Montag, 24. September 2018

Zählen in der Zeit.

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aus scinexx

Unsere Neuronen können "zählen"
Wie unser Gehirn Ziffern und Mengen verarbeitet

Eins, zwei, drei: Forscher haben herausgefunden, wie unser Gehirn Zahlen verarbeitet. Ihr Experiment zeigt: Abhängig von der gesehenen Anzahl werden jeweils ganz unterschiedliche Hirnzellen aktiviert - das gilt für Mengen in Form von Punkten ebenso wie für Ziffern. Dabei sind die Aktivitätsmuster erstaunlich spezifisch: Allein der Blick ins Gehirn kann demnach verraten, mit welcher Menge oder Ziffer wir uns gerade beschäftigen.

Die Fähigkeit zu zählen ist uns in die Wiege gelegt: Schon kurz nach der Geburt können Babys Mengen abschätzen und einfache Berechnungen durchführen. Forscher wissen inzwischen, dass es in unserem Gehirn sogar eigene Areale für die Verarbeitung von Zahlengrößen gibt. Was aber spielt sich bei solchen Prozessen genau ab - und verarbeiten wir abstrakte Zahlen anders als konkrete Mengen?

Um das herauszufinden, haben Wissenschaftler um Esther Kutter von der Universität Bonn nun Epilepsie-Patienten ins Gehirn geblickt. Den neun Probanden waren zu Therapiezwecken haarfeine Mikroelektroden in den Schläfenlappen eingesetzt worden - und genau das machte sich das Forscherteam zunutze: "Wir konnten damit die Reaktion einzelner Nervenzellen auf visuelle Reize messen", erklärt Kutters Kollege Florian Mormann.

Auf eine Zahl eingestellt

Für ihre Untersuchung zeigten die Forscher den Studienteilnehmern auf einem Computerbildschirm eine unterschiedlich große Anzahl von Punkten - mal nur einen, mal vier oder auch fünf. Was würde beim Anblick dieser Punkte im Gehirn passieren? Es zeigte sich: "Bestimmte Nervenzellen feuerten vor allem bei ganz bestimmten Mengen", berichtet Kutter. "Manche wurden zum Beispiel hauptsächlich durch drei Punkte aktiviert, andere durch einen."

Interessant dabei: Die einzelnen Neuronen waren zwar auf eine bestimmte Menge "eingestellt", sprachen aber auch auf leicht abweichende Mengen an. Eine Dreier-Hirnzelle feuerte demnach auch bei zwei oder vier Punkten, wie die Wissenschaftler berichten. Durch einen oder fünf Punkte ließ sie sich dagegen kaum noch aktivieren. Experten nennen das den "Numerical Distance Effect" - ein Phänomen, das bereits im Gehirn von Affen beobachtet wurde.

Ähnliches Prinzip bei Ziffern

Das abhängig von der gesehenen Menge erzeugte Aktivitätsmuster war dabei sehr spezifisch: "Wir haben einen Algorithmus geschrieben, der dieses Muster auswertet", erklärt Mormann. "Mit ihm konnten wir allein aus dem Erregungszustand der Nervenzellen ablesen, wie viele Punkte unsere jeweilige Versuchsperson gerade sah."

Ähnliches beobachteten die Forscher auch, als sie den Probanden statt Mengen in Form von Punkten konkrete Ziffern zeigten. So feuerten bei bestimmen Ziffern ebenfalls bestimmte Hirnzellen - allerdings mit entscheidenden Unterschieden. Denn die Ziffern-Neuronen waren nicht mit den Mengen-Neuronen identisch: Die Ziffer "3" regt demnach ganz andere Nervenzellen an als eine Menge von drei Punkten.

Dyskalkulie besser verstehen?

Analog zum Mengenexperiment gab es aber auch hier einen "Numerical Distance Effect", wie Mormann berichtet: "Sie lassen sich also ebenfalls nicht nur durch die genau passende Ziffer, sondern auch durch deren Nachbarn anregen." Für die Wissenschaftler zeichnet sich damit ab, dass wir uns Ziffern anders aneignen als andere einfache Zeichen - und dass diese Symbole in unserem Gehirn eng mit einer bestimmten Mengenvorstellung verwoben sind. Die Neuronen müssen demnach gelernt haben, dass sich eine "3" in ihrem Wert nur wenig von einer "2" oder einer "4" unterscheidet, sonst würden sie nicht auf diese beiden Ziffern ansprechen.

Die Forscher hoffen, dass diese neuen Erkenntnisse in Zukunft auch zu einem besseren Verständnis der Dyskalkulie beitragen werden - einer Entwicklungsstörung, die unter anderem mit einem schlechteren Mengenverständnis einhergeht. (Neuron, 2018; doi: 10.1016/j.neuron.2018.08.036 

(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 24.09.2018 - DAL)


Notabene! Meine Lieblingsidee, dass die Zahlen nicht durch Anschauung des Nebeneinanders von  Dingen im Raum, sondern aus dem Erleben vom Nacheinander des Geschehens in der Zeit entstanden ist, wird da- von nicht berührt. Das Einschätzen von Mengen ist noch nicht ihr Messen. Zu letzterem braucht man aller- dings - außer einer Maßeinheit - Zahlen. Fürs erstere reicht ein Ungefähr, wie das Experiment ja beweist. Wo die Zahlen herkommen, ist davon unberührt. Man sollte annehmen, dass sie schon da waren, als man daran ging, Mengen zu messen statt bloß zu schätzen; und dass man daran ging, weil sie schon da waren!
JE


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