Messerschmidt, Charakterkopf
aus Die Presse, Wien, 13. 10. 2014
Erstes Biologicum
Sonne, Nebel und viel Gefühl im Almtal
Sind
Gefühle nur das Erleben körperlicher Vorgänge? Wie rational sind sie?
Kann man sich auf Empathie verlassen? Und wie groß ist der kleine
Unterschied zwischen den Geschlechtern?
Es gab Äpfel und Birnen umsonst, auf der Bühne hing das Bild eines Schweins, durch die Reihen schwebte der zarte Geruch nasser Hunde. „Wir dulden Hunde und andere Tiere im Saal, das unterscheidet uns von anderen -logicen“, erklärte Kurt Kotrschal, wissenschaftlicher Leiter des Biologicums. Nun, andere große Tiere waren zwar nicht im Auditorium – es sei denn, man zählt, wie Biologen es gern tun, die Menschen als solche –, aber es ist Kotrschal und seinen Mitarbeitern gelungen, ein populäres Symposium auszurichten, das schon atmosphärisch eindeutig als Biologicum erkennbar ist.
Dazu trug auch der Ort bei, das herrliche, bisweilen nebelverhangene, zum Glück in diesen Tagen meist sonnendurchflutete Almtal, ein Zentrum der Verhaltensforschung, seit Konrad Lorenz dort 1973 seine Graugänse ansiedelte. Ihre Nachkommen leben immer noch dort, frei, aber unter Beobachtung, ebenso Krähen, Waldrappe – und Kolkraben, die nicht nur zum Spaß auf Hirschen reiten, sondern auch einander kosen, betrügen und sekkieren, kurz: ein erstaunlich reiches Sozialleben haben. Thomas Bugnyar kennt sie alle persönlich und übersetzte für die Biologicum-Besucher ihre Dialoge frei, etwa so: „Ich bin cool.“ – „Ich auch.“
Spricht so ein Wesen, das keine Gefühle kennt? Im Ernst: Dass Tiere nur Reiz-Reaktions-Maschinen seien, diese Ansicht der radikalen Behavioristen ist heute obsolet. Dazu hat US-Psychologe Jaak Panksepp – Freunden populärer Wissenschaft bekannt als der Mann, der Ratten durch Kitzeln zum Kichern brachte und Krebse kokainsüchtig machte – viel beigetragen. „We will never understand the human mind, until we understand the animal mind“: Auch in Grünau brachte er sein Credo mit Verve vor. Und präsentierte u.a. eine leicht unheimliche Arbeit: Ohne Großhirn geborene Kinder zeigen Gefühle.
Gefühle kommen von unten
Also, wie Panksepp und der Neo-Freudianer Mark Solms sagten: „Das ,Es‘ weiß mehr, als das ,Ich‘ zugibt.“ Gefühle kommen von unten, aus den niederen, älteren Regionen des Hirns; sie werden freilich von höheren Regionen, vor allem vom präfrontalen Cortex, kontrolliert. Panksepp unterscheidet sieben grundlegende Gefühle – auf Englisch: seeking, rage, fear, lust, care, panic, play –, sie sind alle untrennbar mit körperlichen Veränderungen verbunden.
Sind Gefühle also, wie der US-Philosoph James Lange einst meinte, nur das Erleben körperlicher Vorgänge? Sabine Döring, Philosophin in Tübingen, widersprach: Sie will Gefühle als „Wahrnehmungen von Werten“ sehen, und sie plädiert dafür, Gefühle „in die Rationalität zu integrieren“.
Ein Philosoph klagt über „die Moderne“
Dass Menschen ihre Gefühle steuern und interpretieren können, betonte der Wiener Psychologe Claus Lamm. Er behandelte vor allem die Empathie – und warnte davor, naiv daran zu glauben, dass mehr Empathie allein uns zu besseren Menschen mache. Sie sei hoch selektiv: So reagieren Weiße mehr auf Schmerzen von Weißen als von Schwarzen und Rapidler mehr auf das Leid von Rapidlern als von Austrianern (und umgekehrt).
Was Psychologen kaum tun, tat der Philosoph Wilhelm Schmid: Er sprach von Seele. Deren Ausdrucksformen seien die Gefühle, positive und negative. Beide seien notwendig für ein erfülltes Leben, das wolle „die Moderne“ nicht verstehen, „in der die Menschen wie verrückt dem Glück nachrennen“.
Das tun Männer und Frauen auf recht unterschiedliche Weise, findet Biologin Barbara Schweder. In ihrer wilden, witzigen Tour durch die Arena der Geschlechter attestierte sie den Männern u.a. Spracharmut und schlechte Eignung für die Paarbildung. Überhaupt seien Männer und Frauen „wenig kompatibel“. Beruhigend, dass Schweder schließlich doch auf einen Trend zu weniger Testosteron (Brad Pitt statt Schwarzenegger) und das Hinterfragen des Patriarchats hoffte...
Dazu eignet sich der Film „Hercules“ nicht, den sich Bernhard Eckerstorfer, Pater im Stift Kremsmünster, mit Firmlingen ansehen musste. „Wir Männer sind offenbar anfällig für kollektive Gewalt“, kommentierte er dieses Erlebnis bei der Diskussion über „Religion und Emotion“. Bei der er auch die wohl geistreichste Anekdote des durchaus nicht geistarmen Biologicums erzählte: Ein katholischer Kollege habe in den USA bei einer Debatte mit Baptisten und Evangelikalen, die von ihren religiösen Gefühlszuständen schwärmten, schmallippig reagiert: „Thank god I never had a religious experience...“
Auch so kam in Grünau trotz aller Gefühle auch der Verstand zu Wort. 2015 geht's beim zweiten Biologicum um ihn.
Nota.
Gefühle hat man nicht einfach; sondern, wenn sie nur stark genug sind, man erlebt sie (das Wort kam oben schon vor). Erleben ist aber eo ipso: werten. Wer wollte bestreiten, dass dabei die "höheren", geistigen Gehirnfunktionen mitgetroffen werden? Die Bedeutungen der Dinge sind den Dingen (in der Wahrhnehmung) immer schon vorgegeben. Ob es möglich ist, sie experimentell wieder von einander zu scheiden? Fragt sich, welchen Zweck das hätte. Denn logisch wird man sie nicht scheiden können.
JE
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