Freitag, 23. Oktober 2015

Einsteins Fehler.

aus Der Standard, Wien, 12.10.2015

Einsteins Fehler – und was sich daraus lernen lässt
Gravitationslinsen und Schwarze Löcher folgen aus Einsteins Theorie, obwohl er nicht an sie glaubte

Wien – Alle Physiker machen Fehler, manche sogar eine ganze Menge. Doch nur wenige geben sie so offen zu wie Albert Einstein. Vor allem an der Allgemeinen Relativitätstheorie zeigt sich: Was in der vollendeten Form wie eine perfekte Theorie erscheint, stellt sich in der historischen Perspektive als eine Geschichte von Umwegen und Irrwegen dar. Besonders für Einsteins Fehler und Fehleinschätzungen gilt: Es lässt sich daraus einiges lernen.

"In der Endphase der Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie wurde über Albert Einstein behauptet: Der korrigiert jede Woche, was er in der Vorwoche gesagt hat", berichtet der Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn. Sieht man sich Einsteins Arbeiten von 1915 an, bestätigt sich dieser Eindruck. Während sich Einstein im Wettstreit mit dem Mathematiker David Hilbert wähnte, der zeitgleich an der Theorie arbeitete, veröffentlichte er, was er gerade hatte – und das war nicht immer richtig. Selbst als er die Allgemeine Relativitätstheorie fertiggestellt hatte, saß er Fehleinschätzungen zu ihren Konsequenzen auf. "So hat er geglaubt, dass seine Theorie ein statisches Universum beschreibt", sagt Renn. Das stellte sich als falsch heraus.



Eine seiner größten Fehleinschätzungen betrifft wohl einen Effekt der Allgemeinen Relativitätstheorie, der sich Gravitationslinsen nennt. Während Einstein den Effekt für bedeutungslos hielt, zählt er heute zu den wichtigsten Anwendungen der Allgemeinen Relativitätstheorie in der Kosmologie (siehe "Durch die Linse der Gravitation")


Eine kleine Rechnung

Die 1936 in "Science" erschienene Arbeit, in der die Idee der Gravitationslinsen vorgestellt wird, begann Einstein mit dem Satz: "Some time ago, R. W. Mandl paid me a visit and asked me to publish the results of a little calculation which I had made at his request." Rudi Mandl war ein tschechischer Ingenieur, der zu dieser Zeit als Tellerabwäscher arbeitete. Er hatte Einstein gebeten, zu berechnen, wie sich Lichtstrahlen in der Nähe massiver Objekte verhalten.


Einsteins "kleine Rechnung" ergab, dass bei großen Massen eine Bündelung der Lichtstrahlen einsetzt – ähnlich einer Linse. Er erkannte zwar den Effekt, nahm aber an, dass dieser so klein sei, dass er nicht beobachtet werden könne. Einstein glaubte nicht an die Expansion des Universums und an Schwarze Löcher, bei Gravitationswellen war er unentschieden – dennoch hat sich all das aus seiner Theorie ergeben. Wissenschaftshistoriker Jürgen Renn sieht seine Fehleinschätzungen allerdings nicht als persönliche Schwäche, sondern als Charakterzug von Wissenschaft: "Bei wirklich tiefen neuen Einsichten zeigt sich erst im Nachhinein, was da alles drinsteckt." (trat,)



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