Donnerstag, 11. August 2016

Warum hat der moderne Mensch den Neanderthaler verdrängt?

ҀLTERE EUROP�ER UND NEANDERTALER�aus Die Presse, Wien, 4. 8. 2016

Neandertaler vertrugen Rauch schlechter als wir.
US-Forscher fanden eine offensichtliche Adaption von Homo sapiens an das Feuer: Sie betrifft einen Rezeptor für Rauchinhaltsstoffe.

von Thomas Kramar

Würden Sie auf einer Party einen Neandertaler erkennen – vorausgesetzt, er hält sich an den Dresscode? Eine in Molecular Biology and Evolution (2. 8.) erschienene Arbeit legt nun zumindest ein Ausschluss-kriterium nahe: Er würde nicht rauchen, und er würde sich eher nicht nahe am Grill aufhalten.

Forscher um Gary Perdew an der Pennsylvania State University haben nämlich eine Stelle in einem Gen gefunden, in der Homo sapiens sich von allen anderen Primaten, eben auch vom Neandertaler unterscheidet: in einem Gen für ein Protein namens Aryl-Hydrocarbon-Rezeptor (AHR), an das sich, wie der Name sagt, aromatische Kohlenwasserstoffe binden. Solche entstehen bei unvollständiger Verbrennung etwa von Holz oder Kraut, sie kommen im Rauch, auch im Tabakrauch vor, viele sind krebserregend, das berüchtigte Benzpyren etwa.

Protein bindet Aromaten schlechter

Es ist eine einzige Base in diesem AHR-Gen, die sich offenbar in der Evolution des Homo sapiens geändert hat, und diese Änderung beeinflusst die Funktion des AHR-Proteins: Es bindet die aromatischen Kohlenwasserstoffe deutlich schlechter als die ursprüngliche Version, die alle anderen Primaten haben. Das AHR-Protein hat auch andere Aufgaben, zu deren Erfüllung es sich an diverse Moleküle im Körper binden muss – dabei funktionieren beide Versionen gleich gut.

Eine ganz spezifische Adaption also. Woran könnte sich das AHR angepasst haben? An den Rauch des Feuers, das in den Höhlen der Urmenschen brannte – und ihnen Vorteile brachte: Es wärmt, und Gekochtes und Gebratenes ist leichter zu essen und verdauen.

Doch der Rauch macht nicht nur Augen, Kehlen und Lungen zu schaffen, er provoziert auch – via AHR – das Immunsystem zu Abwehrreaktionen, die auf Dauer vielleicht von Vorteil sind, aber akut schwächen. Eine Desensibilierung des AHR könnte also dem Homo sapiens einen Vorteil in der Konkurrenz mit den Neandertalern beschert haben, meint Perdew: Diesen hätten die Rauchinhaltsstoffe eine geringere Fruchtbarkeit der Frauen und eine größere Krankheitsanfälligkeit der Jugendlichen gebracht, unseren Ahnen hätten sie weniger geschadet, weil sie sie langsamer verarbeiten.

Was nicht heißt, dass die krebserregende Wirkung für Homo sapiens geringer ist. Dass dieser heute oft zum Inhalieren von Tabakrauch neigt, könnte aber an der Mutation liegen, die den Rauch für uns verträglicher macht, meint Perdew: „Sie hat uns erlaubt, diese schlechte Gewohnheit anzunehmen.“


Nota. - Es gab schon viele Mutmaßungen darüber, was wohl zum raschen Aussterben der Neanderthaler geführt haben mag. Diese hier ist von allen, die ich kenne, die ausgefallenste. Aber sie ist - ja, sie ist plau-sibler als die andern! 
JE



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