Donnerstag, 25. Januar 2018

Homo sapiens kam viel früher aus Afrika herüber als gedacht.


aus FAZ.NET, 25. 1. 2018, 21.00 Uhr                                         Misliya-Höhle im Karmel-Gebirge südlich von Haifa.


Der moderne Mensch hat Afrika mindestens 50.000 Jahre eher verlassen als bisher gedacht. Das schließt eine internationale Forschergruppe aus den bislang ältesten bekannten Überresten eines Homo sapiens außerhalb Afrikas. Israel Hershkovitz von der Universität in Tel Aviv und seine Kollegen fanden in der Misliya-Höhle im Karmel-Gebirge etwa zwölf Kilometer südlich der israelischen Hafenstadt Haifa einen Teil eines Oberkiefers und acht Zähne, die sie auf ein Alter von etwa 180.000 Jahren datierten. Von ihrer Entdeckung berichten die Wissenschaftler in der Zeitschrift „Science“.

Der Fundort liegt nur knapp zehn Kilometer entfernt von der Skhul- und der Qafzeh-Höhle; dort waren in den 1930er-Jahren die bisher ältesten bekannten Überreste eines modernen Menschen außerhalb Afrikas entdeckt worden. Sie sind vor 20 Jahren auf ein Alter von 90.000 bis 120.000 Jahren datiert worden.

Nach bisheriger Lehrmeinung entstand der Homo sapiens vor etwa 300.000 Jahren in Afrika und wanderte vor rund 100.000 Jahren aus Afrika aus. Jüngere Genanalysen deuteten jedoch schon auf eine erheblich frühere Auswanderung hin.

Das Alter des aktuellen Funds aus der Misliya-Höhle bestimmten die Forscher mit drei verschiedenen Datierungsmethoden: Zwar erbrachte die sogenannte „U-Series-Datierung“ eines Zahnstückes nur ein Alter von etwa 70.000 Jahren – dies betrachten die Wissenschaftler als oberste Altersgrenze. Doch drei weitere Untersuchungen mit unterschiedlichen Techniken und in verschiedenen Laboren ergaben weitgehend übereinstimmende Ergebnisse: ein Alter zwischen 177.000 und 194.000 Jahren. ...

Das undatierte Foto zeigt einen Teil eines Oberkiefers und acht Zähne, die von einem internationalen Forscherteam auf ein Alter von etwa 180 000 Jahre bestimmt wurde.

Die Form unseres Gehirns ist jünger als erwartet.

Bei modernen Menschen ist das Gehirn rund (links), bei unseren frühen Verwandten wie dem Neandertaler (rechts) und auch den ersten Homo sapiens war es dagegen eher länglich.
aus scinexx                                                                                                                                  H. sapiens, Neanderthaler

Unser Gehirn ist erst seit Kurzem rund
Moderne Schädelform heutiger Menschen entwickelte sich erst vor 35.000 Jahren

Langsame und späte Entwicklung: Das menschliche Gehirn hat seine typische moderne Form im Laufe der Evolution nur ganz allmählich angenommen. Vergleiche von Homo sapiens-Fossilien belegen: Die runde Gestalt, wie wir sie heute kennen, entwickelte sich erst vor rund 35.000 Jahren – und damit später als gedacht. Diese Umstrukturierungen der Gehirnorganisation legten wahrscheinlich den Grundstein für die Entwicklung komplexer Denkprozesse beim Menschen. 

Es war ein spektakulärer Fund: Im vergangenen Jahr entdeckten Forscher in Marokko die ältesten bekannten Fossilien des Homo sapiens – und damit unserer Vorfahren. Diese Knochen belegen, dass unsere Art mindestens 300.000 Jahre alt ist und gewähren zugleich einen interessanten Einblick in die frühe evolutionäre Phase des modernen Menschen.

Demnach hatten unsere Vorfahren bereits modern aussehende Gesichtsknochen und Zähne. Ihr Hirnschädel jedoch mutete eher archaisch an: Er war länglich und weniger gewölbt als der heutiger Menschen. Die Wissenschaftler werteten dies schon damals als Hinweis darauf, dass das Gehirn unserer Spezies erst nach und nach seine moderne Form entwickelt hat. Doch wie und wann genau entstand die für heutige Menschen typische runde Gestalt des Gehirns?

