Montag, 31. Juli 2017

Haben die Sprachen aller Landbewohner einen gemeinsamen Ursprung?

Ob Berberaffe wie hier oder Frosch und Meise: Ob ein Tier emotional erregt ist oder nicht, erkennne wir erstaunlich gut allein an seinen Lauten.
aus scinexx                                                                                Berberaffe
  
Tiersprache: Gibt es einen Universalcode? 
Wir erkennen Erregung selbst bei Reptilien, Fröschen oder Vögeln

Wir verstehen Tiere besser als wir glauben: Ein Experiment belegt, dass der Mensch instinktiv die Emotionen von ganz verschiedenen Tierarten erkennen kann. Tonhöhe und Klang der Tierstimmen verraten uns, ob Frosch, Hund oder Vogel entspannt oder aufgeregt sind. Dies könnte darauf hindeuten, dass es unter den Landwirbeltieren eine Art Universalcode für den Ausdruck von Gefühlen gibt, wie die Forscher berichten.
 
Ob unser Hund traurig, entspannt oder glücklich ist, erkennen wir sofort – und umgekehrt kann auch er an unserer Stimme ablesen, wie wir uns fühlen. Auch mit Affen, Pferden, Katzen und anderen Säugetieren klappt die Kommunikation oft ganz gut, zumindest was das Grundgefühl angeht.
 
Instinktives Verständnis?
 
Aber wie sieht dies mit Tieren aus, die nicht so eng mit uns verwandt sind, wie den Echsen, Fröschen oder Vögeln? "Vor mehr als einem Jahrhundert stellte Charles Darwin die Hypothese auf, dass der stimmliche Ausdruck von Emotionen bis auf unsere frühesten landlebenden Vorfahren zurückgeht", erklären Piera Filippi von der Freien Universität Brüssel und ihre Kollegen.
 
Das jedoch würde bedeuten, dass alle Wirbeltiere über eine Art Universalcode verfügen: Instinktiv erkennen sie über alle Artgrenzen hinweg, welche Emotionen ein anderes Tier mit seinen Lauten gerade ausdrückt. Ob dies stimmt, haben die Forscher nun überprüft. Dafür spielten sie 75 Probanden Tonaufnahmen von Schweinen, Berberaffen, Elefanten, Pandas, Fröschen, Alligatoren, Raben und Meisen vor.
 
Ob dieser Baumfrosch erregt ist oder nicht, erkannten die Probanden sogar zu 90 Prozent korrekt.
 
Die Laute stammten von Tieren in entspannter, neutraler Stimmung oder in Erregung wie Angst oder Wut. Die menschlichen Probanden sollten angeben, wie hoch der Grad der Erregung bei den gehörten Lauten war.
 
Hohe Trefferquote
 
Das Ergebnis: Die Probanden schätzten den emotionalen Gehalt bei fast allen Lauten korrekt ein – und dies unabhängig davon, wie eng verwandt die Tierart mit uns ist. Bei Panda und Baumfrosch lagen sie in gut 90 Prozent der Fälle richtig, bei Alligator, Elefant und Meise in mehr als 80 Prozent. Die Laute von Rabe, Schwein und Berberaffe erreichten mehr als 60 Prozent Treffer.
 
"Damit war die Trefferquote für alle Arten signifikant höher als der Zufall", konstatieren Filippi und ihre Kollegen. Nähere Analysen zeigten, dass sich die Emotion in den Lauten vor allem in zwei Merkmalen verrät: einem erhöhten Grundton der Laute und der Lage des Mittelpunkts des Klangspektrums.


 
"Das belegt, dass Menschen dazu fähig sind, eine erregte Stimmung in den Lauten von Tierarten aller Klassen von Landwirbeltieren zu erkennen." Da die Probanden aus dem deutschen, englischen und chinesischen Sprachraum stammten, halten die Forscher dies zudem für eine grundlegende menschliche Fähigkeit.
 
Darwin könnte demnach mit seiner Hypothese durchaus richtig liegen. Nach Ansicht von Filippi und ihren Kollegen spricht ihr Ergebnis dafür, dass es im Tierreich tatsächlich eine Art Universalcode für den stimmlichen Ausdruck von Emotionen geben könnte. Die Fähigkeit, diesen "Gefühlscode" zu entschlüsseln, reicht dann womöglich tief in unsere evolutionäre Vergangenheit zurück. (Proceedings of the Royal Society B – Biological Sciences, 2017; doi: 10.1098/rspb.2017.0990)
 
(Ruhr-Universität Bochum, 28.07.2017 - NPO)

Sonntag, 30. Juli 2017

Optobow: Direkt ins Gehirn sehen.

aus derStandard.at, 30. Juli 2017, 11:49                                              aktivieret: magenta; verbunden. gelb

Neue Methode macht mithilfe von Licht Nervenverbindungen im lebenden Gehirn sichtbar
Verfahren zeigt, welche Nervenzelltypen wann und wo aktiviert werden

Martinsried – Deutsche Forscher haben eine Möglichkeit entwickelt, allein mittels Licht miteinander verbundene Nervenzellen im lebenden Gehirn zu entdecken. Mit der nun in "Nature Communications" präsentierten Optobow-Methode können einzelne Nervenzellen unter dem Mikroskop aktiviert werden; das Aufleuchten benachbarter Zellen zeigt dann den Weg des Informationsflusses. Damit werden selbst im Dickicht des Nervensystems Form und Verbindungen der Zellen sichtbar.

Moderne Methoden geben immer detailliertere Einblicke in den Aufbau und die Funktionen des Gehirns. Durch das Mikroskop zeigt sich, wann und wo Nervenzellen bei einer bestimmten Aktion aktiv sind. Ob die aktiven Zellen jedoch untereinander verbunden sind, oder in welcher Reihenfolge sie Informationen austauschen, bleibt dabei meist unsichtbar. Solche Informationen konnten bisher nur teilweise und mit großem Aufwand mit Methoden der Elektrophysiologie oder der Elektronenmikroskopie gewonnen werden.

Durchsichtige Fischgehirne

"Wir haben nach einem Weg gesucht, um die Verbindungen und Informationsweitergabe von Nervenzellen im aktiven Gehirn beobachten zu können, ohne das Gehirn zu schädigen, ja, es nicht einmal zu berühren", erklärt Dominique Förster. Mit dieser Motivation entwickelten Förster und seine Kollegen vom Max-Planck-Institut für Neurobiologie in Martinsried die Optobow-Methode, bei der mit Hilfe gentechnischer Verfahren der lichtempfindliche "ChrimsonR"-Ionenkanal in einzelne Nervenzellen im Gehirn von Zebrafischlarven eingeschleust wurde. Da Zebrafischlarven und auch ihr Gehirn durchsichtig sind, konnten die Forscher die ChrimsonR-Zellen allein durch das Anstrahlen der Fische mit Licht aktivieren.

