aus scinexx
Einstein rettet Schrödingers Katze
Die Relativitätstheorie könnte erklären, warum Quantenphänomene nicht im Makrokosmos funktionieren
Einstein erklärt's: Ob die Verschränkung von Atomen oder die Unschärferelation – im Makrokosmos funktionieren diese faszinierenden Phänomene der Quantenwelt nicht. Denn bei größeren Objekten werden die Quanteneffekte unterdrückt. Wodurch, könnte Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie erklären. Denn wie Forscher im Fachmagazin "Nature Physics" berichten, beeinflusst die Dehnung der Zeit durch die Gravitation auch die Teilchen in diesen Objekten – und verhindern so Quantenphänomene.
von Thomas Kramar
Im Jahr 1915 revolutionierte Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie unser Verständnis der Gravitation. Er postulierte, dass sich die Gravitation als Krümmung der Raumzeit verstehen lässt und dass sie selbst die Zeit beeinflussen kann: Große Massen dehnen sie. Diese Zeitdilatation zeigt sich auch auf der Erde: Menschen, die im Erdgeschoss arbeiten, altern langsamer als ihre Kollegen im ersten Stock – allerdings nur um etwa zehn Nanosekunden pro Jahr. Dieser Effekt ist winzig klein, wurde jedoch mit präzisen Atomuhren bestätigt.
Schrödingers Katze wäre längst tot
Igor Pikovski von der Harvard University in Cambridge und seine Kollegen haben nun einen weiteren Nebeneffekt der Einsteinschen Zeitdehnung entdeckt: Sie könnte schuld daran sein, dass Quantenphänomene in der makroskopischen Alltagswelt nicht funktionieren. Das bekannteste ist die Überlagerung: Ein Quantenteilchen kann sich, solange es nicht gemessen wird, in mehreren Zuständen gleichzeitig befinden, sie überlagern sich.
Der Physiker Erwin Schrödinger illustrierte dieses Prinzip in seinem berühmten Gedankenexperiment der Katze in einer verschlossenen Kiste mit Gift. Solange niemand die Kiste öffnet und nachschaut, ist die Katze aus quantenmechanischer Sicht gleichzeitig tot und lebendig. Allerdings: Bei einer echten Katze oder einem anderen makroskopischen Objekte existieren solche quantenphysikalischen Überlagerungen nicht.
Wellenfunktion eines harmonisch oszillierenden Quanten-Teilchens
Zeitdehnung beeinflusst Schwingungen
Warum die Quantenmechanik bei größeren Objekten nicht greift, war bislang unklar. Man vermutet aber, dass Wechselwirkungen mit anderen Teilchen die Überlagerung verhindert. Pikovski und seine Kollegen haben nun eine konkrete Hypothese dazu rechnerisch überprüft: Sie gehen davon aus, dass die Zeitdehnung durch die Schwerkraft der Schuldige ist.
Denn jedes Teilchen – egal ob in einem Objekt gebunden oder einzeln - bewegt sich ständig ein bisschen. Diese Schwingungen jedoch werden durch die Zeitdilation beeinflusst, wie die Forscher erklären. Nahe dem Erdboden wird es langsamer, in größeren Höhen wird es schneller. Dadurch aber treten Unterschiede innerhalb eines Objekts auf, die eine Überlagerung verhindern. "Wichtig daran ist, dass diese durch die Zeitdilatation bedingte Dekohärenz komplett innerhalb des Rahmens sowohl der Quantenmechanik als auch der klassischen Physik stattfindet", betonen Pikovski und seine Kollegen.
Nachweis schwierig, aber nicht unmöglich
"Es ist recht überraschend, dass die Gravitation eine Rolle für die Quantenphysik spielen kann", so Pikovski. "Gravitation wird üblicherweise auf astronomischen Skalen studiert, aber sie scheint selbst auch für die winzigsten Bausteine der Natur wichtig zu sein". Noch haben die Forscher dieses Phänomen nur theoretisch postuliert und vorgerechnet. Sie schlagen aber auch vor, wie man den Effekt der Zeitdilatation beispielsweise innerhalb von Molekülen experimentell nachweisen könnte.
Dafür müssten allerdings alle anderen Störmechanismen ausgeschaltet werden, darunter die Einflüsse umgebender Moleküle und die thermische Ausstrahlung. Ein solches Experiment müsste daher wahrscheinlich unter Heliumkühlung und in einem ultrareinen Vakuum durchgeführt werden. "Solche Experimente zur Messung der Dekohärenz durch die Zeitdehnung wären eine große Herausforderung", so die Forscher. "Aber die schnellen Fortschritte bei der Kontrolle großer Quantensysteme und in der Quantenmessung werden unausweichlich in einen Bereich kommen, in dem dieses Phänomen wichtig wird." (Nature Physics, 2015; doi: 10.1038/nphys3366)
(Universität Wien, 16.06.2015 - NPO)
aus Die Presse, Wien, 15.06.2015
Einsteins Effekt: Die Schwerkraft rettet Schrödingers Katze
Ein (auch) an der Uni Wien lokalisiertes Team konnte zeigen: Die Zeitdilatation, ein Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie, kann die Überlagerung von Wellenfunktionen zerstören.
