Donnerstag, 11. Juni 2015

Aber öffentliches Wissen ist zuerst einmal veröffentlichtes Wissen...

aus derStandard.at, 9. 2. 2015

Open Access? 
Veröffentlichen unter Ausschluss der Öffentlichkeit
Dass die Geisteswissenschaften an gesellschaftlicher Relevanz verlieren, liegt auch daran, dass sie sich von Verlagen Publizität teuer erkaufen lassen

Von Klaus Taschwer

Wien - Beginnen wir mit dem Grundsätzlichen: nämlich einigen Paradoxien bei der Finanzierung von Forschung sowie der Kommunikation ihrer Erkenntnisse. Ein Gutteil der sogenannten Grundlagenforschung ist zumindest in unseren Breiten von der öffentlichen Hand finanziert, also letztlich von Frau und Herrn Steuerzahler. Ein nicht ganz kleiner Teil dieser öffentlichen Mittel wird darauf verwendet, Verlage zu bezahlen, die für eine Publikation der neuen Forschungsergebnisse in Form von Zeitschriften in analoger und digitaler Form sorgen.

Einige dieser Verlage lassen sich diese Publikation neuer Erkenntnisse zum Teil unverschämt gut honorieren. Die ganz großen Multis wie Elsevier machen nicht nur Milliardenumsätze, sondern auch Milliardengewinne, ihre Gewinnspanne liegt bei rund 30 Prozent. Die Ausbeutung ist eine doppelte: Erstens liegt die redaktionelle und editorische Arbeit meist bei den – zumindest in unseren Breiten – vom Staat bezahlten Wissenschaftern selbst, die wenig bis nichts dafür bekommen.

Zweitens sind die Käuferinnen der oft maßlos überteuerten Journale im Normalfall vom Staat finanzierte Universitäts- und Institutsbibliotheken. Mit anderen Worten: Die Wissenschaft hat sich vielfach die Veröffentlichung ihrer Erkenntnisse aus der Hand nehmen lassen.

Zwei Verlagswelten

Ein weiteres Paradoxon liegt darin, dass die Kommunikation dieser neuen Erkenntnisse zurück an Frau und Herrn Steuerzahler, die diese Forschungen finanziert haben, nicht nur durch öffentlich finanzierte Medien mit Bildungsauftrag (ORF & Co.), sondern auch durch Zeitungen wie "Der Standard", "Der Spiegel" oder "The New York Times" erfolgt – also durch Verlagshäuser, die für diesen Dienst im Normalfall kein Geld kriegen oder bestenfalls durch Kooperationen geringe Mittel lukrieren.

Anders formuliert: Die Wissenschaft zahlt jährlich etliche Milliarden an einige Großverlage, um die von der Öffentlichkeit ko-finanzierten Erkenntnisse innerhalb der Scientific Community zirkulieren zu lassen. Damit diese Erkenntnisse an die Öffentlichkeit gelangen, wird zwar mittlerweile jede Menge Geld in PR gesteckt. Die eigentliche Aufbereitung für die Öffentlichkeit passiert dann aber in aller Regel durch Journalisten in Medien, die meist nichts dafür kriegen und durch Leser und Werbung hauptfinanziert sind.

All das hat sich in den letzten Jahren noch ein wenig dramatisiert. Zwar gäbe es durch das Internet technisch alle Möglichkeiten, wissenschaftliche Artikel open access zu stellen und damit für alle frei zugänglich zu machen. Doch in dieser schon seit einiger Zeit andauernden Übergangsperiode zu einem hoffentlich billigeren und besseren Publikationssystem 2.0 läuft noch einiges falsch.

Doppeltes Abkassieren

Auf der einen Seite gibt es mittlerweile etliche open-access-Zeitschriften, die einfach alles drucken, wenn sie nur Geld dafür bekommen. Auf der anderen Seite halten viele etablierte Verlage in dieser bereits viel zu lange andauernden Übergangsphase doppelt die Hand auf: Einmal für die gedruckte Zeitschrift oder das gedruckte Buch, so wie bisher. Und dann lassen sich die Verlage auch noch die Rechte auf die Texte um teures Geld abkaufen, damit die Forscherinnen und Forschern sie auf der eigenen Homepage, auf academia.edu, ResearchGate.net oder sonstwo allgemein zugänglich machen dürfen. Oder damit sie überhaupt gleich open access publiziert werden (meist gut versteckt auf der Homepage des Verlags).

Welche absurden Formen das annehmen kann, sei an einem selbst erlebten Beispiel erläutert. Der Autor dieser Zeilen wird gebeten, für eine deutschsprachige wissenschaftshistorische Fachzeitschrift eine Rezension zu verfassen. Dass es für den Text – im Gegensatz zu einer Buchbesprechung für ein kommerzielles Medium – kein Geld gibt, ist ja noch einzusehen. Doch es gibt vom Verlag Wiley-VCH (Umsatz 2010: rund 100 Millionen Euro), der die Zeitschrift in seinem Portefeuille hat, nicht nur kein Geld.