Wie nützlich die neue Methode ist, konnten die Forscher bereits in ihren ersten Versuchen belegen: Im untersuchten Bereich des Zebrafischgehirns konnten sie zeigen, dass eine Information als Abbild in dem Gehirnbereich bleibt, bevor sie an andere Bereiche weitergeleitet wird. "Ich wüsste nicht, mit welcher anderen lichtmikroskopischen Methode wir diese Verbindung hätten entdecken können", meint Herwig Baier, der Leiter der Studie. "Mit Optobow können wir nun erstmals im Gehirn eines lebenden, aktiven Tiers beobachten, welche Nervenzellen untereinander verschaltet sind, wenn zum Beispiel ein Verhaltenskommando im Gehirn generiert wird." (red.)

Dienstag, 25. Juli 2017

Sprachgewalt.

aus scinexx                       

Kommunizieren synchronisiert die Gehirne
Verbaler Austausch bringt Gehirnaktivität der Gesprächspartner in Gleichtakt 

Gleichtakt der Wellen: Wenn wir uns mit jemandem unterhalten, verbindet uns dies nicht nur auf der bewussten Ebene. Die Kommunikation synchronisiert auch unsere Gehirnwellen, wie ein Experiment enthüllt. In mehreren Frequenzen gleicht sich die Hirnaktivität der Gesprächspartner aneinander an – und dies mehr, als nur durch das bloße Hören oder Sprechen erklärbar wäre, wie die Forscher im Fachmagazin "Scientific Reports" berichten.
 
Sprache ist für uns Menschen eines der wichtigsten Mittel zur Kommunikation. Entsprechend komplex ist das Muster der Hirnareale, die bei der Verarbeitung und Erzeugung der Sprache aktiv werden. Studien zeigen zudem, dass wir Sprache immer dann am besten verstehen, wenn unsere Gehirnwellen im Takt des gehörten Schalls schwingen.

Dialog mit Elektrodenkappe

Doch wie ist das bei einem Gespräch? Lässt sich am Gehirn ablesen, wie gut der verbale Austausch mit einem Gegenüber funktioniert? Das haben Alejandro Pérez und seine Kollegen vom Baskischen Zentrum für Kognition, Gehirn und Sprache in einem Experiment getestet. Dafür bekamen jeweils zwei Männer oder zwei Frauen die Aufgabe, sich durch einen Sichtschutz hindurch zu unterhalten.

Als Dialoghilfe bekamen die Probanden Fragen über die Themen Sport, Filme, Tiere, Reise und Musikvorlieben, die sie ihrem jeweiligen Gegenüber stellen sollten. Sie wurden zudem angewiesen, möglichst intensiv zuzuhören und sich die Antworten zu merken, weil diese später abgefragt werden würden. Während des Dialogs leitete die Forscher die Hirnwellen der Probanden mittels Elektroenzephalografie (EEG) ab.


Das Spannende daran: Nur ein Teil dieses Gleichtakts ließ sich durch die normale Reaktion des Gehirns auf die gehörte oder gesprochene Sprache erklären. Als die Forscher diesen bereits bekannten Effekt der akustischen Taktung ausschlossen, zeigten sich noch immer klare Indizien für eine Synchronität. "Demnach gibt es einen Gehirn-zu-Gehirn-Effekt, der von den auditorischen Prozessen unabhängig ist", sagen Pérez und seine Kollegen.

Gleichtakt über die bloße Sprache hinaus

Bei der Kommunikation mit anderen Menschen scheinen sich unsere Gehirne demnach in hohem Maße auf das jeweilige Gegenüber "einzuschwingen" – selbst wenn wir unser Gegenüber nur hören und nicht sehen. "Es gibt demnach eine Verbindung zwischen den Gehirnen, die über die bloße Sprachverarbeitung hinaus geht", sagt Koautor Jon Andoni Dunabeitia.
Beim Gespräch synchronisieren sich die Hirnwellen der Partner - über die bloße Sprachverarbeitung hinaus.
Beim Gespräch synchronisieren sich die Hirnwellen der Partner - über die bloße Sprachverarbeitung hinaus.

Nach Ansicht der Forscher könnte diese Synchronisierung der Hirnwellen sogar ein Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Kommunikation sein. Dies wiederum eröffnet ganz neue Möglichkeiten: "Wir könnten allein durch die Analyse ihrer Gehirnwellen herausfinden, dass zwei Menschen sich gerade unterhalten", sagt Pérez. "Das könnte sehr nützlich sein, beispielsweise bei Menschen, die Probleme mit der Kommunikation haben." (Scientific Reports, 2017; doi: 10.1038/s41598-017-04464-4)

(Plataforma SINC, 25.07.2017 - NPO)

Montag, 24. Juli 2017

Stress macht hilfsbereit.

vor Verdun
aus scinexx

Stress macht uneigennütziger 
Gestresste Menschen handeln häufiger selbstlos als ungestresste

Überraschend positive Wirkung: Stress hat nicht nur negative Folgen, sondern kann uns sogar selbstloser machen. Ein Experiment belegt, dass gestresste Menschen sich in Alltagssituationen häufiger für uneigennütziges Handeln entscheiden als nichtgestresste. Unter Stress sind wir offenbar eher bereit, Nachteile in Kauf zu nehmen, um anderen zu helfen. Warum das so ist und wie das Ganze neurophysiologisch funktioniert, ist allerdings noch unklar.

Stress ist eine der prägenden Folgen der modernen Gesellschaft. Überforderung, Zeitdruck und ständige Informations-Überflutung sorgen dafür, dass viele Menschen kaum mehr zur Ruhe kommen. Doch das hat Folgen: Stress macht vergesslich, sabotiert unsere Selbstkontrolle und beeinträchtigt unsere Sinneswahrnehmung. Außerdem fördert ständiger Stress langfristig Übergewicht und kann ähnliche Gesundheitsfolgen verursachen wie ungesundes Essen.

Aber wie sich jetzt zeigt, kann akuter Stress auch positive Effekte haben: Er kann die Neigung zu selbstlosem, hilfsbereitem Verhalten verstärken, wie Nina Singer von der Universität Regensburg und ihre Kollegen herausgefunden haben.

