aus nzz.ch, 28. Mai 2014, 19:05
Kataloge menschlicher Proteine
Der Evolution zuschauen
Unser Erbgut ist nicht statisch. Neue Proteine entstehen, nicht benötigte Gene werden stillgelegt. Das zeigt die nun präsentierte Entschlüsselung fast aller Proteine aus 30 Zelltypen.
Die biologische Entwicklung von Erwachsenen ist keineswegs so abgeschlossen wie weithin angenommen. Unser Erbgut befindet sich vielmehr auch nach Jahrtausenden des Menschseins weiterhin in einer Phase des Ausprobierens. Einen Blick auf solche Testmanöver in unseren Zellen zeigen zwei nun präsentierte, jeweils sehr umfangreiche Kataloge unserer Proteine.¹,²
Pseudogene sind doch aktiv
Sowohl das Team unter Leitung von Akhilesh Pandey von der Johns Hopkins University in Baltimore ¹ als auch jenes um Bernhard Küster von der Technischen Universität München ² haben jeweils etwa 18 000 Proteine aufgespürt. Rund 10 000 dieser Eiweissstoffe kommen immer in fast allen untersuchten Zelltypen vor, sie organisieren sozusagen den unspezifischen Alltag dort. Die US-Forscher haben die Eiweisse aus 30 verschiedenen menschlichen Zelltypen isoliert, die Münchner Wissenschafter auch noch Proteine aus Körperflüssigkeiten wie Blut und Urin in ihre Untersuchungen mit einbezogen. Die entnommenen Eiweissmoleküle wurden gereinigt, zerkleinert und die Fragmente mithilfe modernster Massenspektrometrie einzeln identifiziert.
Dabei wurden einige hundert Proteine gefunden, von deren Existenz bis anhin niemand etwas geahnt hatte. Denn die ihnen zugrunde liegenden Gene waren entweder unbekannt oder als sogenannte Pseudogene klassifiziert. Damit bezeichnet man Genabschnitte, die zwar Ähnlichkeiten mit normalen Genen aufweisen, bisher aber als beständig inaktiv eingeschätzt wurden. Welche Funktion diese neuen Proteine besitzen, ist derzeit unklar. Wie Küster vermutet, könnte es sich bei einigen dieser Proteine um neu entstandene Prototypen handeln. Sollten diese in bestehende Reaktionskaskaden passen oder auch eine neue Funktion aufweisen, die der Zelle ein besseres Überleben ermögliche, blieben sie eventuell erhalten.
Auch Beweise für die zweite Spielart der Evolution, das Aussortieren nicht mehr benötigter Gene, haben die Forscher entdeckt. Beide Teams stellten unabhängig voneinander fest, dass die Eiweissprodukte von ungefähr 2000 Genen in keiner der untersuchten Zelltypen und Körperflüssigkeiten vorkommen. Das könnten im Einzelfall technische Unzulänglichkeiten sein, auch seien manche dieser Erbgutabschnitte nur aufgrund von computerbasierten Vorhersagen und vermutlich fälschlicherweise zu Genen ernannt worden, erklärt Küster einen Teil des Rätsels. Aber in diesem Pool der «stummen» Gene befänden sich beispielsweise auch eine Reihe von Genen, die bei Tieren die Bauanleitung für Geruchsrezeptoren enthielten. Da der Mensch den Geruchssinn zum Überleben aber kaum noch benötigt, wurde es für die Zellen vermutlich energetisch gesehen zu aufwendig, die nutzlos gewordenen Riechproteine herzustellen. Also wurden deren Gene dauerhaft stillgelegt. Weder unser Erbgut noch die Proteinproduktion sind also statisch, die Evolution des Menschen läuft noch.
Proteinprofile von Zelltypen
Die Teams haben nun erstmals auch eine sehr detaillierte Liste der in den einzelnen Zelltypen vorhandenen Proteine erstellt. Somit weiss man nun auch, welche Eiweissmoleküle im Normalfall in welcher Menge zum Beispiel in einer Leber- oder einer Nervenzelle aktiv sind. Man will nun Proteinprofile gesunder Zellen mit denen von Patienten vergleichen, um so den einer Erkrankung zugrunde liegenden zellulären Defekt gezielter behandeln zu können. Die Vergleiche könnten auch frühzeitig Anzeichen für den Ausbruch von Krankheiten liefern. Das Münchner Team hat in einem ersten Schritt bereits die Wirkung von 24 gängigen Krebsmedikamenten auf 35 entartete Zelllinien charakterisiert. So hoffe man, künftig die Wirkung einer Substanz schon vor dem ersten Einsatz genauer abschätzen zu können, erläutert Küster.
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