Zwei Drittel aller Mathematiker entstammen 24 "Familien"
Analysen mit Daten des Mathematics Genealogy Project, der größte Datenbank zur Geschichte des Fachs, kommen zu erstaunlichen Ergebnissen
von Klaus Taschwer
Fargo – Unter all den verschiedenen Stämmen von Forschern ist jener der Mathematiker zweifellos einer der interessantesten. Ihm gehören nicht nur einige der hellsten Köpfe, sondern viele der größten Exzentriker in der Geschichte der Wissenschaften an.
Interessant ist aber auch, wie die Fachvertreter selbst ihre geistigen Verwandtschaften und Genealogien beschreiben. Ein origineller Gradmesser ist die sogenannte Erdős-Zahl, benannt macht dem aus Ungarn stammenden Mathematik-Genius Paul Erdős (1913–1996). Erdős war einer der produktivsten Mathematiker des 20. Jahrhunderts und publizierte gemeinsam mit über 500 verschiedenen Wissenschaftern. Die Erdős-Zahl gibt an, wie viele Autoren ein Forscher von einer Publikation mit Erdős "entfernt" ist.
Durchschnittliche Erdős-Zahl von 4,65
Er selbst hat die Zahl 0, die rund 500, die mit ihm veröffentlichten, die Zahl 1. 268.000 Wissenschafter, für welche im Rahmen des Erdős-Zahl-Projektes ein endlicher Wert ermittelt werden konnte, haben eine durchschnittliche Erdős-Zahl von 4,65. Dies rührt nicht zuletzt auch daher, dass Erdős in vielen Teilbereichen der Mathematik gearbeitet hat.
An der North Dakota State University gibt es eine etwas andere Mathematiker-Datenbank betrieben: das Mathematics Genealogy Project (MGP). Sie widmet sich der Geschichte des Fachs anhand seiner Vertreter, geht bis ins 15. Jahrhundert zurück und ist mit den Einträgen von über 200.000 Mathematikern die größte einschlägige Datenbank.
84 mathematische Familien
Eine neue Auswertung hat nun ergeben, dass sich die Mehrheit der Fachvertreter auf nur 84 wissenschaftliche "Familien" zurückverfolgen lassen, zwei Drittel der Fachvertreter überhaupt nur auf 24, wie ein Team um Floriana Gargiulo herausgefunden hat, die an der belgischen Universität von Naumur Netzwerkanalysen betreibt. Viele der heute tätigen Mathematiker gehen laut Gargiulos genealogischen Analysen letztlich auf Leibniz, Euler oder Gauß zurück. Der wichtigste Stammvater unter den 24 "Familien" ist aber kein Mathematiker, sondern der italienische Mediziner Sigismondo Polcastro, der im frühen 15. Jahrhundert an der Universität Padua lehrte. Er hat laut den Analysen über 56.000 Nachfahren.
Die Zentren der Mathematik
Gargiulo und ihre Kollegen analysierten anhand von Mathematik-Dissertationen aber auch, welche Länder zu welcher Zeit Zentren der Mathematik waren. Und dabei zeigte sich, dass bereits rund um 1920 (und nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg) die USA zur Mathe-Supermacht aufstiegen und dabei Deutschland beerbten. Ihre Berechnungen machen aber auch offensichtlich, dass Österreich-Ungarn bis zum Ersten Weltkrieg noch eine Hochburg der Mathematik war, was möglich in der starken Stellung des Fachs bis heute nachwirkt.
Links
- Bericht in "Nature": "Majority of mathematicians hail from just 24 scientific ‘families’"
- Homepage des Mathematics Genealogy Project für eigene Recherchen
Nota. - Nur auf 84 Linien geht die weltweite Wissenschaft der Mathematik zurück: Widerspricht das der Auffassung, Wissenschaft sei im Wesentlichen öffentliches Wissen? Ich denke nicht; denn gerade diese 'Linien' machen die Öffentlichkeit des Fachs ja aus: Sie sind der Ort, wo das Wissen gesammelt, geprüft und das Verkehrte ausgeschieden und das Bewährte überliefert wird. So besehen, ist die Zahl 84 gar nicht wenig, sondern eine ganze Menge! Denn die konkurrieren mit einander, wer sich bei der einen nicht zu Hause fühlt, wendet sich an eine andere...
JE
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