Helfen oder nicht?
 
Für ihre Studie setzten sie einen Teil ihrer 50 Probanden zunächst starkem Stress aus: Sie mussten spontan eine Präsentation vor unbekannten Bewertern halten, anschließend gab es eine Runde Kopfrechnen. Erst dann folgte das eigentliche Experiment: Gestresste und nichtgestresste Teilnehmer versetzten sich in 28 verschiedenen Alltagssituationen hinein, in denen sie sich jeweils zwischen egoistischem oder altruistischem Verhalten entscheiden sollten.

Ein Beispiel: Man eilt nach der Arbeit zum Bus, der gerade abfahren will. Ein älterer Herr lässt direkt vor einem versehentlich seine Einkaufstasche fallen und alles purzelt auf den Gehsteig. Was macht man? Hilft man dem Mann beim Einsammeln und verpasst dadurch den Bus? Oder ignoriert man den Mann und sein Problem und erwischt dadurch den Bus gerade noch?

Die Forscher werteten aus, wie sich die Probanden in diesen moralischen Dilemmata entschieden und ermittelten zusätzlich das Stressniveau über den Gehalt der Stresshormone im Speichel.

Selbstlosere Entscheidungen
 
Das überraschende Ergebnis: Akuter Stress wirkt sich auf moralische Alltags-Entscheidungen anders aus als man denkt. Denn die gestressten Teilnehmer handelten nicht etwa egoistischer, sondern sogar uneigennütziger als ihre nichtgestressten Mitprobanden. Sie entschieden sich deutlich häufiger für das selbstlose Handeln – selbst wenn dies zu ihrem Nachteil war, wie Singer und ihre Kollegen berichten. 

Und nicht nur das: Trotz oder gerade wegen des Stresses sorgten die selbstlosen Entscheidungen für eine bessere Stimmung bei den Probanden. Sie erlebten mehr positive Emotionen als ihre nichtgestressten Mitstreiter in der gleichen Situation, wie psychologische Befragungen ergaben. Die gestressten Teilnehmer waren zudem auch im Nachhinein noch sicherer, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Biologischer Sinn noch unklar
 
"Im alltäglichen Leben müssen wir oft unter Stress moralische Entscheidungen treffen", sagen Singer und ihre Kollegen. Diese Ergebnisse zeigen, dass sich dies keineswegs immer nur negativ auswirken muss. Stattdessen kann akuter Stress sogar dazu beitragen, jemanden sozialer und uneigennütziger handeln zu lassen.

Warum das so ist und ob der erhöhte Spiegel des Stresshormons Cortison dabei eine ursächliche Rolle spielt, müssen nun weitere Untersuchungen zeigen. (Hormones and Behavior, 2017; doi: 10.1016/j.yhbeh.2017.05.002)

(Universität Regensburg, 24.07.2017 - NPO)


Nota. - Mein schlichter Laienverstand mutmaßt, das Syndrom 'Stress' stamme aus den frühesten Zeiten unserer Gattungsgeschichte, und da wird es eher ein Gruppenerlebnis als eine Privatlaune gewesen sein. So läge es nahe, dass "die Evolution" gleich noch eine Dosis Kooperationsbereitschaft hinzugetan hat.
JE


 

Dienstag, 18. Juli 2017

"Replikationskrise" der Wissenschaft.

aus derStandard.at, 11. Juli 2017, 06:00

Reproduzierbarkeitskrise: 
Warum viele Irrtümer unentdeckt bleiben
Ein unausgewogenes Publikationswesen und einseitige Förderpolitik schaden der Wissenschaft


In den bisherigen Folgen von "Hier irrte die Wissenschaft" habe ich von den verschiedensten Arten der wissenschaftlichen Irrtümer berichtet. Und geirrt hat man sich oft, was aber eigentlich kein großes Problem ist. Menschen machen Fehler, und auch Wissenschafter sind nur Menschen. Fehler und Irrtümer sind ganz normale Bestandteile der wissenschaftlichen Methode (natürlich abgesehen von den Fällen, in denen Forscher absichtlich betrogen haben). Man versucht anhand der vorhandenen Informationen die bestmögliche Erklärung für ein Phänomen zu finden – und da kommt es eben auch einmal vor, dass neue Informationen zu einer Revidierung dieser Erklärung führen.

Die Wissenschaft macht Fehler. Die Wissenschaft ist aber immer auch aktiv darum bemüht, ihre Fehler zu finden und zu korrigieren. Zumindest theoretisch, denn in der Praxis sieht das leider oft anders aus. Haben Forscher eine Entdeckung gemacht, dann muss sie publiziert werden. Vor der Publikation steht immer der sogenannte Peer-Review-Prozess. Das bedeutet nichts anderes, als dass Experten die Arbeit prüfen und entscheiden, ob alles korrekt abgelaufen ist, ob noch Verbesserungen gemacht werden müssen oder die Publikation wegen mangelnder Qualität abgelehnt werden soll.


Das funktioniert im Großen und Ganzen auch recht gut. Aber natürlich sind auch die Gutachter selbst nur Menschen. Der Peer-Review wird nicht von speziell ausgebildeten "Über-Experten" erledigt, sondern von ganz normalen Wissenschaftern (und übrigens auch freiwillig und ohne Bezahlung). Jeder, der lange genug im Forschungsbetrieb arbeitet, wird früher oder später um ein Gutachten zu einer wissenschaftlichen Arbeit gebeten.

Übersehene Mängel

Und da kann es natürlich auch passieren, dass man als Gutachter einen Fehler macht, dass einem Mängel an einer Arbeit nicht auffallen oder man einfach noch nicht genug Informationen hat, um eine abschließende Bewertung abzugeben. Kurz gesagt: Wenn eine wissenschaftliche Publikation den Peer-Review-Prozess erfolgreich durchlaufen hat, können die dort beschriebenen Ergebnisse trotzdem falsch sein. Deswegen existiert in der Wissenschaft noch ein weiteres wichtiges Kriterium der Qualitätssicherung: die Replikation.

Es gibt viele Gründe, warum ein Ergebnis falsch sein kann. Simple Fehler bei der Datenauswertung, den Messgeräten oder der Darstellung der Daten. Es können auch schwieriger zu findende systematische Fehler sein; die Versuchspersonen bei medizinischen Studien können falsch ausgewählt worden sein, oder man hat zu wenig ausgewählt. Und so weiter – es kann jede Menge schiefgehen, und nicht immer bemerkt man das sofort. Deswegen sollte eigentlich jedes Ergebnis repliziert werden. Erst wenn ein Befund unabhängig bestätigt werden kann, sollte man die Sache ernst nehmen. 

