aus Der Standard, Wien, 9. 6. 2015
Quantenheilung hilft, denn alles ist Schwingung und Energie
Die enorme Komplexität und scheinbare Absurdität der Quantenmechanik hat sie zu einem idealen Spielplatz für Pseudowissenschafter aller Art gemacht
von Florian Freistetter
"Man kann mit Sicherheit sagen, dass niemand die Quantenmechanik versteht." Das hat immerhin der berühmte Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman behauptet. Ob er damit recht hat oder nicht, ist Ansichtssache beziehungsweise hängt davon ab, wie man "verstehen" in diesem Zusammenhang definiert. Tatsache ist jedenfalls, dass die Quantenmechanik wunderbar funktioniert.
Die in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts begründete Wissenschaft zur Beschreibung der Atome und Elementarteilchen macht Vorhersagen, die so gut wie kaum irgendwo anders durch Experimente und Beobachtungen bestätigt werden. Auch wenn die Phänomene der Quantenwelt unseren Alltagsvorstellungen widersprechen und uns absurd vorkommen, basiert doch fast unsere gesamte moderne Technik auf den Ergebnissen dieser Forschung.
Mit Schwingungen den Körper heilen
Aber gerade die enorme Komplexität und scheinbare Absurdität der Quantenmechanik hat sie zu einem idealen Spielplatz für Pseudowissenschafter und Esoteriker aller Art gemacht. Vielleicht versteht ja tatsächlich niemand die Quantenmechanik. Aber auf jeden Fall gibt es sehr viele Leute, die sie, ob mit Absicht oder aus Ignoranz, missverstehen. Und die Konzepte der Physik benutzen, um ihren eigenen Lehren einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.
"Bereits aus der Quantenphysik ist uns bekannt, dass jede Materie Licht und Information ist. Somit ist alles in unserem Leben Schwingung und Energie", kann man zum Beispiel auf der Homepage eines "Lebensenergiezentrums" in der Steiermark lesen – und dort auch gleich Seminare in "Quantenheilung" buchen: Wenn die ganze Materie inklusive unseres Körpers nur aus Information besteht und "alles schwingt", dann braucht es eben auch nur die richtigen Schwingungen, um den Körper zu ändern oder zu heilen.
Alle Materie ist Information
Die Vorstellung, aus der Quantenmechanik würde folgen, dass "alles schwingt" oder "alle Materie Information" sei, ist vermutlich das am weitesten verbreitete Missverständnis. Die Sache mit den Schwingungen bezieht sich auf die zugegebenermaßen verwirrende Tatsache, das die Quantenmechanik die Vorstellung über den Haufen geworfen hat, wir wüssten, woraus die Dinge "wirklich" bestehen.
Davor gab es zum Beispiel lange Diskussionen darüber, ob Licht eine Welle ist oder doch ein Strom aus Teilchen. Die Quantenmechanik hat gezeigt, dass beide Vorstellungen falsch beziehungsweise richtig sind. Licht ist, vereinfacht gesagt, "etwas", das sich manchmal besser als Teilchenstrom und manchmal besser als Welle beschreiben lässt, ohne dabei aber eine Welle oder ein Teilchen zu sein. Und das Gleiche gilt auch für die Beschreibung der Materie. Objekte wie Elektronen oder auch ganze Atome verhalten sich mal wie eine Welle und mal nicht.
Vorsicht vor Analogieschlüssen
Die aktuellen Modelle der Teilchenphysik verzichten ganz auf diese Konzepte und beschreiben alles durch interagierende Felder. Daraus aber abzuleiten, dass "alles schwingt", ist eine unzulässige Vereinfachung, die ignoriert, dass die Quantenmechanik nur auf mikroskopischen Skalen anwendbar ist, aber nicht auf der Makroebene unserer Alltagswelt. Es handelt sich dabei um einen reinen Analogieschluss, dem jede logische Grundlage fehlt.
Den gleichen Fehler machen Leute, die behaupten, aus der Quantenmechanik könnte man folgern, dass "alles mit allem zusammenhängt". Diese Idee ist zum Beispiel die Grundlage all der absurden "Wünsch dir was vom Universum"-Bücher. In denen kann man lesen, die Quantenmechanik würde behaupten, dass alles miteinander irgendwie in Verbindung stehe und deswegen auch alles einen Einfluss auf alles andere ausüben würde.
Falsch verstandene Verschränkung
Oder, wie es einer der Autoren solcher Bücher ausdrückt: "Andere Menschen, Dinge oder Ereignisse können sich mit dem Schwingungsfeld, das wir in uns erzeugen, nicht verweigern, wenn sie mit unserer erzeugten Frequenz resonieren" (Pierre Franckh, "Das Gesetz der Resonanz"). Wir müssen also angeblich nur auf die richtige Art und Weise an die richtigen Dinge denken, und dann werden sie auch passieren, weil ja alles mit allem zusammenhängt.