Zu den Seltsamkeiten der Quantenphysik zählt die Überlagerung, meist Superposition genannt: Ein Quantenteilchen kann in einer Überlagerung mehrerer Zustände sein. Das hat damit zu tun, dass in der Quantenwelt jedes Teilchen auch als Welle betrachtet werden kann, und von Wellen kennt man solche Überlagerungen ja.
Von größeren Stücken Materie nicht. Erwin Schrödinger, der Mann aus Wien-Erdberg, der den heute noch verwendeten Formalismus der Quantentheorie entwickelte, erfand 1935 das längst in die schöne Literatur eingegangene Paradoxon „Schrödingers Katze“: Ein Katze ist in eine Kiste eingesperrt, mit einem radioaktiven Atom, dessen Zustand wir – da wir nicht wissen, ob es schon zerfallen ist oder nicht – als Überlagerung aus „zerfallen“ und „nicht zerfallen“ beschreiben müssen. Wenn es zerfällt, löst das einen Mechanismus aus, der die Katze unweigerlich umbringt. Müssen wir deren Zustand dann nicht als Überlagerung von lebendig und tot beschreiben?
Wo ist die Grenze zur „großen Welt“?
Das wollen wir lieber nicht. Aber warum soll das nicht gehen? Wie groß kann ein Objekt sein, um es noch als Überlagerung von Zuständen zu beschreiben? Wo ist die Grenze zwischen Quantenwelt und Alltagswelt? Gibt es überhaupt eine solche Grenze?
Wiener Quantenphysiker untersuchen das seit Langem experimentell: Sie schauen sich an, wie groß Moleküle sein können, die sich noch wie eine Welle verhalten und etwa an zwei Orten zugleich sein können. Bei einem aus 60 Atomen bestehenden Fußballmolekül hat es schon funktioniert, auch bei noch größeren Molekülen, etwa einem, das die Forscher „Quantenoktopus“ nennen.
Bei solchen Experimenten muss man vorsichtig sein. Denn Überlagerungen von Wellen sind störungsanfällig, neigen zum Zerfallen, zur Dekohärenz. Man kann das obige Problem also auch so formulieren: Was bringt ein Quantensystem zur Dekohärenz – und damit dazu, sich ganz alltäglich zu verhalten?
Die Umwelt natürlich. Die thermische Bewegung, das Zittern der Teilchen. (Darum arbeiten so viele Quantenphysiker bei sehr tiefen Temperaturen.) Physiker um Caslav Brukner am Wiener Institute for Quantum Optics and Quantum Information (IQOQI) konnten nun in einer theoretischen Arbeit (Nature Physics, 15.6.) zeigen: Dieses Zittern wird durch einen Effekt aus der Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) beeinflusst, durch die gravitative Zeitdilatation. Diese besteht darin, dass die Zeit in der Nähe von massiven Objekten langsamer vergeht. Der Effekt ist sehr gering – Piloten altern deshalb nicht merklich schneller –, aber er reicht, wie Brukner und Co. berechneten, aus, um ein Molekül aus dem Zustand der Überlagerung zu reißen.
Das ist für Physiker ziemlich aufregend: Die eine der beiden revolutionären physikalischen Theorien des 20.Jahrhunderts, die ART, rettet Objekte vor der anderen, vor der Quantentheorie! Noch dazu im Jubiläumsjahr der ART, die 1915 von Einstein präsentiert wurde. Vorausgesagt hat einen solchen Zusammenhang u.a. der theoretische Physiker Roger Penrose: 1997 berichtete „Die Presse“ über seine einschlägige Vermutung unter dem Titel „Rettet die Schwerkraft Schrödingers Katze?“. Heute kann man sagen: Sieht ganz so aus.