Von länglich zu rund

Um diese Frage beantworten zu können, haben Wissenschaftler um Simon Neubauer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig nun die Schädelform von 20 Homo sapiens-Fossilien aus unterschiedlichen Zeiten analysiert. Dafür fertigten sie virtuelle Abdrücke der inneren Schädelhöhle der 300.000 bis 10.000 Jahre alten Überreste an und verglichen sie auch mit denen heute lebender Menschen.


Wie erwartet zeigte sich: Je jünger die Homo sapiens-Fossilien sind, desto moderner wird die Form ihres Gehirnschädels. Doch bis die Knochen die gleiche runde Form aufweisen wie bei Menschen heute, dauert es erstaunlich lange. Erst Fossilien, die jünger als 35.000 Jahre alt sind, besitzen demnach diese typische runde Gestalt.

"Überraschend spät"

"Wir wussten bereits, dass sich die Gehirnform innerhalb unserer eigenen Spezies entwickelt haben muss, waren aber überrascht, wie spät im Laufe der Evolution diese Veränderungen der Gehirnorganisation den heutigen Zustand erreicht haben", konstatiert Neubauer.


Diese allmähliche Formveränderung hin zum modernen Gehirn hat sich unabhängig von der Größe des Denkorgans entwickelt, wie die Forscher betonen: Mit Hirnvolumina von etwa 1.400 Millilitern haben selbst die ältesten Homo sapiens-Fossilien schon eine ähnliche Gehirngröße wie heute lebende Menschen.

Voraussetzung für komplexe Denkprozesse

Doch es war wohl nicht die Größe, sondern die Form, die entscheidend zur Evolution komplexer Denkprozesse beim Menschen beitrug. Denn mit der allmählichen Entwicklung von länglich zu rund wölbten sich vor allem zwei Gehirnareale stärker heraus: der Scheitellappen im Großhirn und das Kleinhirn. Diese Hirnbereiche beeinflussen unter anderem die Orientierung und Aufmerksamkeit, die Wahrnehmung von Reizen, die Selbstwahrnehmung, das Arbeits- und Langzeitgedächtnis, die Sprache sowie die Verarbeitung von Emotionen.


Beim heutigen Menschen entwickelt sich diese charakteristische Rundung innerhalb nur weniger Monate um den Zeitpunkt der Geburt herum. "Die Evolution der Gehirnschädelform beim Homo sapiens deutet demnach auf evolutionäre Veränderungen der frühen Gehirnentwicklung hin – einer kritischen Zeit für die neuronale Vernetzung und kognitive Entwicklung im frühen Kindesalter", sagt Neubauers Kollege Phillip Gunz.

Die Forscher vermuten daher, dass evolutionäre Veränderungen der frühen Hirnentwicklung entscheidend für die Evolution komplexer kognitiver Fähigkeiten beim Menschen sind. "Die allmähliche Entwicklung hin zu einer modernen menschlichen Gehirnform scheint mit der allmählichen Entstehung moderner Verhaltensweisen parallel verlaufen zu sein, auf die man auch aufgrund archäologischer Belege schließen kann", schließt Neubauers Kollege Jean-Jacques Hublin. (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.aao5961)

(Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V./ Science Advances, 25.01.2018 - DAL)

Mittwoch, 24. Januar 2018

Die Welt verstehen ohne Sprache?


institution logoTaube Kinder lernen Wörter schneller

Verena Müller
23.01.2018 15:48  
In Deutschland kommen jedes Jahr etwa 2000 Kinder schwerhörig oder taub zur Welt. Einigen von ihnen kann ein Cochlea-Implantat helfen. Bisher war jedoch unklar, welche Prozesse bei den Kindern beim Sprachlernen ablaufen, wenn sie damit später als ihre normalhörenden Altersge- nossen beginnen - und warum sie darin unterschiedlich erfolgreich sind. Das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und das Universitätsklinikum Dresden haben nun herausgefunden, dass taube Kinder mit Cochlea-Implantat Wörter sogar schneller lernen als normalhörende. Diese Erkenntnis kann helfen, die Suche nach den Ursachen für die unterschiedlichen Spracherfolge zu verfeinern.

