aus derStandard.at, 22. Mai 2017, 18:11
40 Gene entdeckt, die
mit Intelligenz in Verbindung stehen
Analyse genomweiter Assoziationsstudien an fast 80.000 Personen brachte
einflussreiche Erbanlagen ans Licht
Amsterdam/Wien – Umwelteinflüsse spielen eine wichtige Rolle, doch dass
Intelligenz zu einem erheblichen Teil erblich bedingt ist, haben in den
vergangenen Jahren zahlreiche Studien gezeigt. Seither suchen Forscher
nach spezifischen Genen, die damit in Zusammenhang stehen.
Den bislang größten Erfolg melden nun Wissenschafter der Freien
Universität Amsterdam: Wie sie im Fachblatt "Nature" berichten, konnten
sie durch die Analyse genomweiter Assoziationsstudien an 78.308 Personen
(Kinder und Erwachsene) insgesamt 40 Gene identifizieren, die offenbar
für Intelligenz mitverantwortlich sind. Der Großteil davon ist im Gehirn
aktiv und in Zellentwicklungsprozesse involviert. Die neuen
Informationen könnte helfen, mehr über Intelligenzunterschiede und
Hirnentwicklung zu erfahren.
Medizinische Grundlagenforschung
"Die sehr hohe Erblichkeit von Intelligenz war schon lange bekannt, aber
wir kannten bisher die molekularen Grundlagen nicht. Dank der Größe der
Studie ist es nun erstmals möglich geworden, konkrete Gene und damit
zelluläre Prozesse zu benennen, die zu dem Merkmal Intelligenz
beitragen", kommentierte der Genetiker André Reis von der Universität
Erlangen-Nürnberg, der selbst nicht an der Studie beteiligt war, das
Ergebnis.
Eine wichtige Frage sei nun, ob die gleichen zellulären Mechanismen und
Prozesse, die bei Intelligenzstörungen identifiziert wurden, auch für
die allgemeine Intelligenz relevant sind. Reis:"Wäre dem so, könnte das
medizinische Implikationen haben." (red, 22.5.2017)
Abstract
Nature:
"Genome-wide association meta-analysis of 78,308 individuals identifies
new loci and genes influencing human intelligence"
aus scinexx
Intelligenzgene identifiziert
Großstudie belegt erstmals klar die polygene Basis unserer geistigen Leistungen
52 Gene - mindestens: Unsere Intelligenz
beruht auf unzähligen Genfaktoren, statt auf nur einem oder einigen
wenigen Genen. Das bestätigt die bisher umfassendste Großfahndung nach
Intelligenzgenen im menschlichen Erbgut. Sie identifizierte 52 Gene mit
Einfluss auf unsere geistigen Leistungen. Doch selbst diese Gene
bestimmen nur knapp fünf Prozent unserer Intelligenz, wie die Forscher
im Fachmagazin "Nature Neuroscience" berichten. Ein genetischer IQ-Test
droht daher wohl auch in Zukunft nicht.
Was bestimmt, wie intelligent ein Mensch wird? Sind es die Gene,
die Umwelt oder doch beides? Nachdem jahrzehntelang darüber gestritten
wurde, welche Faktoren den größeren Anteil an unserer Intelligenz haben,
scheint sich nun die Vererbung als wichtigster Einflussfaktor
durchzusetzen. Nach neueren Schätzungen könnten bei Erwachsenen sogar
rund 80 Prozent der geistigen Leistungsfähigkeit auf die Gene
zurückgehen.
Großfahndung im Erbgut
Aber auf welche? Klar schien bisher nur, dass es das eine entscheidende
Intelligenzgen wohl nicht gibt. Jetzt haben Danielle Posthuma von der
Freien Universität Amsterdam und ihre Kollegen erstmals schlüssige
Beweise dafür geliefert, dass unsere Intelligenz durch das
Zusammenwirken unzähliger verschiedener genetischer Faktoren geprägt
wird.
Für ihre Studie verglichen die Forscher das Erbgut von gut 78.000
Kindern und Erwachsenen europäischer Abstammung. Alle Teilnehmer hatten
zuvor an Intelligenztests teilgenommen. Die Forscher fahndeten nun nach
DNA-Abschnitten und Genen, die beispielsweise bei Individuen hohe
Intelligenz besonders häufig auftraten.