Illustration eines Moleküls, das sich in einem räumlichen Überlagerungszustand befindet. Die Zeitdilatation im Schwerefeld der Erde lässt die Überlagerung zusammenbrechen. (Bild: Igor Pikovski, Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics)
aus beta.nzz.ch, 16.6.2015, 12:43 Uhr
Grenze zwischen klassischer und Quantenphysik
Kollaps von Überlagerungszuständen durch die Gravitation
Anders als Atome oder Elektronen können sich grosse Objekte nicht an zwei Orten zugleich aufhalten. Forscher aus Österreich haben eine neue Erklärung vorgestellt, warum das so ist.
von Christian Speicher
Zwischen der Mikro- und der Makrowelt gibt es einen gravierenden Unterschied. Während sich ein Atom an zwei Orten gleichzeitig aufhalten kann, ist noch nie ein Mensch beobachtet worden, der sowohl hier wie dort ist. Diese Eindeutigkeit unserer makroskopischen Welt ruft nach einer Erklärung. Viele Forscher sind nämlich überzeugt, dass das quantenmechanische Überlagerungsprinzip auch für grosse Objekte gilt. Dass wir nicht an zwei Orten gleichzeitig sein können, führen sie auf den störenden Einfluss der Umwelt zurück. Da ein grosses Objekt unzähligen Störungen ausgesetzt ist, verflüchtigt sich sein quantenmechanisches Verhalten nahezu augenblicklich. Demnach wäre es allein die praktische Unmöglichkeit, ein grosses Objekt von Störungen der Umwelt abzuschirmen, die einer Überlagerung von Zuständen im Wege steht.
Ein Team um Časlav Brukner von der Universität Wien relativiert nun diese Vorstellung. In einer theoretischen Arbeit in der Zeitschrift «Nature Physics» legen die Forscher dar, dass auch die Gravitation klassisches Verhalten hervorrufen kann.¹ Über den Effekt der gravitativen Zeitdilatation zerstört sie die kohärente Überlagerung und zwingt selbst ein vollständig isoliertes Objekt in einen lokalisierten Zustand.
Unter der gravitativen Zeitdilatation versteht man das Phänomen, dass Uhren auf der Erdoberfläche langsamer gehen als in grosser Höhe. Dass selbst winzige Höhenunterschiede gravierende Folgen haben können, veranschaulichen die Forscher an einem Molekül, das sich in einer vertikalen Überlagerung befindet. Der untere Zustand spürt dann ein etwas stärkeres Gravitationspotenzial als der obere. Wegen der gravitativen Zeitdilatation vibriert das Molekül im unter Zustand mit etwas anderer Frequenz als im oberen. Dadurch kommt es zu einer Kopplung zwischen der Position des Moleküls und seinen inneren Anregungszuständen. Das führt – ähnlich wie die Kopplung an die Umwelt – zu einem Verlust der Kohärenz.
Die Forscher haben abgeschätzt, dass die Überlagerung eines grammschweren Objekts, dessen Zustände um einen Mikrometer separiert sind, nach einer Tausendstelsekunde zerfallen würde. Das mache die Beobachtung dieses Effekts schwierig, sagt Brukner, denn Umwelteinflüsse zerstörten die Kohärenz in der Regel wesentlich schneller. Dennoch ist Brukner zuversichtlich, dass man die gravitativ bedingte Dekohärenz in Zukunft experimentell nachweisen kann, etwa mit komplexen Molekülen in einem Interferometer. Um die dominanten Umwelteinflüsse auszublenden, müsse ein solches Experiment bei sehr tiefen Temperaturen und im Hochvakuum ausgeführt werden.
Da die Gravitation allgegenwärtig ist, sprechen die Forscher von einer universellen Dekohärenz. Gleichzeitig betonen sie aber, dass es keinen prinzipiellen Unterschied zur Dekohärenz durch alle anderen Umwelteinflüsse gibt. Angelo Bassi von der Universität Triest empfindet das als Manko. Solange die fundamentale Dynamik linear bleibe, könnten externe Einflüsse – und dazu gehöre auch die Gravitation – das konzeptionelle Problem nicht lösen, warum es eine klassische Welt gebe. Als Alternative verweist Bassi auf nichtlineare Modelle von Roger Penrose und anderen Physikern, in denen die Überlagerung von selbst kollabiert. Das hat allerdings einen hohen Preis. Die Modelle postulieren nämlich, dass die Quantentheorie irgendwo zwischen Mikro- und Makrokosmos ihre Gültigkeit verliert.
Nature Physics, Online-Publikation vom 15. 6. 2015.
Nota. - Dass ich's ganz verstanden hätte, kann ich nicht sagen. Für den Fall, dass es Ihnen ähnlich geht, bringe ich es gleich dreimal, vielleicht hilft das.
Für den Hausgebrauch behalte ich immerhin zurück: Zwischen dem Mikrokosmos der Teilchenphysik und dem Mesokosmos, in dem wir unsere Erfahrungen machen, gibt es keinen stetigen Übergang, sondern eine Grenze. Die Natur macht (auch hier) einen Sprung.
Und zwar einen so gewaltigen, dass man sich nicht erklären kann, wie auf der Grundlage der Quanten eine Welt, in der wir leben können, überhaupt möglich ist. - Oder weist etwas das Bedingungsverhältnis nicht (nur) bottom up, sondern (auch) top down? Wie ein Weiser mal sagte: Je mehr man weiß, umso weniger versteht man.
JE
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