Seltene Replikationen

Nur passiert leider genau das nicht immer. Oder besser gesagt: Es passiert viel zu selten. Und das hat Folgen: Im Jahr 2015 veröffentlichte ein internationaler Zusammenschluss von Wissenschaftern die Ergebnisse eines großangelegten Projekts. Sie versuchten sich an der Replikation der Ergebnisse von 100 psychologische Studien, die im Jahr 2008 in Fachzeitschriften publiziert worden waren. Mit einem schockierenden Ergebnis: Nur in 39 Prozent der Fälle konnten sie die Befunde bestätigen; die deutliche Mehrheit der Forschungsergebnisse ließ sich also nicht reproduzieren.

Das muss nicht unbedingt heißen, dass all diese Arbeiten völlig falsch sind. Aber sie sind zumindest nur eingeschränkt aussagekräftig und sollten genauer untersucht werden. Wenn sich aber niemand an einer Replikation versucht, dann bemerkt auch niemand, wenn entsprechender Handlungsbedarf besteht. Die Lösung für diese "Reproduzierbarkeitskrise" liegt eigentlich auf der Hand: mehr Replikationsversuche!

Nur ist die Angelegenheit leider nicht so einfach, sondern das Resultat eines viel umfassenderen Problems in der Wissenschaft. Bei der Bewertung wissenschaftlicher Karrieren, bei der Einwerbung von Forschungsmitteln, bei der Bewerbung an Universitäten geht es immer noch hauptsächlich um die Publikationsliste. Wer die meisten Fachartikel in den (vorgeblich) besten Fachzeitschriften veröffentlicht hat, der hat die besten Chancen.

Und es ist eben wesentlich einfacher, irgendwelche spektakulären neuen Ergebnisse zu veröffentlichen, als einfach nur schon vorhandene Arbeiten zu reproduzieren. Schon 1990 ergab eine Umfrage unter 79 Herausgebern wissenschaftlicher Fachzeitschriften, dass 94 Prozent davon keine Replikationsstudien in ihren Medien veröffentlichen wollen. 

Verschmähte negative Resultate

Das gleiche Problem haben Forscher, die bei ihrer Arbeit zu negativen Ergebnissen kommen. Eigentlich ist es aus rein wissenschaftlicher Sicht genauso wertvoll, darüber Bescheid zu wissen, was nicht funktioniert, wie zu wissen, was richtig ist. Jede Antwort ist relevant (natürlich nur sofern es die korrekte Antwort ist). Aber es ist fast unmöglich, solche negativen Ergebnisse in einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen; dort zählen nur die spektakulären positiven und neuen Erkenntnisse.

Und für die wissenschaftliche Karriere zählen nur die Veröffentlichungen – also landen die negativen Ergebnisse unpubliziert in irgendeiner Schublade. Dort kann aber niemand etwas mit der Information anfangen; beispielsweise auch keine Gutachter, die diese Kenntnisse vielleicht brauchen könnten, um die Gültigkeit anderer Arbeiten einschätzen zu können.

Die Reproduzierbarkeitskrise ist ein Resultat des immer unausgewogeneren wissenschaftlichen Publikationswesens, und das wiederum ist ein Ergebnis der einseitig ausgerichteten Förderpolitik. Solange es immer noch nötig ist, möglichst schnell möglichst viele "spektakuläre" Publikationen anzusammeln, um in der Wissenschaft Karriere zu machen, wird sich daran wohl auch nichts ändern. Und viele Irrtümer in der Wissenschaft werden weiterhin unentdeckt bleiben


Nota. - Publizität und Replikation sind der Kernbestand aller empirischen Wissenschaft. Anders ist Kritik als Dauerzustand nicht möglich. Wenn deren Widerspiel dauerhaft geschädigt würde, stünde der Bestand der Wissenschaft selbst in Frage. Das Internet kann allenfalls hinsichtlich der Publizität einen Ausweg bieten, und auch nur unter vielen erst noch zu schaffenden Bedingungen. Aber wer kommt für die Kosten der Kontrollversuche auf? Die werden schließlich immer höher.
JE

Montag, 17. Juli 2017

Raben können in die Zukunft planen.

Rabenschlau. Die Experimente mit den Vögeln helfen die Evolution der Intelligenz zu verstehen. 
aus Tagesspiegel.de,

Raben planen für die Zukunft
Vorausschauendes Denken gilt als typisch menschliche Fähigkeit. Jetzt beweisen Verhaltensforscher: Vögel können das auch.
 
von
 
Ist es der Schraubverschluss einer Pfandflasche, das Holzstäbchen, der Strohhalm oder doch das Stück Baumrinde? Der Kolkrabe beäugt genau, was ihm die Verhaltensforscher Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität Lund in Schweden im Rahmen eines Experiments anbieten. Sie wollen herausfinden, ob der Vogel vorausschauend denken kann. Seit Wochen haben sie dem Tier beigebracht, dass es für einen der Gegenstände am nächsten Tag ein leckeres Stück Hundefutter bekommt. Was für Menschen und Menschenaffen eine ziemlich leicht zu treffende Entscheidung ist, weil vorausschauendes Denken zum Standardrepertoire ihrer Gehirne gehört, haben Forscher Vögeln oder anderen Tieren bislang nicht zugetraut. Doch überraschenderweise muss der Kolkrabe nicht lange überlegen und greift sich den Flaschendeckel – wissend, dass es nur dafür am nächsten Morgen ein Leckerli geben wird.

„Dieses Experiment ist ein wichtiger Schritt, die Evolution der Intelligenz zu verstehen“, kommentiert der Verhaltensforscher Markus Böckle von der Universität Cambridge in Großbritannien die im Fachblatt „Science“ veröffentlichte Arbeit der schwedischen Kollegen.

Dass nun auch bei Kolkraben vorausschauendes Denken nachgewiesen ist, bedeutet aber nicht, dass schon der letzte gemeinsame Vorfahr von Vögeln und Menschenaffen, der vor über 300 Millionen Jahren gelebt haben dürfte, diese Fähigkeit besaß. Offenbar hat sich das intelligente Verhalten im Verlauf der Evolution der Vögel eigenständig entwickelt.