Hier wird das quantenmechanische Phänomen der "Verschränkung" falsch verstanden. Unter ganz speziellen Voraussetzungen können zwei quantenmechanische Systeme tatsächlich so miteinander verbunden werden, dass sie nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden können. Das, was mit dem einen System passiert, hat dann ganz konkrete Auswirkungen auf das andere – und zwar unabhängig davon, wie weit sie räumlich voneinander getrennt sind.
Nicht alltagstauglich
Aus quantenmechanischer Sicht spielt diese Trennung keine Rolle (man nennt das die "Nichtlokalität der Quantentheorie"). Werden zum Beispiel zwei Elektronen auf diese Weise quantenverschränkt, lassen sie sich nicht mehr als Kombination einzelner und unabhängiger Zustände beschreiben, sondern nur noch durch einen gemeinsamen Zustand, der auch dann noch gilt, wenn die beiden Elektronen (beliebig) weit voneinander entfernt werden.
Solange sie auf diese Weise verschränkt sind, lassen sich keine Aussagen über den Zustand eines einzelnen Teilchens machen. Erst wenn man an einem von beiden eine konkrete Messung vornimmt, bricht die Verschränkung zusammen, und auch das andere Elektron wird – je nach Zustand des ersten Elektrons – einen konkreten anderen Zustand annehmen, egal wo es sich gerade befindet.
Was für Elektronen und andere Objekte der Mikrowelt gilt, funktioniert aber nicht im Alltag. Eine "Messung" muss nicht unbedingt von einem Wissenschafter mit entsprechenden Geräten vorgenommen werden. Im Sinne der Quantenmechanik ist jede Interaktion mit einem hinreichend großen System eine "Messung". Ein Elektron, das einfach so durch die Luft fliegt, wird durch die Wechselwirkung mit den dortigen Molekülen "gemessen" und verliert dadurch jede etwaige Verschränkung.
Zeilinger: "Blanker Unsinn"
Will man dieses Phänomen der "Dekohärenz" vermeiden, dann muss man das Elektron so gut wie möglich vom Rest der Welt isolieren. Da das bei den unvorstellbar vielen Teilchen, aus denen ein Mensch besteht, kaum möglich ist, ist es auch kein Wunder, dass das mit der Verschränkung hier nicht funktioniert. Menschen sind keine Quantenobjekte.
Einer derjenigen, die genau diese quantenmechanische Verschränkung untersuchen, ist der österreichische Physiker Anton Zeilinger. Seine Ergebnisse werden von Esoterikern aller Art immer gerne als "Beweis" für ihre Lehren herangezogen. Zeilinger sagt zwar tatsächlich manchmal gerne Sätze wie "Information ist wichtiger als die Wirklichkeit" oder "Es gibt für die Quantenphysik keine Grenze ihrer Gültigkeit". Zeilinger sagt aber auch: "Davon getrennt zu sehen ist eine Interpretation, die die Quantenphysik zur Begründung für gewisse esoterische Positionen heranzieht. Das ist blanker Unsinn. Wer so etwas behauptet, versteht die Quantenphysik nicht." ("Wiener Zeitung", 7.12.2012)
Hoffnungslose Schweinereien
Die Quantenmechanik nicht zu verstehen ist keine Schande. Das geht so gut wie allen Menschen so. Man muss sie aber auch gar nicht auf dem fundamental-mathematischen Niveau der Wissenschaft verstehen, um feststellen zu können, dass sie nicht als Erklärung für irgendwelche esoterischen und pseudowissenschaftlichen Konzepte dienen kann. Nur weil die Quantenmechanik erfolgreich die Verschränkung zweier Elementarteilchen beschreiben kann, gilt sie nicht für alles, was einem irgendwie ähnlich vorkommt.
Man kann einen Menschen nicht mit irgendwelchen "feinstofflichen" Informationen homöopathischer Globuli verschränken (wie das Vertreter der sogenannten "Generalisierten Quantentheorie" behaupten). Nur weil in der Quantenmechanik unter bestimmten Umständen die Messung selbst das Ergebnis beeinflusst, folgt daraus nicht, dass die eigenen Gedanken das Universum beeinflussen. Man kann nicht darauf hoffen, dass Dinge wahr werden, wenn man sie sich nur fest genug wünscht.
"Die Quanten sind doch eine hoffnungslose Schweinerei!" hat der Physiker und Nobelpreisträger Max Born in einem Brief an Albert Einstein geschrieben. Viele Studentinnen und Studenten, die sich im Laufe der Zeit durch schwierige Quantenmechanik-Vorlesungen gequält haben, mögen da zustimmen. Die Komplexität und die Erkenntnisse der Quantenmechanik zu missbrauchen, um esoterischen Unsinn mit einer Aura der Wissenschaftlichkeit auszustatten, ist aber eine mindestens ebenso große Schweinerei.
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