Seit vielen Jahrzehnten tüfteln Forscher an einem perfekten Ersatz für das Innenohr, das bei tauben Kindern mit sensorischer Hörstörung beschädigt oder fehlgebildet ist. Diese sogenannten Cochlea-Implantate nehmen den Schall auf, wandeln ihn in elektrische Reize um und geben diese Impulse direkt an den Hörnerv weiter. Dadurch bekommen die betroffenen Kinder die Möglichkeit, Anschluss an die Welt voller Laute und Geräusche zu finden. Meist werden ihnen die Implantate im Alter zwischen ein bis vier Jahren eingesetzt.
 

Bisher war man davon ausgegangen, dass diese Kinder durch die geringere Hörqualität mit diesen Implantaten und den späteren Zugang zu Sprache erst sehr viel später das Sprachniveau Normalhörender erreichen können. Frühere Studien hatten gezeigt, dass Kinder ab dem Moment, ab dem sie das Gerät tragen, etwas länger brauchen, um wichtige Stufen beim Lernen der eigenen Muttersprache zu erklimmen. So können sie beispielsweise erst mit sechs bis acht Monaten Hörerfahrung statt mit spätestens vier Monaten den Rhythmus der eigenen Muttersprache von dem anderer Sprachen unterscheiden. Das könnte wiederum bedeuten, dass bei ihnen auch andere Entwicklungsschritte beim Sprachlernen bis hin zur Schulreife verzögert sind—obwohl sie alle anderen Voraussetzungen dafür mitbringen.
 

Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig und des Universitätsklinikums Dresden scheint nun jedoch anderes zu offenbaren: „Wir haben beobachtet, dass taube Kinder, sobald sie das Cochlea-Implantat eingesetzt bekommen hatten, schneller Wörter lernten als normalhörende Kinder. Sie bauten sich so schneller den entsprechenden Wortschatz auf“, erklärt Niki Vavatzanidis, Erstautorin der zugrundeliegenden Studie und Wissenschaftlerin am MPI CBS sowie am Uniklinikum Dresden. Normalerweise bräuchten Kinder etwa 14 Monate Hörerfahrung, um verlässlich zu bemerken, dass bekannte Objekte falsch benannt wurden. Kindern mit Cochlea-Implantat waren dazu bereits nach 12 Monaten Lernzeit in der Lage.
 

Als Ursache dafür vermuten die Wissenschaftler das höhere Alter der Kinder mit künstlichen Hörschnecken, in dem sie das erste Mal mit gesprochener Sprache in Berührung kommen: Normalhörende beginnen direkt nach der Geburt oder gar im Mutterleib damit, sprachliche Aspekte wie die typische Melodie oder den Rhythmus der Muttersprache zu lernen. Bei taub geborenen Kindern beginnt das hingegen erst nachdem das Implantat aktiviert wurde, also etwa im Alter von ein bis vier Jahren. Dann sind gewisse Strukturen im Gehirn bereits stärker entwickelt, an die sie beim Spracherwerb anknüpfen können. „Bei ihnen ist nicht nur das Gedächtnis weiter entwickelt. Sie haben auch ein breiteres Verständnis von der Welt, wissen also mehr über die Objekte in ihrer Umwelt und haben dadurch bereits nicht-sprachliche semantische Kategorien aufgebaut“, so Vavatzanidis. Sie wissen zum Beispiel, dass Objekte wie Tassen oder Essen manchmal heiß sind und Hitze bei Berührung weh tun kann, auch wenn sie das Wort „heiß“ nicht kennen.
 

Untersucht haben die Neurowissenschaftler diese Zusammenhänge mithilfe von 32 Kindern, die auf beiden Seiten ein Cochlea-Implantat trugen. Mit ihnen führten die Forscher 12, 18 und 24 Monate nachdem die Kleinen die künstlichen Hörschnecken eingesetzt bekommen hatten, einen Test durch, in dem sie Wörter aus dem Basiswortschatz von Kleinkindern erkennen sollten: Dazu zeigten sie den jungen Studienteilnehmern Bilder von Objekten und benannten diese entweder richtig oder falsch. Gleichzeitig erfassten sie mithilfe der Elektroenzephalografie, kurz EEG, die Hirnströme der Kleinen. Zeigte sich hier im Verlauf der sogenannte N400-Effekt, signalisierte das den Forschern, dass die Kinder die Falschbenennung registrierten. Bei ihnen hatte sich also eine feste Verknüpfung zwischen Objekt und Bezeichnung gebildet, sie hatten das Wort gelernt.
 