Rabenvögel gelten schon lange als clever

Rabenvögel gelten schon lange als besonders clever. So werfen mitteleuropäische Nebelkrähen gern Nüsse auf Straßen. Rollt ein Auto darüber, wird die Schale geknackt und die Krähe kommt an den Kern. „Neukaledonische Krähen stochern mit kleinen Ästchen nach Larven, die im Holz leben und stellen sich solche Werkzeuge sogar gezielt her“, sagt Böckle, der das Verhalten der Südsee-Krähen untersucht.

Die Experimente von Kabadayi und Osvath offenbaren nun das vorausschauende Denken der schwarzen Vögel. Dabei gibt ein kleiner Apparat einen Leckerbissen in Form von Hundefutter erst heraus, wenn ein Stein von oben in eine Öffnung geworfen wird. Die Kolkraben meistern diese Aufgabe mit Bravour. Danach dürfen die Tiere beobachten, dass der Apparat sich mit verschiedenen anderen Gegenständen nicht öffnen lässt. Am nächsten Tag sitzen die Kolkraben ohne Stein vor dem Apparat und kommen an ihren Leckerbissen nicht heran. Anschließend entfernen die Forscher das Gerät, lassen die Vögel eine Stunde warten und bieten den anscheinend frustrierten Tieren an einem anderen Ort vier verschiedene Gegenstände an. Auch wenn der Apparat mit dem Leckerbissen gar nicht da ist, nehmen die Kolkraben zielstrebig den Stein, der in die Öffnung passt. Eine Viertelstunde später stellen die Forscher das Gerät wieder an seinen Platz und die Vögel kommen mithilfe des Steins endlich an den Leckerbissen heran.

Die Vögel entscheiden sich für das, das langfristig mehr bringt

Im nächsten Teil des Experiments lernen die Kolkraben, dass sie für einen Flaschenverschluss ein Stück Hundefutter eintauschen können, das sie als ganz besonderen Leckerbissen sehr schätzen. In der Abschlussprüfung müssen sich die Tiere dann zwischen einem eigentlich begehrten Futter, das sie sofort schlucken können, und einem Stein oder einem Flaschendeckel entscheiden, mit dem sie sich später das noch begehrtere Hundefutter selbst aus dem Apparat holen oder es eintauschen können.

Die meisten Tiere ließen das direkt verfügbare Futter liegen und schnappten sich den nicht fressbaren Gegenstand, der ihnen später einen noch besseren Leckerbissen bescherte. Ein überzeugender Beweis für die vorausplanende Intelligenz der Kolkraben. 


Kolkraben können vorausschauend handeln und für die Zukunft planen.
aus scinexx

Auch Raben können vorausschauend planen
Schlaue Vögel schneiden in Tests sogar besser als als vierjährige Kinder
 
Raben beherrschen eine weitere "typisch menschliche" Fähigkeit: Sie können vorausplanen – und dies sogar in für sie ungewohnten Situationen. Im Experiment verschmähten sie ein Leckerli zugunsten eines Werkzeugs oder einer Wertmarke, obwohl diese erst mit Zeitverzögerung nützlich und futterbringend waren. Dieses vorausschauende Handeln hat man bisher nur bei Menschen und Menschenaffen beobachtet, wie die Forscher im Fachmagazin "Science" berichten.

Lange Zeit glaubte man, dass nur der Mensch die Fähigkeit besitzt, für die Zukunft zu planen. Denn egal, ob wir überlegen, welche Dinge wir auf eine Reise mitnehmen oder beim Mittagessen weniger essen, damit wir uns später noch ein Eis gönnen können - all dies erfordert komplexe geistige Leistungen. Wir müssen uns in zukünftige Situationen versetzen und unmittelbare Bedürfnisse zugunsten des langfristigen Ziels zurückstellen können.

Inzwischen belegen Beobachtungen, dass zumindest Menschenaffen ebenfalls zu diesen Leistungen fähig sind: So sammeln Zooschimpansen Steine, um später Besucher damit bewerfen zu können und Orang-Utans teilen ihren Artgenossen schon am Vorabend mit, wohin es am nächsten Tag geht. Ob jedoch auch Tiere außer unseren nächsten Verwandten vorausplanen können, blieb unklar.

Raben im Planungstest 

Jetzt belegen Can Kabadayi und Mathias Osvath von der Universität Lund, dass auch Raben in den illustren Club der begabten Vorausplaner gehören. Denn ihre Experimente demonstrierten: Die schlauen Krähenvögel haben selbst dann einen Sinn für die Zukunft, wenn es nicht um instinktgeleitete Verhaltensweisen wie das Verstecken von Futter geht.

In ihren Experimenten stellten die Forscher ihre fünf Raben absichtlich vor Aufgaben, die nicht zu ihrem normalen Verhaltensrepertoire gehören. In einem Test sollten sie eine Futterbox mit einem speziellen Werkzeug öffnen, in einem anderen eine Wertmarke nutzen, um sich damit vom Menschen Futter zu erkaufen. Beides fällt Kakadus und Krähen leicht, nicht jedoch den Raben.

Nutzen erst im Nachhinein 

Der Clou dabei: Das Werkzeug und die Wertmarke bekamen die Raben nicht dann, wenn sie diese brauchten. Stattdessen erhielten sie diese Objekte 15 Minuten oder sogar mehrere Stunden vorher – und mussten sich dabei zwischen diesen nützlichen Utensilien und einem Leckerbissen entscheiden. Die Vögel würden sich daher nur dann für Werkzeug oder Wertmarke entscheiden, wenn ihnen bewusst war, dass sich dies später auszahlen würde. 

Und tatsächlich: Die Raben verzichteten auf das sofortige Leckerli und entschieden sich für das erst in der Zukunft nützliche Utensil. In gut 88 Prozent der Fälle wählten sie das Werkzeug statt der Belohnung, für die Wertmarke entschieden sie sich sogar in 95 Prozent der Durchgänge, wie die Biologen berichten.

Besser als vierjährige Kinder

"Damit schneiden die Raben mindestens so gut ab wie Menschenaffen – und sogar besser als vierjährige Kinder", sagen Kabadayi und Osvath. Ihrer Ansicht nach belegen diese Ergebnisse, dass Raben zu echtem Vorausplanen fähig sind. "Sie zeigen Selbstbeherrschung und wägen auch den zeitlichen Abstand zu künftigen Ereignissen ab", so die Forscher. Zudem wenden die Vögel diese Fähigkeiten auch in Situationen an, die für sie keine Routine sind.

