Dienstag, 27. März 2018

Ein grüner Daumen im Gehirn.

Geradezu umstürmt: eine Mikrogliazelle (rot), umgeben von Filopodia (grün).
aus Die Pressse, Wien,                                          Mikrogliazelle (rot), umgeben von Filopodia (grün)

Das Hirn ist kein Computer, es braucht auch Fresszellen!
Gliazellen im Gehirn sind mehr als Stütz- und Bindematerial: Manche von ihnen, die Mikroglia, eigentlich Fresszellen, arrangieren die Synapsen neu, indem sie an ihnen knabbern. Forscher am EMBL in Heidelberg konnten das jetzt sogar filmisch dokumentieren.

 

Über künstliche Intelligenz wird derzeit wieder einmal viel geredet. Und man wundert sich genauso darüber, dass der – nicht einmal als Metapher akzeptable – Vergleich des Gehirns mit einem Computer noch immer grassiert, wie darüber, dass manche Essayisten offenbar glauben, dass eine direkte physische Verbindung von Chips zu Neuronen in naher Zukunft machbar sein wird.

Wie sehr das Gehirn ein typisch biologisches, von einem digitalen Computer grundlegend verschiedenes System ist, illustriert eine in Nature Communications (26. 3.) erschienene Arbeit von Hirnforschern am European Molecular Biology Laboratorium (EMBL) in Heidelberg. Sie haben erstmals – durch eine Kombination von Elektronen- und Lichtmikroskopie – filmisch festgehalten, wie Mikrogliazellen helfen, die Synapsen, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen, zu formieren und zu arrangieren.

Mikroglia sind ein spezieller Typ von Gliazellen, zu diesen rechnet man alle Zellen im Nervengewebe, die nicht eigentliche Nervenzellen (Neuronen) sind. Von ihnen gibt es immerhin neunmal so viele wie von den Neuronen. Einst schrieb man ihnen nur eine Stütz- und Bindefunktion zu – ihr Name kommt vom griechischen Wort für Leim –, doch die Hirnforscher kommen immer mehr darauf, dass sie auch funktionelle Rollen spielen, so isolieren sie die Neuronen elektrisch, sie ernähren sie und entsorgen die chemischen Botenstoffe (Neurotransmitter), mit denen sie kommunizieren.


Andere Aufgaben haben die Mikroglia, die an die 20 Prozent der Gliazellen stellen. Sie gehören zum Immunsystem, sind mit den Makrophagen verwandt, den Fresszellen, die eingedrungene Mikroorganismen vertilgen. Auch die Mikroglia erkennen und beseitigen potenziell pathogene Substanzen. Schon länger vermuten Hirnforscher, dass sie auch Synapsen fressen, selektiv natürlich, und so zur Entwicklung des Hirns beitragen. Die Bilder, die die EMBL-Forscher vom Gewebe aus dem Hippocampus (ein fürs Gedächtnis wichtiges Hirnareal) von Mäusen machen konnten, zeigen ein zarteres, subtileres Szenario: 

„Die Mikroglia fressen an den Synapsen, aber sie fressen sie nicht auf, sie eliminieren sie nicht“, sagt Cornelius Gross vom EMBL. In diesem Sinn sprechen die Forscher von partieller Phagozytose oder von Trogocytose, vom griechischen Wort für Knabbern: Die Mikroglia knabbern sich die Synapsen sozusagen zurecht, und zwar jeweils nur auf der präsynaptischen Seite – an dem Neuron, das Neurotransmitter aussendet – nicht auf der postsynaptischen, wo die Neurotransmitter gebunden werden. Das Neutron an dieser Seite der Synapse reagiert dafür auf die Mikroglia mit der Bildung von Filopodia, von „kleinen explorativen Auswüchsen“, wie es Cornelius Gross ausdrückt: „Das ist den Laien wahrscheinlich nicht bewusst: Synapsen schauen sich dauernd nach etwas Neuem um. Das macht das Hirn so flexibel.“ So sind Mikroglia wesentlich an der strukturellen Plastizität des Gehirns beteiligt – und damit an dem, was dieses besser kann als jeder Computer: nämlich Neues lernen.

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