aus scinexx
Unser Gedächtnis speichert mehr ab als gedacht
In unserem Langzeitgedächtnis landen erstaunlich viele detaillierte Informationen
Dauerhaft abgespeichert: Unser Gedächtnis
speichert offenbar viel mehr Informationen langfristig ab als bisher
angenommen. Demnach schafft es nicht nur ein kleiner ausgewählter Teil
aus dem Kurzzeit- in den Langzeitspeicher – sondern fast jeder
Wahrnehmungsmoment, wie ein Experiment nun nahelegt. Lassen sich diese
Ergebnisse bestätigen, ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen
für aktuelle Modellvorstellungen zum menschlichen Gedächtnis.
Erinnerung
ist ein komplexer und dynamischer Prozess. Weil im Alltag ständig neue
Informationen auf uns einströmen, befindet sich insbesondere unser
Kurzzeitgedächtnis beständig im Wandel: Kontinuierlich passt sich der
Zwischenspeicher an Veränderungen in unserer Umwelt an – und neue
Inhalte drängen alte in den Hintergrund. Nur was das Gehirn als
besonders wichtig erachtet, landet im Langzeitgedächtnis und kann
dauerhaft abgerufen werden.
Im Vergleich zu den riesigen Datenmengen, denen wir tagtäglich
ausgesetzt sind, ist der Teil, der langfristig gespeichert wird,
ziemlich klein. So zumindest dachten Wissenschaftler bislang. Zahlreiche
Studien schienen das zu bestätigen. Nun zeigt sich jedoch, dass diese
Annahme falsch sein könnte: Womöglich legen wir viel mehr detaillierte
Informationen im Langzeitgedächtnis ab als gedacht – und zwar unabhängig
von unserer aktuellen Aufmerksamkeit, ohne die Absicht, etwas zu
speichern, und ohne überhaupt davon zu wissen.
Unangekündigter Erinnerungstest
Zu diesem Schluss sind Christof Kuhbandner von der Universität
Regensburg und seine Kollegen bei der Auswertung eines Experiments
gelangt. Bei dem Versuch hatten sie Probanden in schneller Abfolge
insgesamt 128 Bilder auf einem Bildschirm gezeigt. Jede dieser
Abbildungen war nur für 500 Millisekunden zu sehen und über jeder wurde
ein davon unabhängiges Wort eingeblendet. Die Versuchspersonen hatten
die Aufgabe, die Bilder zu ignorieren, auf die Wörter zu achten und bei
einer Wortwiederholung einen Knopf zu drücken.
Dass es bei dem Test eigentlich um das Erinnern ging, erfuhren sie erst
hinterher. Dann nämlich zeigten die Wissenschaftler ihnen Bildpaare:
jeweils ein zuvor gesehenes Bild und eines, das dem gezeigten Bild sehr
ähnlich war. Konnten die Probanden angeben, welches der beiden Bilder
sie vorher schon einmal gesehen hatten? Um die Langfristigkeit der
Speicherung zu messen, wurde die Hälfte der Bilder direkt nach der
Wahrnehmungsaufgabe getestet, die andere Hälfte nach 24 Stunden.
Unbewusst abgespeichert
Das Ergebnis: Ein Großteil der Versuchspersonen gab zwar an, sich nicht
zu erinnern und daher die meiste Zeit raten zu müssen – das war in 77
Prozent der Fälle direkt danach und in 95 Prozent der Fälle beim Test
nach 24 Stunden so. Trotzdem konnten sie erstaunlich viele der zuvor
gezeigten Bilder richtig identifizieren. Selbst nachdem die Forscher den
Faktor Zufall herausgerechnet hatten, hatten die Probanden beim ersten
Test noch eine Trefferquote von 48 Prozent. Nach 24 Stunden lagen sie
immerhin noch in 21 Prozent der Fälle richtig.
Nach Ansicht von Kuhbandner und seinen Kollegen demonstrieren diese
Befunde, dass Menschen fast jeden einzelnen Wahrnehmungsmoment
detailliert abspeichern – selbst dann, wenn Objekte gar nicht bewusst
wahrgenommen wurden und man gar nicht die Absicht hatte, sich etwas zu
merken.
Lassen sich die Beobachtungen bestätigen, ergeben sich daraus
weitreichende Konsequenzen für aktuelle Modellvorstellungen zum
menschlichen Gedächtnis und auch für etliche Anwendungsbereiche, wie die
Forscher betonen. So könne man beispielsweise bei der Befragung von
Zeugen künftig davon ausgehen, dass visuelle Erinnerungen an vergangene
Ereignisse weitaus detaillierter sind als bisher vermutet. (Frontiers in
Psychology, 2017; doi: 10.3389/fpsyg.2017.01859)
(Universität Regensburg, 18.01.2018 - DAL)
Nota. - Die Aufmerksamkeit entscheidet also nur darüber, was im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wird - und baldige Reaktion erfordert. Was ins Langzeitgedächtnis kommt - entscheidet der Zufall oder wählt 'das Gehirn' nach eigenen Kriterien?
Für die Schule würde es übrigens bedeuten, dass konzentriertes Büffeln gar nichts nutzt. Was nicht von allein hängenbleibt, kann auch durch Aufmerken nicht behalten werden.
JE