Experimente ungarischer Forscher und die Interpretation von US-Kollegen sorgen für Gesprächsstoff: Gibt es eine fünfte Grundkraft?
von Ralf Nestler
So schön sich viele Entdeckungen der letzten Zeit ins Standardmodell der Teilchenphysik fügen – wie zum Beispiel das Higgs-Boson – so klar ist den Forschern zugleich, dass dieses Theoriegebäude Schwächen hat. Die Gravitation zum Beispiel kann es nicht erklären. Daher suchen sie nach „neuer Physik“, die das Standardmodell erweitern oder ganz ersetzen könnte. Experimente ungarischer Forscher und deren Interpretation durch ein US-Team sorgen aktuell für Gesprächsstoff. Es könnte sich um Hinweise auf eine fünfte Grundkraft handeln.
Vier Grundkräfte sind etabliert
Bisher kennen Physiker nur vier: die Gravitation, die elektromagnetische Kraft sowie die starke und die schwache Kernkraft. Die letzten beiden wirken jedoch nur über extrem kurze Distanzen. Sie haben mit dem, was man landläufig unter „Kraft“ versteht wie etwa eine Anziehung wenig zu tun, sagt Kai Schmidt-Hoberg vom Forschungszentrum Desy in Hamburg.
Physiker sprechen lieber von Wechselwirkung, zu der beispielsweise der radioaktive Zerfall gehört. Auch die neue fünfte Kraft würde nur über eine Distanz von wenigen Atomkerndurchmessern wirken – sofern es sie tatsächlich gibt.
Forscher um Attila Krasznahorkay von der ungarischen Akademie der Wissenschaften haben 2015 Daten eines Experiments veröffentlicht, die zunächst kaum beachtet wurden. Sie hatten Protonen auf Lithium geschossen, worauf Berylliumkerne entstand, die bald wieder zerfielen. Dabei wurden Paare von Elektronen und Positronen abgegeben, wobei deren Flugbahnen bevorzugt in bestimmten Richtungen verlaufen sollten. Zwischen theoretischer Vorhersage und realer Messung gab es aber deutliche Unterschiede. Krasznahorkay meint, dass während der Versuche ein bisher unbekanntes Teilchen entstanden ist mit einer Masse von rund 17 Megaelektronenvolt. Das ist etwa 34-mal mehr als ein Elektron hat, also ein echtes Leichtgewicht.
Kollegen sind interessiert - und skeptisch
Jonathan Feng von der Universität von Kalifornien in Irvine und Kollegen publizierten Ende April die Interpretation, wonach es sich hierbei um einen Hinweis auf eine fünfte Kraft handeln könnte. Auf einem Expertentreffen in Menlo Park sei dieser Befund mit großem Interesse, aber auch mit Skepsis aufgenommen worden, berichtet das Fachblatt „Nature“. Es wurde sogleich diskutiert, wie das Resultat durch andere Experimente überprüft werden könne.
Das sei dringend nötig, meint auch der Desy-Forscher Schmidt-Hoberg. Was ihn skeptisch macht: Anders als beim Higgs, bei dem einigermaßen klar war, wonach man sucht, handelt es sich hierbei um einen völlig unerwartetes Teilchen. „Wenn das gemessene Signal echt ist, müsste man schon Handstände machen, um das theoretisch beschreiben zu können“, sagt er.
Die Auflösung könnte schon in den nächsten Monaten kommen. Mehrere Experimente, darunter am Jefferson Laboratory in Virginia und am Forschungszentrum Cern, sind in der Lage, im Massebereich um 17 Megaelektronenvolt nach neuen Teilchen zu suchen. Vielleicht finden sie ja doch etwas.
Nota. - Es mag sein, dass sich diese voreilige Veröffentlichung mal wieder als bloße Marktschreierei entpuppt. Aber wenn sie auch nur eine interessierte Öffentlichkeit daran erinnert, dass einige unserer elementarsten wissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten auf Hypothesen beruhen, die jederzeit durch einen unerwarteten empirischen Befund widerlegt werden können, hat sie ihre Rechtfertigung schon gefunden.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen