aus nzz.ch, 27.5.2016, 05:30 Uhr
Traumatisiert und dann?
Was Resilienz ausmacht
Manche Menschen können schlimme Erlebnisse gut verarbeiten, andere gehen daran zugrunde. Nur langsam ergründen Forscher, woran das liegt.
von Lena Stallmach
Kriegsflüchtlinge haben schreckliche Dinge erlebt. Viele haben enge Vertraute sterben sehen und waren selbst dem Tod nahe. Sie mussten alles zurücklassen, erlebten Gefahren auf der Flucht und wussten nicht, ob sie jemals wieder in Sicherheit leben würden. Viele von ihnen sind schwer traumatisiert.
Wenn Menschen die erlebten Traumata nicht verarbeiten können, entwickeln sie oft eine sogenannte posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Sie werden von Albträumen und «Flashbacks» verfolgt und erleben die Angst immer wieder. Viele sind schreckhaft und gereizt, ziehen sich zurück und werden emotional taub. 30 Prozent der Flüchtlinge leiden an einer solchen PTBS, ebenso viele haben eine Depression, wie eine Metaanalyse aus dem Jahr 2009 zeigt, die 181 Studien und 82 000 Flüchtlinge berücksichtigt.
Aber nicht nur Flüchtlinge trifft dies. Viele Menschen erleben irgendwann in ihrem Leben ein Trauma, etwa einen Verkehrsunfall, ein Gewaltverbrechen oder den plötzlichen Tod einer nahestehenden Person. Im Durchschnitt entwickeln 20 Prozent eine PTBS, je nach Art und Schwere des Traumas. Dabei schaffen es auch schwer traumatisierte Personen, sich wieder aufzurappeln. Mitunter wachsen sie sogar an der Überwindung der schlimmen Erlebnisse. Welche Eigenschaften sie dazu befähigen, wird seit einigen Jahrzehnten erforscht. Im Fokus stehen Persönlichkeitsmerkmale, die Genetik und Umwelteinflüsse.
Neuer Ansatz in der Medizin
Üblicherweise konzentriert sich die Medizin darauf, kranke Menschen zu untersuchen und nicht gesunde. Die Resilienzforschung steckt daher noch in den Kinderschuhen. In den 1980er Jahren prägte der Sozialmediziner Aaron Antonovsky den Begriff der Salutogenese, eine neue Sichtweise in der Medizin, bei der die Gesundheit im Zentrum steht. Antonovsky war beeindruckt davon, dass sich ein Teil der Holocaust-Überlebenden von den schweren psychischen und physischen Belastungen im Konzentrationslager erholte und sich Jahrzehnte später einer guten Gesundheit erfreute. Er fragte sich, welche Eigenschaften und Ressourcen diese Menschen besassen, und entwickelte in den folgenden Jahren das Konzept der Kohärenz. Als Kohärenzsinn wird die Eigenschaft bezeichnet, traumatische Erfahrungen gedanklich einordnen und verarbeiten zu können. Es ist eine Fähigkeit, die im Jugend- und jungen Erwachsenenalter gebildet wird und ein Leben lang stabil bleibt.
Dabei sind laut Antonovsky drei Aspekte zentral: das Vertrauen, dass alles, was geschieht, vorhersagbar und erklärbar ist; dass man über die Ressourcen verfügt, um die Anforderungen des Lebens zu meistern; und dass diese Anforderungen Herausforderungen sind, die des Engagements und der Mühe wert sind.
Fragebogen erfasst einen Faktor der Resilienz
Antonovsky publizierte 1979 einen Fragebogen, mit dem der Kohärenzsinn einer Person bestimmt wird – je höher die Werte, desto resilienter die Person. Viele Studien haben dies seither bestätigt. Allerdings wurden auch einige Mängel des Tests offensichtlich. Beispielsweise veränderte sich der Kohärenzsinn im Angesicht von Lebenskrisen und mit dem Alter. Dies sollte laut Definition nicht passieren, sagt Andreas Maercker, Psychologe an der Universität Zürich. Der Fragebogen sei offensichtlich nicht spezifisch genug. Deshalb hat Maercker vor kurzem eine revidierte Version veröffentlicht. Ob sich dieser Fragebogen bewähren wird, muss sich allerdings noch zeigen.
Laut Ulrike Ehlert, Psychologin an der Universität Zürich, gibt es noch andere Persönlichkeitsmerkmale, die die Resilienz begünstigen. Sie untersucht Menschen, die berufsbedingt häufig Traumata erleben, wie etwa Feuerwehrleute oder Bergführer. Es zeigte sich, dass ein hohes Mass an Selbstwirksamkeit – das Gefühl, kompetent zu sein und die Anforderungen im Leben meistern zu können – die Menschen davor schützt, nach einem oder mehreren Traumata eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln. Günstig wirkt sich ausserdem aus, wenn Menschen die Fähigkeit besitzen, die eigenen Emotionen zu reflektieren und zu regulieren. Ein hohes Mass an Feindseligkeit fördert dagegen die Entstehung einer PTBS.
Erfahrungen beeinflussen die Resilienz
Erfahrungen beeinflussen die Entwicklung der Persönlichkeit und so auch die Resilienz. Vor allem einschneidende Erlebnisse. Ein Kindheitstrauma erschüttere das Selbstvertrauen und das Weltbild und erschwere die Ausbildung von Resilienz, sagt Matthis Schick, Oberarzt am Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsspital Zürich.
Wie stark Menschen dadurch verändert werden, zeigt sich auch in ihrer biologischen Stressreaktion. Wie Ulrike Schmidt vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München erklärt, können Erwachsene, die als Kinder traumatisiert worden sind und dadurch eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben, mit Stress schlecht umgehen. Sogenannte epigenetische Veränderungen seien schuld daran. Das sind kleine Moleküle, die an die DNA angeheftet werden und beeinflussen, wie viel Protein von einem Gen hergestellt wird. Ein Kindheitstrauma kann das epigenetische Muster verändern und damit die Menge der Stresshormone. Diese Hormone beeinflussen wiederum die Botenstoffe im Gehirn und damit unser Befinden.
Die Gene spielen mit
Dann kommt auch noch die Genetik ins Spiel, denn wie stark die Erfahrungen diese Systeme beeinflussen, hängt von den Genen ab. Laut Schmidt gibt es Genvarianten, die anfälliger sind für epigenetische Veränderungen. Damit sind ihre Träger allgemein anfälliger für Umwelteinflüsse, sowohl positive als auch negative.
Es handelt sich vor allem um Gene, die bei der Stressreaktion oder in verschiedenen Botenstoffsystemen im Gehirn beteiligt sind. So zeigtenTerrie Moffitt und Avshalom Caspi von der Duke University in den USA vor vielen Jahren, dass Kinder, die ein Trauma erlebt hatten und eine oder mehrere Risikovarianten verschiedener Gene trugen, als Erwachsene ein höheres Risiko hatten, an psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder der PTBS zu erkranken.
Später wiesen andere Forscher darauf hin, dass sich Kinder mit solchen «Risikovarianten», die kein Trauma erlebt hatten und in einem fördernden Umfeld aufwuchsen, besser als der Durchschnitt entwickelten. Diese Träger reagierten allgemein stärker auf ihre Umwelt sowohl im Guten als auch im Schlechten, erklärten sie. Umgekehrt sind Menschen mit weniger veränderbaren Genvarianten wohl besser gegen negative Erfahrungen gewappnet.
Da bei der Regulation der Stressreaktion und der Botenstoffe im Gehirn viele Gene beteiligt sind, ist es unwahrscheinlich, dass jemand nur günstige oder ungünstige Varianten trägt. Es ist daher schwer zu sagen, in welchem Ausmass die Gene die individuelle Resilienz beeinflussen.
Für Flüchtlinge schwieriger
Unabhängig davon, welche Genvarianten und welche Persönlichkeitsmerkmale jemand trägt, spielen die soziale Unterstützung und eine sichere Umgebung bei der Verarbeitung eines Traumas eine wichtige Rolle – Bedingungen, die bei Flüchtlingen oft nicht gegeben sind. Dies erschwere auch die Therapie, sagt Schick, der am Ambulatorium für Kriegs- und Folteropfer schon viele Flüchtlinge behandelt hat.
Viele von ihnen seien nicht als Flüchtlinge anerkannt, befänden sich seit langem im Asylverfahren oder hätten nur eine vorläufige Aufnahmebewilligung. Wenn jemand jahrelang im Provisorium lebe, keine Arbeit und kein Geld habe, dann fördere dies die Unsicherheit und das Gefühl der Ohnmacht – Gefühle, die bei einer posttraumatischen Belastungsstörung oft auftreten. Eine Behandlung unter solchen Umständen sei sehr schwierig. Deshalb versuche man, den Flüchtlingen ein Stück ihrer Selbstwirksamkeit zurückzugeben und ihnen beim Aufnahmeprozess, bei der Integration und dem Spracherwerb zu helfen. Die Unterstützung bei diesen akuten Problemen erleichtere auch die Behandlung des Traumas.
Bei vielen Flüchtlingen gehe die Traumatisierung aber weiter. Wenn jemand Angehörige im Kriegsgebiet habe und sich jeden Tag frage, ob der Vater oder die Kinder noch lebten, sei es sehr schwierig, sich auf den Aufbau einer neuen Existenz oder eine Therapie zu konzentrieren.
Nota. - Einer sagt: "Er war sehr tapfer!" Ein andrer sagt: "Ja, Mann, der ist zäh", und jeder versteht, was der andere meint, und keiner glaubt, eine wissenschaftlich haltbare Diagnose gegeben zu haben: Es war ja bloß eine Unterhaltung, eine vage bildhafte Umschreibung reicht aus, denn das, was gemeint ist, hat viele Facetten.
Bringt es einen Vorteil, der Sache nun einen wissenschaftlich klingenden lateinischen Namen zu geben, so, als würde das Bezeichnete dadurch eindeutiger, weniger komplex, weniger auslegungsfähig? Wie bei der pp. Intelligenz spielen unzählig viele Faktoren eine Rolle. Aber nach der Karriere, die jenes Wort im vorigen Jahrhundert genommen hat, liegt die Vorstellung in der Luft, es handle sich um ein besonderes Persönlichkeitsmerkmal, mehr oder minder eindeutig bestimmt durch zwei, drei, vier Gene, das man aber durch reguläre Pädagogisierung 'fördern' und 'ausbilden' könne. Es würden dann neue 'Angebote', neue Arbeitsplatzmerkmale und neue Stellen entstehen, und glauben Sie mir: Wo sich so eine Möglichkeit auftut, finden sich welche, die sie nutzen.
Nein, ich ziehe es vor, die neue Vokabel nicht in meinen Wortschatz aufzunehmen; ich meine: nichtmal in den passiven; wann immer einer "R." sagt, werde ich fragen: Was heißt denn das?
JE