Samstag, 17. November 2018

Der schöne Schein trügt.

Fraktale  
aus spektrum.de,17.10.2018
 
Teilchenphysik 
Trügerische Eleganz
Über Jahrhunderte haben Menschen immer wieder Teile des Codes erraten, in dem die Naturgesetze geschrieben sind. Nun aber scheinen die Forscher in einer Sackgasse gelandet zu sein.

von Robert Gast

Bei der Suche nach neuen Naturgesetzen verlassen sich Physiker seit Langem auf ihre mathematische Intuition: Schöne Formeln sind eher wahr als weniger elegante, meinen sie.

Die Physikerin Sabine Hossenfelder argumentiert in einem neuen Buch, Ästhetik sei kein wissenschaftliches Kriterium – sie habe Forscher schon oft in die Irre geführt. 

Die Frankfurter Theoretikerin wirft viele wichtige Fragen auf, schießt aber aus Sicht mancher Physiker über das Ziel hinaus. Insbesondere die Symmetrie von Gleichungen gilt vielen Forschern nach wie vor als Schlüssel zum Verständnis des Mikrokosmos.


Für Steven Weinberg ist die Sache klar: Gute Physiker sind wie Pferdezüchter. Im Stall erkennen diese auf den ersten Blick, welches Tier Rennen gewinnen kann. Bei der Suche nach neuen Naturgesetzen ist es so ähnlich, findet der Nobelpreisträger: »Jahrhunderte der Erfahrung mit der Natur haben uns ein ästhetisches Gespür dafür eingemeißelt«, sagte er einmal.

Weinberg weiß, wovon er spricht: Vor gut 50 Jahren war er maßgeblich daran beteiligt, die Theorie der »elektro­schwa­chen Vereinheitlichung« auszuarbeiten. Ihre Gleichungen besagen, dass zwei der vier bekannten Kräfte im Universum – die schwache Kernkraft (die Atomkerne zer­fal­len lässt) und der Elektromagnetismus – bloß Facetten desselben Phänomens sind. Wenn man weit genug ins Innere der Materie hineinzoomt und Strukturen und Prozesse betrachtet, die gerade einmal ein Milliardstel eines mil­li­ardstel Meters (10–18 Meter) voneinander entfernt sind, kann man beide Kräfte nicht mehr voneinander unterscheiden.

Inspiriert hatten Weinberg und seine Kollegen elegante mathematische Strukturen, so genannte Symmetriegruppen. Mit einem Kniff, der dem Amerikaner 1967 in seinem roten Sportwagen auf dem Weg zur Arbeit einfiel, ließen sich die letzten Widersprüche der »elektroschwachen Vereinheitlichung« ausräumen. Zunächst war das nur ein schöner Gedanke. Aber bald darauf bestätigten Experimente an Teilchenbeschleunigern die Vorhersagen der Theorie – und machten Weinberg, Sheldon Lee Glashow und Abdus Salam 1979 zu Nobelpreisträgern.

Bis heute versuchen Physiker, an die Erfolge von damals anzuknüpfen. Mit großem Eifer suchen sie nach einem Weltmodell, das nicht bloß zwei, sondern alle vier bekannten Kräfte auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen kann. Idealerweise würde sich diese Urkraft durch eine »Theorie von allem« oder eine Art »Weltformel« beschreiben lassen – ein Traum, auf den schon Albert Einstein hinarbeitete.

Aber die Physiker kommen diesem Ziel, wenn überhaupt, nur langsam näher. Seit einigen Jahren wirkt es sogar so, als wären sie irgendwo falsch abgebogen …  

Der Autor ist Physiker und Redakteur bei »Spektrum.de« und »Spektrum der Wissenschaft«.

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