„Kinder mit Cochlea-Implantat helfen zu verstehen, welchen allgemeinen Weg der Spracherwerb nimmt und welche Stadien vom Lebensalter abhängen“, erklärt Angela D. Friederici, Leiterin der Studie und Direktorin am MPI CBS. „Wir wissen nun, dass sich ein höheres Lebensalter nicht negativ darauf auswirkt, wie schnell Kinder Wörter lernen können. Im Gegenteil: Sie scheinen ihren anfänglichen Rückstand rasch aufholen zu können.“ Nun gelte es herauszufinden, warum trotz dieser Leistung ein Teil der Kinder mit Chochlea-Implantat insgesamt nur schwer zum Sprachniveau gleichaltriger, normalhörender Kindern gelangen. 


Weitere Informationen:
http://www.cbs.mpg.de/Taube-Kinder-lernen-Woerter-schneller-als-hoerende-Kinder


Nota. -  Haben Sie's bemerkt? Taubgeborene Kinder entwickeln ihre 'Intelligenz' alias Verständnis von der Welt, bevor sie Sprache und wozu sie da ist kennengelernt haben. Es ist nicht die Sprache, die den Weltbe- zug, sondern der Weltbezug, der die Sprache möglich macht.
JE  


 

Donnerstag, 18. Januar 2018

Das Gedächtnis speichert auch, was nicht gemerkt wurde.


aus scinexx

Unser Gedächtnis speichert mehr ab als gedacht
In unserem Langzeitgedächtnis landen erstaunlich viele detaillierte Informationen
Dauerhaft abgespeichert: Unser Gedächtnis speichert offenbar viel mehr Informationen langfristig ab als bisher angenommen. Demnach schafft es nicht nur ein kleiner ausgewählter Teil aus dem Kurzzeit- in den Langzeitspeicher – sondern fast jeder Wahrnehmungsmoment, wie ein Experiment nun nahelegt. Lassen sich diese Ergebnisse bestätigen, ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen für aktuelle Modellvorstellungen zum menschlichen Gedächtnis.

Erinnerung ist ein komplexer und dynamischer Prozess. Weil im Alltag ständig neue Informationen auf uns einströmen, befindet sich insbesondere unser Kurzzeitgedächtnis beständig im Wandel: Kontinuierlich passt sich der Zwischenspeicher an Veränderungen in unserer Umwelt an – und neue Inhalte drängen alte in den Hintergrund. Nur was das Gehirn als besonders wichtig erachtet, landet im Langzeitgedächtnis und kann dauerhaft abgerufen werden.

Im Vergleich zu den riesigen Datenmengen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind, ist der Teil, der langfristig gespeichert wird, ziemlich klein. So zumindest dachten Wissenschaftler bislang. Zahlreiche Studien schienen das zu bestätigen. Nun zeigt sich jedoch, dass diese Annahme falsch sein könnte: Womöglich legen wir viel mehr detaillierte Informationen im Langzeitgedächtnis ab als gedacht – und zwar unabhängig von unserer aktuellen Aufmerksamkeit, ohne die Absicht, etwas zu speichern, und ohne überhaupt davon zu wissen.

Unangekündigter Erinnerungstest

Zu diesem Schluss sind Christof Kuhbandner von der Universität Regensburg und seine Kollegen bei der Auswertung eines Experiments gelangt. Bei dem Versuch hatten sie Probanden in schneller Abfolge insgesamt 128 Bilder auf einem Bildschirm gezeigt. Jede dieser Abbildungen war nur für 500 Millisekunden zu sehen und über jeder wurde ein davon unabhängiges Wort eingeblendet. Die Versuchspersonen hatten die Aufgabe, die Bilder zu ignorieren, auf die Wörter zu achten und bei 
einer Wortwiederholung einen Knopf zu drücken. 

Dass es bei dem Test eigentlich um das Erinnern ging, erfuhren sie erst hinterher. Dann nämlich zeigten die Wissenschaftler ihnen Bildpaare: jeweils ein zuvor gesehenes Bild und eines, das dem gezeigten Bild sehr ähnlich war. Konnten die Probanden angeben, welches der beiden Bilder sie vorher schon einmal gesehen hatten? Um die Langfristigkeit der Speicherung zu messen, wurde die Hälfte der Bilder direkt nach der Wahrnehmungsaufgabe getestet, die andere Hälfte nach 24 Stunden.

Unbewusst abgespeichert 

Das Ergebnis: Ein Großteil der Versuchspersonen gab zwar an, sich nicht zu erinnern und daher die meiste Zeit raten zu müssen – das war in 77 Prozent der Fälle direkt danach und in 95 Prozent der Fälle beim Test nach 24 Stunden so. Trotzdem konnten sie erstaunlich viele der zuvor gezeigten Bilder richtig identifizieren. Selbst nachdem die Forscher den Faktor Zufall herausgerechnet hatten, hatten die Probanden beim ersten Test noch eine Trefferquote von 48 Prozent. Nach 24 Stunden lagen sie immerhin noch in 21 Prozent der Fälle richtig. 

Nach Ansicht von Kuhbandner und seinen Kollegen demonstrieren diese Befunde, dass Menschen fast jeden einzelnen Wahrnehmungsmoment detailliert abspeichern – selbst dann, wenn Objekte gar nicht bewusst wahrgenommen wurden und man gar nicht die Absicht hatte, sich etwas zu merken. 

Lassen sich die Beobachtungen bestätigen, ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen für aktuelle Modellvorstellungen zum menschlichen Gedächtnis und auch für etliche Anwendungsbereiche, wie die Forscher betonen. So könne man beispielsweise bei der Befragung von Zeugen künftig davon ausgehen, dass visuelle Erinnerungen an vergangene Ereignisse weitaus detaillierter sind als bisher vermutet. (Frontiers in Psychology, 2017; doi: 10.3389/fpsyg.2017.01859)

(Universität Regensburg, 18.01.2018 - DAL)


Nota. - Die Aufmerksamkeit entscheidet also nur darüber, was im Kurzzeitgedächtnis gespeichert wird - und baldige Reaktion erfordert. Was ins Langzeitgedächtnis kommt - entscheidet der Zufall oder wählt 'das Gehirn' nach eigenen Kriterien?

Für die Schule würde es übrigens bedeuten, dass konzentriertes Büffeln gar nichts nutzt. Was nicht von allein hängenbleibt, kann auch durch Aufmerken nicht behalten werden.
JE


 


Mittwoch, 17. Januar 2018

Wo sitzt das schöpferische Denken?


aus FAZ.NET, 17. 1. 2018

Schöpferisches Denken setzt offenbar eine ganz besondere Architektur der Hirnaktivitäten voraus. Ein funktionales Dreigestirn der Kreativität. So sehen das die Psychologen um den Harvard-Forscher Roger Beaty, die die Gehirne von 163  Menschen bei ihrem Versuch beobachteten, ganz bestimmte Denkaufgaben in der Röhre eines Hirnscanners zu lösen, bei denen originelle Einfälle gefragt waren. Wer sich als kreativ erwies, dessen Gehirn (linke Abbildung) tickte anders. 

Das betrifft drei Netzwerke in der Großhirnrinde: 1. das Ruhezustandsnetzwerk (Default Mode Network), das  beim Abschweifen der Gedanken aktiv ist. 2. das Executive-Netzwerk, das unser Arbeitsgedächtnis fokussiert und 3. das Salience-Netzwerk, das unsere Aufmerksamkeit lenkt. Alle drei Netzwerke sind bei hochgradig originellen Köpfen auffallend eng miteinander gekoppelt, sie kommunizieren intensiv und nahezu gleichzeitig miteinander. Die Hirnaktivität weniger kreativer Denker ist dagegen eher diffus auf andere Hirnareale gerichtet (rechts).


Nota. - Bleibt die Frage: Ist der Mensch kreativer, weil die drei Bereiche bei ihm enger verschaltet sind, oder sind sie enger verschaltet, weil er sein Gehirn auf schöpferische Weise nutzt?
JE 


aus derStandard.at, 17. Jänner 2018, 06:00

Ein Vorhersagemodell für Kreativität
Ein internationales Forscherteam mit Grazer Beteiligung identifizierte besondere Netzwerke im Gehirn. Profile dieser Netzwerke könnten künftig über individuelle Kreativitätspotenziale Auskunft geben

Graz/Wien – Kreative Lösungen auf anstehende Probleme zu finden spielt in vielen Lebenssituationen eine wichtige Rolle. Doch nicht nur das. Laut den Theorien des US-Theoretikers Richard Florida sind die "kreative Klasse" einer Gesellschaft und die von ihr ausgehenden Innovationen entscheidend für das ökonomische Wachstum von Regionen.

Tatsächlich wissen wir aber noch nicht wirklich gut Bescheid, was im Gehirn beim kreativen Denken vor sich geht. Klar ist nur, dass es durch äußere Rahmenbedingungen gefördert oder behindert werden kann – in der Kunst ebenso wie in der Wissenschaft, der Wirtschaft oder im Alltag.
Was aber spielt sich im Gehirn ab, wenn Personen als Lösung einer Aufgabe neuartige, originelle Ideen hervorbringen? Das versuchen die Kreativitätsforscher Andreas Fink und Mathias Benedek am Institut für Psychologie der Uni Graz herauszufinden.

Sie haben zuletzt an einer am Montag im Fachblatt PNAS erschienenen Studie mitgearbeitet, die aufzeigt, wie über die Auswertung von Gehirnaktivierungsmuster eine Vorhersage der individuellen menschlicher Kreativität möglich wird. Damit könnte das jeweilige Kreativitätspotenzial erkannt und möglicherweise auch noch gefördert werden.

Mit modernsten Methoden wie beispielsweise funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) versuchen Forscher das Funktionieren des komplizierten "Schaltplans" des menschlichen Gehirns, das sogenannte Konnektom, aufzuschlüsseln. Denn das menschliche Gehirn besteht zwar aus spezialisierten Regionen, doch zur effizienten Informationsverarbeitung ziehen mehrere Regionen an einem Strang. "Die eine kreative Region im Gehirn gibt es nicht", betont der Psychologe und Neurowissenschafter.

An der Uni Graz werden seit rund einem Jahrzehnt entsprechende neurophysiologische Messungen durchgeführt. "Wir wissen durch unsere langjährigen Studien, dass sich kreatives Denken nicht nur in der Aktivierung bestimmter Gehirnregionen widerspiegelt, sondern insbesondere auch in der Art, wie große Gehirnnetzwerke interagieren", so Benedek. In Kooperation mit Kollegen unter anderem der Harvard University und China sind die Grazer Forscher mithilfe des sogenannten Connectome-based predictive modeling (CPM), das auf fMRT-Daten basiert, den Vorgängen im Gehirn auf der Spur.

Wie die jüngste Studie zeigte, interagieren beim kreativen Denken Netzwerke, die sonst eher unabhängig sind oder sogar gegenläufige Aufgaben haben. Insgesamt wurden die internationalen Daten von 163 Testpersonen, die sich in die MRT-Röhre legten und dabei eine einfache alltägliche Kreativitätsaufgabe zu lösen hatten, ausgewertet.

Interaktion der Netzwerke

So habe sich im Vergleich von einander unabhängigen Datensätzen ein charakteristisches Zusammenspiel von Netzwerken gezeigt, wenn besonders kreative Lösungen gefragt waren. Diese Netzwerke spielen zum einen im Zusammenhang mit Tagträumen und Ruhezuständen eine Rolle, aber auch mit starken Kontroll- und Gedächtnisfunktionen. Bei kreativen Personen war die Interaktion zwischen diesen Netzwerken so ausgeprägt, dass sogar eine Vorhersage von individuellem Unterschied in der Kreativität möglich ist.

Weiters habe sich gezeigt, dass bei den besonders kreativen Probanden auch im Ruhezustand diese charakteristischen funktionellen Netzwerke miteinander interagierten. "Das Tolle an der vorliegenden Studie ist, dass sich dieses Zusammenspiel über die Labore und Arbeitsgruppen hinweg bestätigt hat", freute sich Fink über die Studienergebnisse. (APA,)

Samstag, 6. Januar 2018

Haben Pflanzen ein Gedächtnis?

 
aus DiePresse.com,
Haben Pflanzen ein Gedächtnis?
Französische Forscher sagen: Ja! Sie wollen Beweise dafür gefunden haben, dass Pflanzen Erfahrungen abrufen können und in diesem Sinne lernfähig sind.

Dass Pflanzen viel mehr sind als empfindungslos dahinwuchernde Gewächse, ist mittlerweile Common Sense: Man weiß etwa, dass sie auf Lichtreize reagieren, dass sie chemische Substanzen wahrnehmen und Vibrationen spüren oder dass sie ein Sensorium für das Schwerefeld der Erde haben. Überdies besitzen sie auch so etwas wie „Intelligenz“ – und zwar in dem Sinne, dass sie Probleme lösen können: Sie nützen ihre Sinneswahrnehmungen, um Gefahren abzuwenden und ihre Lebensbedingungen zu optimieren.

Pflanzen haben natürlich kein spezielles Nervensystem oder Gehirn. Dennoch werden Sinnesreize durch elektrische, chemische oder hydraulische Signale über Leiterbahnen in den Pflanzen übermittelt, die an ganz anderen Stellen eine Wirkung zeitigen können – etwa Abwehrstoffe gegen Fressfeinde bilden.

Damit aber noch nicht genug: Zusätzlich zu solchen direkten Reaktionen, die Sekunden bis Minuten nach einem Reiz erfolgen, gibt es auch Wirkungen, die erst Wochen oder Monate später erfolgen – und zwar nur unter ganz bestimmten Umständen. Der französische Biologe Michel Thellier erklärt dies damit, dass Pflanzen über ein Gedächtnis verfügen, in dem Erfahrungen gespeichert werden, die zu einem späteren Zeitpunkt auch wieder abgerufen werden können. In seinem eben ins Deutsche übersetzten Buch „Haben Pflanzen ein Gedächtnis?“ (132 S., 20,55 Euro, Springer) beschreibt er zahlreiche Experimente mit Flachs-Keimlingen oder jungen Paradeiserstauden, in denen zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte, dass die Reaktionen auf bestimmte Stimuli von der Vorgeschichte der Pflanzen abhängen. Man könnte also etwas zugespitzt sagen, dass auch Pflanzen lernfähig sind und ihre Erfahrungen abrufen können, wenn sie sie benötigen.

Wie dieses Gedächtnis funktioniert, weiß man erst in Ansätzen. Bekannt ist, dass sich nach einem Reiz elektrische Wellen in einer Pflanze ausbreiten und sich in der Folge die Konzentrationen mancher Proteine verändern. Spekuliert wird, dass das mit dem Aus- und Einschalten bestimmter Gene (Epigenetik) zusammenhängen könnte. Wenn das wirklich der Fall ist, wäre es nicht ausgeschlossen, dass Gelerntes auch an die nächste Pflanzengeneration weitergegeben werde könnte. Für die Pflanzenzucht könnte das völlig neue Türen öffnen.

Doch so weit ist man noch nicht, es gibt noch sehr viele Wissenslücken. Botaniker leben jedenfalls in spannenden Zeiten.


Donnerstag, 4. Januar 2018

Eine neurologische Einheitstheorie?


 aus derStandard.at, 3. Jänner 2018, 11:24

Der neurowissenschaftlichen "Theorie für Alles" auf der Spur
IST-Austria-Forscher stellen Formel auf, wie neuronale Informationen kodiert werden

Klosterneuburg/Wien – So wie Physiker waren Neurowissenschafter bisher auf der Suche nach einer "Theorie für Alles", mit der man unterschiedlichste Phänomene erklären kann. Forscher des Institute of Science and Technology (IST) Austria haben nun eine einheitliche Formel aufgestellt, wie neuronale Informationen kodiert werden. Sie ist ein Rahmenwerk, das bisherige Ansätze verbindet, berichten sie im Fachjournal "PNAS".

