aus derStandard.at, 15. Mai 2018, 07:00
Den neurobiologischen
Grundlagen des Trotzverhaltens auf der Spur
Forscher untersuchten Gehirnprozesse, die bei Entscheidungsprozessen
ablaufen. Trotzverhalten spiegelt sich demnach in der Aktivität
bestimmter Areale wider.
Bern – Viele Menschen reagieren auf Vorschriften mit Trotz, andere sind
hingegen froh, wenn ihnen eine Entscheidung abgenommen wird. Schweizer
Wissenschafter haben nun die Gehirnprozesse untersucht, die den
unterschiedlich starken Drang nach Entscheidungsfreiheit erklären
könnten. Ihre Ergebnisse sind nun im "Journal of Neuroscience"
erschienen.
Die Forscher um Daria Knoch und Sarah Rudorf von der Universität Bern
untersuchten gemeinsam mit Kollegen der Universität Konstanz 51 Personen
im Hirnscanner, während diese Entscheidungen treffen mussten. So
mussten die Probanden Geld zwischen sich und einer anderen Person
aufteilen. Die zweite Person ließ ihnen dabei entweder die freie Wahl
oder schrieb ihnen vor, die unfairste Aufteilung nicht zu wählen.
Die Gehirnaktivität der Testpersonen wurde mittels
Magnetresonanztomographie aufgezeichnet. Zudem wurden die Teilnehmenden
zu ihren Emotionen während der Entscheidungsfindung befragt. Das
Ergebnis: Wurde die Entscheidungsfreiheit der Testpersonen
eingeschränkt, sprich: wurden sie angehalten, die unfairste Aufteilung
nicht zu wählen, reagierten viele von ihnen trotzig und waren bei der
Aufteilung weniger großzügig als wenn sie frei entscheiden konnten.
Manche ließen sich durch die Vorschrift aber nicht beirren und waren
trotzdem spendabel.
Scheitel- und Stirnlappen beteiligt
Im Gehirn-Scan stellten die Forschenden fest, dass die Kommunikation
zwischen bestimmten Gehirn- bereichen darauf schließen lässt, wie stark
sich eine Person gegen eine Einschränkung wehrt. "Die Unter- schiede im
Trotzverhalten wurden insbesondere im Scheitellappen (Parietalcortex)
und Stirnlappen (Fron- talcortex) sichtbar, die zentral an Prozessen wie
Aufmerksamkeit und komplexen Entscheidungen beteiligt sind", sagte
Studienleiterin Knoch. Je stärker diese Gehirnbereiche kommunizierten
während die Testper- sonen eingeschränkt wurden, desto größer war das
Trotzverhalten.
Die Kommunikationsstärke der involvierten Gehirnbereiche spiegelte auch
wider, wie sehr eine Testperson die Vorschrift als Zeichen des
Misstrauens empfand und wie sehr diese Empfindung ihre Entscheidung
beeinflusste. Die Studie gebe erstmals Aufschluss darüber, wie
individuelle Unterschiede in den Reaktio- nen auf Einschränkungen der
Entscheidungsfreiheit neurobiologisch zustande kommen, so die Autoren.
Daraus könnten sich beispielsweise Implikationen für den
Gesundheitsbereich ergeben. "Indem wir die Reaktionen auf
Einschränkungen besser verstehen, können wir gezieltere Maßnahmen
ableiten, wie man die Kooperation erhöhen kann", so Knoch. (APA)
Link
The Journal of Neuroscience
Nota. - Erlauben Sie mir einen anachronistischen Verweis: Hätte Wolf Singer seinerzeit gesagt: Nicht ich trotze, sondern mein Parietal- und Frontalcortex - ? Hätte er daraus irgendwelche - etwa pädagogische - Folgerungen gezogen? Man hätte ihn wohl schon damals ausgelacht. Doch als er gesagt hat, nicht der Ver- brecher verbricht, sondern sein Gehirn, und das Strafrecht müsse dem Rechnung tragen - damit konnte er Furore machen.
JE
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