Schimpansen versetzen sich in andere hinein
Menschenaffen verstehen, ob sich Artgenossen einer Gefahr bewusst sind oder nicht
Menschenaffen sind unsere nächsten Verwandten - und verblüffen uns immer wieder mit ihren kognitiven Fähigkeiten: Schimpansen, Orang-Utans und Co benutzen nicht nur Werkzeuge und haben ein uns sehr ähnliches Sozialverhalten. Sie erkennen sich auch selbst im Video und sind offenbar sogar dazu in der Lage, ihr eigenes Wissen zu hinterfragen und zu beurteilen, wie Experimente zeigen.
Doch können die Primaten auch erkennen, was ihre Artgenossen wissen? Die Fähigkeit, die eigenen Gedanken von denen anderer Personen zu unterscheiden, gilt beim Menschen als eine grundlegende Voraussetzung für soziale Interaktionen. Ab einem Alter von drei bis vier Jahren beginnen Kinder zu verstehen, dass andere womöglich etwas Anderes denken als sie selbst.
Vermeintliche Gefahr
Ob auch Schimpansen verstehen, dass andere Gruppenmitglieder andere Überzeugungen haben können als sie selbst, haben Catherine Crockford vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ihre Kollegen nun bei wildlebenden Tieren im Budongo-Wald in Uganda untersucht.
Für ihre Experimente platzierten die Forscher zunächst eine Schlangenattrappe im Wald und warteten ab, was passierte. Wie erwartet, begannen Schimpansen, die die vermeintliche Bedrohung entdeckt hatten, sofort Warnrufe auszustoßen. Zudem machten sie ihre Artgenossen auch mit Gesten und Blicken auf die Bedrohung aufmerksam.
Wer weiß was?
Der entscheidende Test folgte in einem zweiten Experiment: Jetzt platzierten Crockford und ihre Kollegen neben der Schlange auch einen versteckten Lautsprecher in die Nähe der Schimpansen. Aus diesem war einmal ein Ruf eines anderen Schimpansen zu vernehmen, der alarmiert klang - er wusste demnach scheinbar von der Schlange. Ein anderes Mal waren dagegen entspannte Laute eines Artgenossen zu hören, der die Gefahr offenbar noch nicht erkannt hatte.
Würden die Schimpansen je nach Situation unterschiedlich reagieren? Tatsächlich zeigte sich: Hatten sie zuvor den Laut gehört, der Unwissenheit eines anderen Gruppenmitglieds suggerierte, zeigten die Menschenaffen nach der Begegnung mit der Schlange ein deutlich verstärktes Warnverhalten und stießen unter anderem mehr alarmierende Rufe aus.
Angepasste Kommunikation
Damit scheint klar: Die Tiere können nicht nur die Perspektive anderer Individuen einnehmen - sie passen darauf basierend auch ihr Kommunikationsverhalten an. Diese Fähigkeit galt lange Zeit als einzigartig für den Menschen, wie die Wissenschaftler schreiben. Die neuen Ergebnisse legten nun jedoch etwas Anderes nahe: Womöglich reichen die Wurzeln von Kommunikationssystemen, die verstärkt die Perspektive anderer anstatt die eigene Sicht der Dinge berücksichtigen, weit in unsere Entwicklungsgeschichte zurück. (Science Advances, 2017; doi: 10.1126/sciadv.1701742)
(AAAS, 17.11.2017 - DAL)
aus derStandard.at, 20. November 2017, 08:00
Schimpansen erkennen die Wissenslücken anderer
Forscher brachten Schlangenattrappen zum Einsatz, um die Reaktionen der Menschenaffen zu testen
Leipzig – Schimpansen können es erkennen, wenn Artgenossen eine drohende Gefahr nicht bemerkt haben. Dann passen sie ihre Warnrufe und Körpersprache an, um mit besonderem Nachdruck auf das Risiko hinzuweisen, wie eine Studie mit Beteiligung der Uni Neuenburg zeigt.
Die Perspektive anderer einzunehmen und seine Kommunikation entsprechend anzupassen, schien bisher eine typisch menschliche Eigenschaft. Aber auch Schimpansen sind dazu in der Lage, wie Forscher um Catherine Crockford vom Max Planck Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig berichteten. Das internationale Forscherteam, zu dem auch Klaus Zuberbühler von der Universität Neuenburg gehört, beobachtete in Uganda Schimpansen in freier Wildbahn im Budongo-Waldgebiet.
Das Experiment
Zunächst versteckten die Forscher eine Schlangen-Attrappe und beobachteten, wie sich die Schimpansen verhielten, wenn sie die vermeintliche Gefahr entdeckten. In einem zweiten Experiment spielten sie zuvor aufgezeichnete Laute von Schimpansen ab, die sich der nahen Schlange bewusst waren, und von solchen, die die Gefahr nicht bemerkt hatten. Dabei beobachteten die Wissenschafter, wie sich derjenige Affe verhielt, der die Schlangen-Attrappe entdeckte.
Hörte dieser Schimpanse die Laute von arglosen Artgenossen, stieß er deutlich mehr Warnrufe aus und machte verstärkt durch Blicke auf die Gefahr aufmerksam. Davon berichten die Wissenschafter im Fachblatt "Science Advances".
Das Ergebnis zeige, dass auch Schimpansen einen wichtigen Schritt in der Sprachevolution vollzogen haben, der bisher nur von der menschlichen Evolution bekannt war, so Crockford: nämlich den, die Wissenslücke eines Gegenübers zu erkennen und die eigene Kommunikation gezielt darauf einzustellen. (APA.)
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