Mittwoch, 1. März 2017

Das Bewusstsein am Modell rekonstruieren.

aus derStandard.at, 28. Februar 2017, 14:30                                                  Konnektom

Künstliche Intelligenz soll nach Quelle des Bewusstseins suchen
Neuronales Netzwerk hilft bei der Entschlüsselung des Konnektoms. System überrascht mit geringer Fehlerrate

Martinsried – Das menschliche Gehirn ist trotz zahlreicher Forschungsprojekte nach wie vor ein großes Rätsel. Vor allem über den Ursprung unseres Bewusstseins können die Wissenschafter vorerst allenfalls Vermutungen anstellen. Wahrscheinlich steht es in engem Zusammenhang mit dem komplexen Schaltplan des Gehirns. Doch den zu entschlüsseln ist eine enorm zeitaufwendige Aufgabe. Nun haben sich Wissenschafter des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried Hilfe bei künstlicher Intelligenz gesucht. Die Forscher haben neuronale Netze so trainiert, dass die Rekonstruktion von Nervenzellschaltplänen enorm beschleunigt wird.

Nervenzellen brauchen Gesellschaft. Während eine einzelne Zelle wenig bewirken kann, werden Nervenzellen im Verbund zu einem mächtigen Netzwerk, das zum Beispiel unser Verhalten steuert. Dabei tauschen die Zellen Informationen über ihre Kontaktstellen, die Synapsen, aus. Das Wissen darüber, welche Nervenzellen wann und wo miteinander verbunden sind, trägt entscheidend dazu bei, grundlegende Hirnfunktionen ebenso wie übergeordnete Prozesse wie Lernen, Gedächtnis, Bewusstsein und Erkrankungen des Nervensystems zu verstehen. Denn Forscher vermuten, dass der Schlüssel zu alldem in der Verschaltung der rund 100 Milliarden Zellen im menschlichen Gehirn liegt.

Automatisierte Abtastung

Um diesen Schlüssel verwenden zu können, müsste jedoch das Konnektom erfasst werden – jede Nervenzelle eines Gehirns mit ihren tausenden Kontakten und Partnerzellen. Noch vor wenigen Jahren schien so etwas gänzlich unmöglich. Von "unmöglich" lassen sich die Wissenschafter in der Abteilung "Elektronen – Photonen – Neuronen" am Max-Planck-Institut für Neurobiologie allerdings kaum abschrecken. So entwickelten und verbesserten sie in den vergangenen Jahren Färbe- und Mikroskopiemethoden, mit denen Hirngewebeproben in einem automatisierten Prozess in dreidimensionale, hochaufgelöste Elektronenmikroskopbilder verwandelt werden.

Ihr neuestes Mikroskop, dass als Prototyp in der Abteilung im Einsatz ist, tastet die Oberfläche einer Probe gleich mit 91 Elektronenstrahlen parallel ab, bevor die nächste Probenebene freigelegt wird. Im Vergleich zum Vorgängermodell erhöht sich die Datenerfassungsrate so um mehr als das Fünfzigfache. Ein ganzes Mäusegehirn könnte anstatt in vielen Dekaden, innerhalb weniger Jahre erfasst werden.

Jahrelange Bilderanalyse

Während es somit nun möglich ist, ein Hirngewebestück in wenigen Wochen in Billionen Pixel zu zerlegen, dauert die Analyse dieser elektronenmikroskopischen Bilder viele Jahre. Das liegt daran, dass herkömmliche Computeralgorithmen oft zu ungenau sind, um die hauchdünnen Fortsätze der Nervenzellen über lange Strecken zuverlässig zu verfolgen und die Synapsen zu erkennen. Daher müssen immer noch Menschen in stundenlanger Bildschirmarbeit die Synapsen in den Bilderstapeln aus dem Elektronenmikroskop identifizieren.

Doch auch diese Hürde nehmen nun die Forscher um Jörgen Kornfeld mit Hilfe künstlicher neuronaler Netze. Diese Algorithmen können aus Beispielen und Erfahrungen lernen und dieses Wissen auch verallgemeinern. Bereits heute werden sie sehr erfolgreich in der Bildverarbeitung und Mustererkennung eingesetzt. "Da war der Weg nicht weit zum Einsatz eines künstlichen Netzes für die Analyse eines echten neuronalen Netzes", so Kornfeld, Hauptautor der in "Nature Methods" erschienen Studie. Ganz so einfach wie es klingt, war es dann doch nicht. In monatelanger Arbeit trainierten und testeten die Wissenschafter sogenannte "Convolutional Neural Networks" darauf, Zellfortsätze, Zellbestandteile und Synapsen in den Bilddaten zu erkennen und voneinander zu unterscheiden.

Überraschend geringe Fehlerrate

Das so entstandene SyConn Netzwerk kann nun, nach einer kurzen Anlernphase, diese Strukturen selbstständig und äußerst zuverlässig identifizieren. Die Anwendung auf Datensätze aus dem Singvogelgehirn zeigte, dass SyConn so zuverlässig ist, dass ein menschliches Fehlerlesen überflüssig wird. "Das ist absolut fantastisch, denn mit einer so geringen Fehlerrate hatten wir eigentlich gar nicht gerechnet", meint Kornfeld. Die neu entwickelten künstlichen neuronalen Netze können Neurobiologen in Zukunft viele tausend Stunden monotoner Arbeit abnehmen – und so die Zeit bis zur Entschlüsselung des Konnektoms, und vielleicht auch des Bewusstseins, um viele Jahre verkürzen. (red)

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