52 Gene identifiziert
Tatsächlich wurden die Wissenschaftler fündig: Sie identifizierten 52
Gene, für die sie einen Zusammenhang mit der Intelligenz ihrer Träger
feststellen konnten. 40 dieser Gene waren in diesem Kontext
Neuentdeckungen. Die meisten der neuentdeckten Intelligenzgene sind im
Gehirn aktiv, wie die Forscher feststellten. Sie beeinflussen unter
anderem die Bildung von Synapsen, die Wachstumsrichtung von Axonen oder
die Reifung von Nervenzellen. Viele von ihnen sind auch an der
Regulation der Zellentwicklung beteiligt.
Die Wissenschaftler entdeckten auch einige Genvarianten, die einen
positiven Effekt auf die Intelligenz haben und dafür Schizophrenie und
Übergewicht unterdrücken helfen. Andere scheinen neben der Intelligenz
auch das Schädelvolumen, die Neigung zu Autismus oder die Körpergröße zu
beeinflussen.
Viele Gene – ein Merkmal
"Diese Funde liefern uns zum ersten Mal klare Hinweise auf die
biologischen Mechanismen, die der Intelligenz zugrunde liegen", sagt
Posthuma. Auch wenn von den meisten dieser Gene die genaue Funktion noch
unbekannt ist, bestätigen die Ergebnisse, dass unsere Intelligenz
tatsächlich auf vielen kleinen genetischen "Füßchen" ruht.
"Die genetische Architektur der Intelligenz ist offenbar vergleichbar
mit der der menschlichen Körperlänge", kommentiert der Humangenetiker
André Reis von der Universität Nürnberg-Erlangen die Studie. "Bei der
Körpergröße tragen Tausende von genetischen Varianten mit jeweils extrem
kleinen Effektstärken zur insgesamt hohen Erblichkeit des Merkmals
bei." Ähnlich scheint es bei der Intelligenz zu sein.
Warum es keinen IQ-Gentest geben wird
Allerdings: Selbst alle neuentdeckten Intelligenzgene zusammen könne
gerade einmal 4,8 Prozent der Intelligenz-Unterschiede bei uns Menschen
erklären. Anders ausgedrückt: Bei den verbleibenden rund 75 Prozent der
genetischen Veranlagung zur Intelligenz kennen wir bisher die
zugrundeliegenden Gene noch nicht. "Die Suche nach konkreten Genen
ähnelt der Suche nach der Stecknadel im Hauhaufen", erklärt Stern.
Das bedeutet auch, dass wir wohl keine Angst vor einem zukünftigen
IQ-Gentest haben müssen: "Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass eines
Tages genetische Tests für Intelligenz möglich werden", kommentiert
Reis. "Dazu haben die bekannten Varianten einen zu geringen prädiktiven
Wert – ihre Vorhersagekraft für das Gesamtmerkmal ist zu gering." Hinzu
kommt: Die Gene bilden zwar die Basis unserer geistigen Leistungen. Ob
wir diese Basis aber nutzen und Ausbauen, entscheiden die
Umwelteinflüsse im Laufe unseres Lebens. (Nature Neuroscience, 2017; doi: 10.1038/ng.3869
(Nature/ Vrije Universiteit Amsterdam, 23.05.2017 - NPO)
Nota. - Der
jahrzehntelange Streit über Erblichkeit oder Umweltprägung war nur zu
einem kleinen Teil ein wissenschaftlicher. In der Hauptsache war er
ideologisch und war geprägt durch ein kämpferisches Standes- interesse.
Als
in den sechziger Jahren die pädagogischen Berufe explodierten, machten
sich gleichzeitig - Zufall? - in den akademischen Ausbildungsstätten
neomarxistische geistes- und sozialwissenschaftliche Theorien breit, die
allenthalben auf "materialistische Ableitung" drangen, aber gerade
nicht die Genetik, sondern die Soziali- sation dafür erkannten.
Die
erwünschte Folge war: Nicht 'die Natur', sondern 'Schule' (ohne
Artikel) galt als Brutstätte der Intelli- genz, mit andern Worten: die
Lehrer. Besonders die, die sich gerade in Ausbildung befanden, fühlten sich
beflügelt und zu erheblichen Forderungen befugt. Dabei ist es bis heut
geblieben..
(Dies
zum Abschluss: Die genetische Disposition ist immer nur die eine Seite.
Die andere Seite ist, was das Individuum lebensgeschichtlich daraus macht, und dabei spielen
seine Mitmenschen allerdings eine Rolle: Sie können es ermuntern oder
entmutigen.)JE