Bisher hatte man drei Haupttheorien mit jeweils verschiedenen Annahmen über die Eigenschaften der sensorischen Neuronen, also Nervenzellen, die Informationen aus der Umwelt verarbeiten, erklären die Forscher um Gasper Tkacik vom IST Austria in Klosterneuburg. Bei der "effizienten Kodierung" ging es zum Beispiel darum, dass Neuronen trotz Signalrauschen so viele Informationen wie möglich auswählen und weiterleiten. Die "vorhersagende Kodierung" setzte voraus, dass trotz Reizflut nur jene Information Eingang findet, die auch in Zukunft benötigt wird, wie zum Beispiel eine Bewegungsrichtung. "Spärliche Kodierung" wiederum bedeutete, dass immer nur wenige Neuronen aktiv sind. Wie sehr solche Theorien überlappen oder vereinbar sind, war aber unklar.

Die IST-Forscher haben nun ein Rahmenwerk und eine mathematische Formel dafür geschaffen. Der neuronale Code hängt demnach von mehreren Parametern ab: Dem Rauschen, ob das Signal in Zukunft verwendet wird, und wie komplex es ist. Die bisherigen Theorien galten nur für einzelne Bereiche, die mit der neuen Funktion aber gänzlich umfasst werden. Damit sei es nun möglich, Phänomene zu erklären, die man zwar beobachtet hat, aber mit keinem der bisher existierenden Modelle interpretieren konnte, meinen sie. (APA.)

Dienstag, 2. Januar 2018

Wir sind nun endlich ausgewachsen.

 aus derStandard.at, 1. Jänner 2018, 12:00

Die Menschheit hat ihren körperlichen Zenit erreicht
Französische Forscher leiten aus medizinhistorischer Analyse ab, dass wir unsere natürlichen Grenzen erreicht haben

Paris – Und nun die schlechte Nachricht zum Jahreswechsel: Die Menschheit hat ihren körperlichen Zenit erreicht – zumindest wenn es nach einem interdisziplinären Team mehrerer französischer Institute geht. Und auch den implizit in der Grundaussage mitschwingenden Satz "Von nun an geht's bergab" bestätigen die Forscher tendenziell; vorausgesetzt es werden keine Maßnahmen getroffen, den aktuellen Status zu wahren.

Auf dem Gipfel

Das Team um Studienerstautor Adrien Marck vom Institut de Recherche bio-Médicale et d'Epidémiologie du Sport veröffentlichte seinen Befund im Fachmagazin "Frontiers in Physiology". Basis des Papers war eine Analyse historischer medizinischer Daten, die 120 Jahre zurückreicht. In Betracht gezogen wurden sowohl genetische als auch umweltbedingte Einflüsse.

Das Resümee läuft darauf hinaus, dass es sowohl für Körpergröße als auch für Lebenserwartung und körperliche Leistungsfähigkeit biologische Grenzen geben dürfte – und dass diese erreicht worden sind, zumindest für die gegenwärtige evolutionäre Ausprägung des Menschen. Trotz laufender Fortschritte in Sachen Ernährung und Medizin gebe es bei diesen Faktoren keine Steigerung mehr, sagt Koautor Jean-François Toussaint von der Universität Paris Descartes. Wir seien die erste Generation, die sich dieser Grenzen bewusst werde.

Ausblick

Für die Zukunft prognostizieren die Forscher unter anderem, dass immer seltener neue Weltrekorde im Sport aufgestellt werden und dass zwar immer mehr Menschen bis zum gegenwärtigen Alterslimit leben werden – dass sie es aber nicht überschreiten werden.

Es könne aber sogar zu Rückschritten kommen – hier schreiben die Forscher Umwelteinflüssen eine entscheidende Rolle zu. Sie weisen darauf hin, dass in einigen afrikanischen Ländern die durchschnittliche Körpergröße zuletzt wieder abgenommen habe: ein Hinweis darauf, dass sich in den betreffenden Gesellschaften die Gesundheits- und Ernährungslage verschlechtert hat.

Für die Politik ergibt sich laut den Forschern in Zukunft die Herausforderung, Strategien zu enwickeln, um die Lebensqualität zu erhöhen und einem möglichst großen Anteil der Bevölkerung das Ausschöpfen der natürlichen Limits zu ermöglichen. (jdo, 1. 1. 2018)