Die Raben gehören damit zum bisher kleinen Kreis der Tiere, die ebenso wie wir Menschen für ihre Zukunft planen können. Spannend ist dies vor allem deshalb, weil die Krähenvögel im Gegensatz zu den Menschenaffen nicht eng mit uns verwandt sind. Immerhin trennen Mensch und Vogel rund 320 Millionen Jahre der Evolution. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aam8138)

(Science/AAAS, 14.07.2017 - NPO) 


Nota. -  Rabenvögel sind nur die Avantgarde; wir mussten längst einsehen, dass sich menschliche Intelli- genz von tierischer Intelligenz nicht prinzipiell, sondern nur graduell unterscheidet. Aber in sehr hohem Grade; nicht doch etwa qualitativ? 

Dass unsere Intelligenz einen sehr viel weiteren Kreis unserer Lebenstätigkeit umfasst als die Intelligenz von Tieren, ist kein geringfügiger, sondern ein erheblicher Sachverhalt. Denn er hat eine systematische Ursache. Die Intelligenz von Tieren steht im Dienst der ihnen genetisch angestammten Bedürfnisse, sie ist ökonomisch und quantifizierend; tierische Intelligenz ist Verstand. Der Mensch aber erschafft sich selber neue Bedürfnisse

Wie das? Außer nach seinen Naturbedürfnissen beurteilt er das, was er vorfindet, auch qualitativ - nach gut und schlecht - und erweitert den Kreis seiner Lebenstätigkeit damit um ein Vielfaches. Seine Intelligenz enthält das Reich des Ästhetischen. Sie ist mehr als Verstand, sie ist Vernunft.
JE


Freitag, 14. Juli 2017

Epigenetische Vererbung an einem Beispiel.


aus derStandard.at, 14. Juli 2017, 18:37

Wie epigenetische Vererbung wirklich funktioniert
Bis vor kurzem galt es als undenkbar, erworbene Eigenschaften weiterzuvererben. Eine neue Studie dokumentiert nun ganz konkret, wie das passiert

Freiburg/Wien – Obwohl jede Zelle in unserem Körper genau dieselbe DNA-Sequenz enthält, besitzen wir mehr als 250 verschiedene Zelltypen: Hautzellen, Knochenzellen oder Nervenzellen sehen nicht nur sehr verschieden aus, sie erfüllen auch ganz andere Funktionen. Für diese Unterschiede sorgen sogenannte epigenetische Modifikationen, die letztlich dazu führen, dass Gene an- oder abgeschaltet werden.

Anders als die fixierten Buchstaben der DNA können sich diese epigenetischen Markierungen während unseres Lebens – etwa in Reaktion auf unsere Umwelt oder unseren Lebensstil – verändern. Mit anderen Worten: Stress, Krankheit oder die Ernährung wirken sich auf das epigenetische Gedächtnis der Zellen aus.

Unüberwindliche Barriere?

In den Lebenswissenschaften war man im 20. Jahrhundert überzeugt, dass solche epigenetischen Veränderungen nicht vererbt werden können: Sie würden bei der Entwicklung von Spermien und Eizellen völlig gelöscht. Das entsprechende Konzept dazu hat der deutsche Biologe August Weismann bereits 1883 formuliert: in Gestalt der nach ihm benannten, unüberwindlichen Barriere zwischen Körper- und Keimzellen.

Doch in den letzten Jahren mehrten sich Hinweise, dass epigenetische Markierungen tatsächlich an folgende Generationen weitervererbt werden und sich nicht an die Weismann-Barriere halten. So etwa zeigten neuere epidemiologische Studien eine Korrelation zwischen der Ernährung von Großvätern und einem erhöhten Risiko für Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei deren Enkeln.

Wie das genau passiert, blieb bisher aber weitgehend unklar. Ein Team um Nicola Iovino (Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik) hat nun in einer neuen Studie im Fachblatt Science etwas mehr Licht in die Frage gebracht, wie epigenetische Veränderungen von der Mutter auf den Embryo übertragen werden.

Lebenswichtige epigenetische Instruktionen

Die Studie wurde zwar an Fruchtfliegen durchgeführt, man konzentrierte sich dabei aber auf eine epigenetische Modifikation namens H3K27me3, die es auch beim Menschen gibt. H3K27me3 wirkt auf die Verpackung der DNA im Zellkern ein und damit auch auf das Stilllegen bestimmter Gene. Wie Iovino und seine Kollegen herausfanden, sind die H3K27me3-Modifikationen in den Eizellen der Mutter auch noch nach der Befruchtung im Embryo vorhanden.

Eikammer eines Fruchtfliegen-Weibchens mit der Eizelle, in der H3K27me3 durch eine grüne Anfärbung sichtbar gemacht wurde. Diese Zelle wird gemeinsam mit den Spermium zur Entstehung der nächsten Fliegengeneration beitragen. In der oberen rechte Ecke sind ein mütterlicher und väterlichen Vorkern vor ihrer Fusion während der Befruchtung abgebildet. Die grüne Färbung von H3K27me3 erscheint ausschließlich im mütterlichen Vorkern, was darauf hinweist, dass ihre epigenetischen Instruktionen in die nächste Generation vererbt werden.

Damit ließen es die Forscher aber nicht bewenden: Sie wollten zudem noch wissen, ob die epigenetischen Modifikationen auch Funktionen in der Embryonalentwicklung erfüllen. Tatsächlich zeigte sich, dass diese vererbten epigenetischen Instruktionen einen genau abgestimmten Mechanismus darstellen, um die Genaktivierung während des Prozesses der frühen Embryonalentwicklung zu regulieren.

Wir (ver-)erben eben nicht nur Gene

Damit zeigt die Studie erstmals ganz handfest, dass wir von unseren Eltern nicht nur Gene, sondern auch epigenetische Mechanismen erben, welche die Aktivität unseres Erbguts steuern. "Es ist somit durchaus denkbar", so Iovino, "dass zumindest in einigen Fällen erworbene Umweltanpassungen über die Keimbahn auch an die Nachkommen weitergegeben werden könnten." (tasch)

maxplancksociety

Dienstag, 11. Juli 2017

Hypnose gibts wirklich.