Gebühren fürs Lesen und Veröffentlichen

Der Vertrag des Rezensenten mit dem Verlag sieht vor, dass der Autor alle Rechte am veröffentlichten Text an den Verlag abtritt. Auch das ist noch einzusehen und wäre auch bei einer Zeitung wie dem "Standard" nicht anders. Der große Unterschied ist nur: Die Texte im "Standard" sind allgemein und gratis zugänglich; meine Buchbesprechung wird zwar von den "Berichten zur Wissenschaftgeschichte" auch online publiziert werden. Interessierte werden für die Lektüre aber zahlen müssen – je nach Dauer der Einsichtnahme zwischen 6 US-Dollar ("Miete für 48 Stunden") und 38 US-Dollar (PDF).

Doch es gäbe auch noch eine andere Alternative, die der Verlag anbietet: Der Rezensent kann sich das PDF seines eigenen Texts vom Verlag zurückkaufen und veröffentlichen, also etwa auf seiner academia.edu-Seite. Der Betrag, der dafür zu entrichten ist – und nun wird es wirklich absurd – beträgt sage und schreibe 2500 Euro. In Worten: zweitausendfünfhundert. Damit ist also quasi gesichert, dass es für diese Rezension, für das besprochene Buch ("Die Anthropologische Gesellschaft in Wien" von Irene Ranzmaier) und damit auch dieses Forschungsprojekt allenthalben eine möglichst kleine Fachöffentlichkeit geben wird.

Mangelndes Öffentlichkeitsbewusstsein

Das ist im konkreten Fall womöglich erstens nicht allzu tragisch, weil sich nicht allzu viele Menschen für "die akademische Etablierung anthropologischer Disziplinen an der Universität, 1870–1930" (so der Untertitel) interessieren werden. Und zweitens darf der Rezensent immerhin noch die eingereichte Erstversion seines Texts zugänglich machen, was er prompt getan hat.

Dieses kleine Beispiel ist aber symptomatisch für das mangelnde Öffentlichkeitsbewusstsein in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Schon der Verlag, in dem das Buch erschien, hat sich nicht wirklich darum gekümmert – dem Rezensenten jedenfalls keine Einladung zur Buchpräsentation oder einen Hinweis auf das Buch geschickt. (Durch Zufall hat er dann doch davon erfahren.)

Für geistes- und sozialwissenschaftliche Fachzeitschriften und ihre Herausgeber scheint Öffentlichkeitsarbeit ganz generell eher ein Fremdwort zu sein - anders als für naturwissenschaftliche Journale, die wöchentlich Dutzende Hinweise auf bevorstehende Artikel per E-Mail an die "Standard"-Wissenschaftsredaktion schicken. Nicht dass wir jetzt auch noch von dieser Seite mit Aussendungen bombardiert werden wollen, aber einfach kommentierte Inhaltsverzeichnisse in einer E-Mail täten manchmal schon reichen.

Womöglich erscheint in dem einen oder anderen geisteswissenschaftlichen Fachblatt doch etwas, das wert wäre, eine breitere Öffentlichkeit zu finden. Doch selbst dieser Dienst an der Öffentlichkeit wird weder von den Verlagen noch den Herausgebern der Zeitschriften geleistet - und nur selten von Geisteswissenschaftern selbst. An gesellschaftlicher Relevanz jedenfalls gewinnt man durch solche Veröffentlichungspraktiken unter Ausschluss der Öffentlichkeit eher nicht.


Nota. - Der Wissenschaftsbetrieb ist eine Institution. Wissenschaft ist eine gesellschaftliche Instanz. Wissenschaft ist öffentliches Wissen.

Nicht weil Wissenschaftsbetrieb Institution und Wissenschaft gesellschaftliche Instanz sind, ist ihr Wissen schon öffentlich. Sondern nur in dem Maß, wie der Wissenschaftsbetrieb seine Produktionen öffentlich zu machen versteht, kann sich die Wissenschaft als eine gesellschaftliche Instanz bewähren - und behaupten. Dass die Verlage diesem Zweck nicht dienen, ist eine Tatsache. Ob es so sein muss und ob es vielleicht auch hätte anders kommen können, spielt nun keine Rolle mehr.

Wenn allerdings die Wissenschaften - und das sind in ihrer Wirklichkeit die Wissenschaftler selbst - nicht verstehen, dass das Internet ihr angemessenstes Medium ist, und wenn sie sich nicht aufraffen, die Möglichkeiten des Internets für sich zu organisieren, dann sind sie selber schuld, wenn sie an gesellschaftlicher Bedeutung verlieren.
JE 


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