hineinversetzen.

von Petra Paumkirchner 

Während der WM fühlen wir mit weinenden und jubelnden Fans und Fußballspielern mit, wir zeigen Empathie. Aber wie funktioniert das eigentlich? Dafür sind die sogenannten Spiegelneurone im Gehirn verantwortlich, die beim Betrachten eines Vorgangs oder einer Emotion eines anderen Menschen das gleiche Aktivitätsmuster aufweisen, als ob wir eine Bewegung selber ausgeführt hätten oder das Gleiche fühlen würden. Außerdem sind sie dafür zuständig, dass wir zwischen uns selbst und anderen Menschen unterscheiden können.

Je mehr das Gesehene unseren Erfahrungen, insbesondere in Bezug auf die Betrachtung von motorischen Aktivitäten, entspricht, desto stärker feuern die Spiegelneuronen. Wir können dadurch eine Bewegung „lesen“, wir können die Intention, die hinter einer Handlung steht, nachvollziehen und deuten.

Das Resonanzsystem der Spiegelneuronen hat noch einen weiteren Effekt: Fans, die selbst Fußball spielen oder gespielt haben, und wissen, wie das Spiel funktioniert, können das Spiel besser „lesen“. Bei ihnen springen vor allem Spiegelneurone im primären motorischen Cortex an. „Studien haben gezeigt, dass diese Fußballexperten während des Spiels die Aktionen besser vorhersagen können. Dabei feuern diese Neuronen mehr als bei Zuschauern, die weniger von Fußball verstehen“, sagt Ornella Valenti von der Abteilung für Kognitive Neurobiologie am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien.

Eigene Erfahrungen. Diese speziellen Neurone lassen uns die Absichten anderer intuitiv erfassen. Und das umso besser, je stärker sich die Absichten mit den eigenen Erfahrungen decken. Das ist bei Autisten nicht der Fall. Es gibt zwei wissenschaftliche Meinungen, woran das liegen könnte. Eine amerikanische Gruppe ist der Ansicht, dass die Spiegelneuronen bei Autisten nicht funktionieren.
 

Italienische Forscher glauben, dass bei Autisten die synaptische Übertragung der Spiegelneuronen, also die Weiterleitung der Signale, gestört ist. Sie können zwischen einer gesehenen Handlung und der Absicht, die dahinter steckt, keine Verbindung herstellen.

Schlaganfallpatienten. In der Therapie von Schlaganfallpatienten sind Spiegelneuronen hilfreiche Adressaten. Den Patienten werden auf dem Bildschirm zunächst Übungen gezeigt, die diese später selbst durchführen sollen. Durch das Sehen der Bewegungen sollen die Spiegelneuronen aktiviert werden, die auch beim Lernen durch Imitation eine bedeutende Rolle schon beim Neugeborenen spielen. Die Aktivierung der Neuronen soll den Patienten helfen, ihre Lähmungen teilweise zu überwinden.

„Generell tragen Spiegelneuronen positiv zum Lernverhalten und zur Kommunikation bei“, erklärt Valenti. Sie sollen auch für die Sprachentwicklung wichtig sein: Wenn wir eine neue Sprache erlernen, imitieren wir, wir lernen, die Zunge und die Lippen so zu bewegen, dass wir die richtigen Laute hervorbringen.
 

Lexikon 

Spiegelneuronen wurden das erste Mal 1992 vom Italiener Giacomo Rizzolatti bei Makaken beschrieben. Empathie ist das Einfühlungsvermögen in eine andere Person.
Autismus ist eine Entwicklungsstörung, die sich in einer veränderten Wahrnehmungs- und Informationsverarbeitung manifestiert.
Der primäre motorische Cortex befindet sich im Frontallappen der Großhirnrinde und ist für die Steuerung willkürlicher Bewegungen zuständig.

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