Hypnose beeinflusst messbar unsere Wahrnehmung: Die hypnotische Suggestion einer Sichtblockade hemmt die Verarbeitung von Sehreizen.
aus scinexx

Wie Hypnose unsere Wahrnehmung manipuliert
Hypnotische Suggestion kann die Verarbeitung von Reizen im Gehirn blockieren

Faszinierender Effekt: Forscher haben entschlüsselt, wie die Hypnose unsere Sinneswahrnehmung verändert. Demnach blockiert eine hypnotische Suggestion zwar nicht das Registrieren eines Reizes, wohl aber dessen weitere Verarbeitung im Gehirn. Das enthüllten Hirnstrommessungen bei hypnotisierten Probanden. Durch diese Blockade der Verarbeitung dringen Wahrnehmungen dann nicht bis ins Bewusstsein vor, wie die Forscher im Fachmagazin "Scientific Reports" erklären.

Hypnose galt lange als fauler Zauber und unseriöser Jahrmarktstrick. Doch inzwischen hat sich das Bild gewandelt. Studien belegen, dass Hypnose nachweisbare Veränderungen im Gehirn bewirkt. Dies wiederum kann dazu beitragen, dass Menschen beispielsweise beim Zahnarzt weniger Schmerzen empfinden oder besser schlafen können. Doch wie genau die Hypnose unser Denken und Fühlen beeinflusst, ist bisher erst in Ansätzen erforscht. 

Brett vorm Kopf 

Mehr Einblick liefert nun ein Hypnose-Experiment von Barbara Schmidt und ihren Kollegen von der Universität Jena. Sie haben untersucht, wie sich die visuelle Wahrnehmung bei einer entsprechenden Hypnose verändert. Dafür ließen sie 60 Versuchspersonen zunächst auf einem Bildschirm bestimmte Symbole zählen – inmitten vieler Dreiecke sollten die seltener auftauchenden Quadrate gezählt werden.
 

Dann hypnotisierten sie die Teilnehmer. "Wir suggerierten ihnen, dass sie ein hölzernes Brett vor ihren Augen sehen würden, das ihre Sicht auf den Monitor behindert", berichtet Schmidt. Dennoch sollten die Probanden weiterhin versuchen, die Symbole zu zählen. Bereits in Vortests waren die Probanden so ausgewählt worden, dass ein Drittel von ihnen besonders gut hypnotisierbar waren, ein Drittel mittelmäßig und der Rest nur schwach auf die Hypnose ansprach. 

Suggestion hat reale Auswirkungen 

Das Ergebnis: "Durch die suggerierte Sichtbehinderung stieg die Anzahl der Zählfehler erheblich", berichten die Forscher. Während zuvor mehr als 90 Prozent der Quadrate entdeckt und korrekt gezählt worden waren, sank die Trefferquote bei den nur schwach auf Hypnose ansprechenden Probanden auf unter 80 Prozent, bei den gut hypnotisierbaren sogar auf nur noch gut 50 Prozent. "Je realer den Probanden dabei das Brett vor dem Kopf erschien, desto stärker sank ihre Zählleitung ab, berichten Schmidt und ihre Kollegen. Die hypnotisierten Teilnehmer schienen viele der Symbole auf dem Bildschirm nicht mehr sehen zu können – so als würde tatsächlich ein Holzbrett ihnen die Sicht versperren. "Dies illustriert die Wirkung von Suggestionen und die Macht des Geistes", betonen sie. 

Hirnwellen abgeschwächt 

Aber warum und wie funktioniert die Sichtblockade durch das suggerierte "Brett vor dem Kopf"? Um das herauszufinden, analysierten die Wissenschaftler die Hirnströme der Probanden mittels Elektroenzephalo- gramm (EEG). Dabei zeigte sich: Die frühen Hirnreaktionen auf die Symbolwahrnehmung waren noch nicht beeinträchtigt. Hirnwellen, die typischerweise 200 Millisekunden nach einem visuellen Reiz auftreten, waren bei den hypnotisierten Probanden noch normal.
 

Anders dagegen die Hinströme, die durch die Verarbeitung des Reizes im Gehirn entstehen: Die dafür typischen Wellen waren unter Hypnose signifikant abgeschwächt, wie die EEG-Auswertung ergab. "Die Amplitude dieser P3b-Reaktion lag unter Hypnose bei nur 37 Prozent der normalen Amplitude unter Kontrollbedingungen", berichten die Forscher. Je ausgeprägter diese Hemmung war, desto mehr Symbole übersahen die Probanden. 

Blockade in der Verarbeitung 

Diese Ergebnisse demonstrieren, dass die einfache Wahrnehmung durchaus noch stattfindet: Die Teilnehmer konnten die Symbole sehen. Aber weil die weitere Verarbeitung dieser Wahrnehmung durch die Hypnose blockiert wurde, waren sie sich dessen nicht bewusst und konnten die Symbole daher auch nicht gezielt zählen, wie die Forscher erklären. 

"Diese Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt hin zu einem besseren Verständnis der Mechanismen, die für die Effekte der Hypnose verantwortlich sind", konstatieren Schmidt und ihre Kollegen. "Denn sie stützen die Hypothese, dass Suggestionen unter Hypnose eine Dissoziation zwischen der primären Sinneswahrnehmung und der Verarbeitung dieser Reize im Gehirn verursachen." 

Tests auch mit anderen Reizen geplant 

Die Wissenschaftler wollen diesen Effekt der Hypnose nun auch bei anderen Sinneswahrnehmungen untersuchen, darunter akustischen Reizen und Schmerz. "Wir müssen nicht mehr zeigen, dass Hypnose wirksam ist, denn das ist bewiesen. Es gilt vor allem herauszufinden, warum und wie solche merkwürdigen Wahrnehmungsveränderungen bei hypnotisierten Menschen möglich sind", sagt Seniorautor Wolfgang Miltner. (Scientific Reports, 2017; doi: 10.1038/s41598-017-05195-2)

(Friedrich-Schiller-Universität Jena, 11.07.2017 - NPO)


Nota. - Nicht das sinnliche Empfinden wird blockiert, nicht die Aufnahme der Reize, sondern deren Reflxion. Der Ort des Geschehens - der Blockade - ist das Bewusstsein. Aber wie kommt es zur Blockade? Wie und wodurch geschieht die Suggestion? Mit andern Worten: Was ist es, das den Expeerimentatoren eerlaubt, vorab zwischen leicht und schwer Hypnotisierbaren zu unterscheiden? Das ist das eigentliche Rätsel.
JE


Samstag, 1. Juli 2017

Nicht wegen mangelndem Speicherplatz müssen wir vergessen können.

aus Tagesspiegel.de, 1. 7. 2017

Vergessen will gelernt sein  
Löschtaste im Hirn
Paradoxer Effekt: Damit das Gedächtnis richtig funktioniert, muss es zunächst vergessen.
 
von

Über ein schlechtes Gedächtnis musste sich Solomon Schereschewski zeit seines Lebens nicht beklagen. Der Russe, Jahrgang 1886, besaß eine phänomenale Merkfähigkeit. Der Journalist prägte sich einmal gehörte Ansprachen Wort für Wort ein, ebenso wie Formeln und Zahlentafeln oder Texte in fremden Sprachen. Einfach alles, was man ihm vorlegte. Ein Traum? Eher ein Albtraum.

Schereschewski konnte nicht vergessen, und das wurde für ihn zum Fluch. Er wurde von Details seiner Erinnerungen regelrecht überschwemmt, von einer Lawine der Banalitäten am Denken gehindert. Ungefähr so, als wenn wir jederzeit rekapitulieren könnten oder müssten, wo wir unser Auto oder Fahrrad in den letzten zwei Jahren abgestellt haben, welches Wetter vor 71 Tagen herrschte und was wir vor 28 Tagen zum Frühstück hatten.

Wer im Alltag bestehen will, muss Unwichtiges tilgen

Eine furchtbare Vorstellung! Das bedeutet im Umkehrschluss: Um im Alltag zu bestehen, muss man ständig Unwichtiges vergessen. Mehr noch: Die Löschtaste im Gehirn sorgt dafür, dass man geistig auf der Höhe bleibt. 

Für die Hirnforscher Blake Richards und Paul Frankland von der Universität Toronto ist inzwischen gut belegt, dass Vergessen genauso wichtig für unser Gedächtnis ist wie Erinnern. „Wir haben etliche wissenschaftliche Belege gefunden, dass es Mechanismen für Gedächtnisverlust gibt und dass diese sich von denen unterscheiden, die am Speichern von Information beteiligt sind“, sagte Frankland laut einer Pressemitteilung. Im Fachblatt „Neuron“ breiten die beiden Forscher ihre These aus, dass Merken und Vergessen notwendige Pole eines intakten Gedächtnisses sind. 

Warum muss das Gehirn vergessen? Um Platz für neue Erinnerungen zu schaffen, lautet eine intuitive Erklärung. Doch sie stimmt nicht, wie die Wissenschaftler ausführen. Das Gehirn besitzt 80 bis 90 Milliarden Nervenzellen. Wenn man nur ein Zehntel von ihnen für das Speichern persönlicher Erlebnisse reservieren würde, könnte man eine Milliarde dieser Episoden „abheften“, bei sparsamem Speichern sogar weitaus mehr.

Vergessen ist also kein Problem mangelnden Speicherplatzes.

Die Vergangenheit darf nicht zum Gefägnis werden

Warum hat die Evolution dann den Menschen mit einem so lückenhaften und ungenauen Gedächtnis ausgestattet? Wäre es nicht viel besser, alles haarklein auf der biologischen Festplatte registriert zu haben? Richards und Frankland widersprechen. In einer sich rasch ändernden und verwirrenden Welt ist es eher von Nachteil, viele konkrete Erinnerungen parat zu haben. „Vergessen dient der Anpassung an eine wechselvolle Umgebung, weil es flexibles Verhalten ermöglicht“, schreiben sie. Schereschewski, der Gedächtniskünstler, war dagegen von seiner Vergangenheit eingemauert.


Strömen viele Informationen auf das Gehirn ein, sind auf spezielle Situationen zugeschnittene Denk- und Verhaltensvorgaben eher von Nachteil. In solchen Situationen ist geistige Beweglichkeit wichtig. Entscheidungen sollten dann eher von allgemeinen Grundsätzen und Erfahrungen geleitet werden, nicht von Kleinigkeiten aus der Vergangenheit. Entscheidend ist das Wesentliche, die Essenz des Erlebten, nicht seine Details.

Anders sieht es aus, wenn die Umgebung „zuverlässig“ ist und sich wenig ändert. Dann haben detailreiche und konkrete Gedächtnisinhalte ihren Platz. Nach dem Motto: Das haben wir immer so gemacht! In jedem Fall ist es das Wechselspiel von Beständigkeit und Vergänglichkeit, das ein funktionierendes Gedächtnis ausmacht. Es wird damit zur wichtigen Entscheidungshilfe.

Gelerntes wird in Netzwerken gespeichert

Was geschieht beim Erinnern im Gehirn? Die Erinnerung selbst ist in einem Netzwerk von miteinander über Kontakte (Synapsen) verbundenen Nervenzellen gespeichert. Das Netzwerk wurde im Moment des Lernens geknüpft. Wird das Gelernte ins Bewusstsein geholt, wird es wieder aktiviert. Stark vereinfacht gesagt: Je stärker die Kontakte zwischen den Netzwerk-Nervenzellen, umso vitaler die Erinnerung.

Beim Vergessen geschieht das Umgekehrte. Nervenkontakte und Netzwerke werden geschwächt. Zusätz- lich treten neu gebildete Nervenzellen auf den Plan, etwa im Hippocampus („Seepferdchen“), einer in den Tiefen des Schläfenlappens gelegenen Gedächtniszentrale. Sie „stören“ die bereits existierenden Nerven-Netze und schwächen Erinnerungen.

„Wir erinnern uns nicht an Tage, sondern an Momente“, zitieren die Wissenschaftler den italienischen Dichter Cesare Pavese. „Der Reichtum des Lebens beruht auf Erinnerungen, die wir vergessen haben.“ Das Gedächtnis ist kein perfekter Speicher des Erlebten und Gelernten. Eher ist es ein Haus, das ständig um- und ausgebaut wird: Und zwar je nachdem, wer gerade in ihm wohnt.


Nota. - Nicht erst um den Unterschied zwischen heute und gestern geht es, sondern um die Unterscheidung zwischen wichtig und unwichtig. Weil Jetzt im Leben wichtiger ist als Vorhin, muss man sie von einander trennen können. Und weil das Wichtige in der Regel meine Tätigkeit herausfordert, und zwar nicht irgend- eine, sondern diese bestimmte, muss ich vom Unwichtigen absehen können. Spurlos vergessen darf ich aber auch das andere nicht, denn es könnte eines Tages doch noch wichtig werden.
JE

PS. für Sprachpuristen: Wir sagen "Dem Regen zum Trotz", "ich trotze dem Regen" - und trotzdem soll es heißen: "Trotz des Regens"? Das ist doch Unfug. - Daher muss es auch heißen: Wegen dem fehlenden Speicherplatz. (Die Neue Zürcher hat schon immer so geschrieben.)
JE