Freitag, 24. Februar 2017

Sogar Hummeln sind intelligent.


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aus derStandard.at, 23. Februar 2017, 20:37

Hummeln lernen Ball spielen
Allein durch Beobachten und Nachahmen schafften Hummeln es im Experiment, einen kleinen Ball in ein Ziel zu bugsieren 

von Thomas Bergmayr

London/Wien – Menschenaffen können es, einige Vögel ebenfalls, und auch Meeressäuger sind dazu in der Lage, komplexe Aufgaben mithilfe von fremden Gegenständen zu erfüllen. Dass diese Fähigkeit offenbar auch Insekten besitzen, ist dagegen völlig neu: Einem britischen Wissenschafterteam ist es nun gelungen, Hummeln mit ein bisschen Training dazu zu bringen, Objekte geschickt zu manipulieren, mit denen sie normalerweise nichts zu tun haben.

Bereits frühere Studien konnten belegen, dass die pelzigen Bienenverwandten eine ganze Reihe kognitiv fordernder Tätigkeiten ausführen können. Diese standen allerdings stets mit Aufgaben in Zusammenhang, denen sie sich im herkömmlichen Hummelalltag ohnehin stellen müssen. Olli J. Loukola und sein Team von der Queen Mary University of London animierten die Tiere nun aber zum Ballspielen – und die Hummeln nahmen die Herausforderung bereitwillig an. 

Ab ins Tor: Die Hummeln lernten nur durch Zuschauen, welches Ballmanöver eine Belohnung verspricht.

"Unser Ziel war es, die kognitiven Grenzen von Hummeln auszuloten, indem wir ihnen unvertraute Objekte gaben, um ein Problem zu lösen, mit dem sie bisher noch nicht zu tun hatten", erklärt Clint Perry, Koautor der im Fachjournal "Science" veröffentlichten Studie.

Schnell gelernt

Im Rahmen ihres Experiments sollten die Hummeln einen kleinen Ball vom Rand einer Plattform zu einem markierten Bereich bugsieren. Als Belohnung gab es dafür Zuckerwasser. Zunächst fungierten künstliche Hummeln als "Lehrer" für eine Trainergruppe.

Diese angelernten Hummeln, die schnell begriffen hatten, wohin sie den Ball schieben müssen, um an ihre Leckerei zu kommen, dienten der eigentlichen Versuchsgruppe als Vorbilder. Einer zweiten Gruppe führten die Forscher Bälle vor, die per Magnet ans Ziel bewegt wurden. Eine dritte Partie erhielt als Anschauungsmaterial nur die bereits im markierten Bereich platzierte Kugel.

Erwartungsgemäß gelang es Gruppe eins am schnellsten, den Ball ins Ziel zu bringen: Von 30 Hummeln lösten 25 die Aufgabe bereits beim ersten Versuch. Etwas weniger geschickt war jene Hummelschar, die den Ball zuvor nur wie von Geisterhand bewegt gesehen hatte. Schließlich aber schafften es selbst einige der dritten Gruppe, zu begreifen, wohin sie den Ball platzieren sollten. Dieses Resultat zeigte nach Ansicht der Forscher vor allem, dass soziales Lernen bei Hummeln eine große Rolle spielt.

Überraschend war zudem, dass die Insekten ihre Aufgaben sogar dann problemlos erfüllen konnten, wenn diese verändert wurde: Die Hummeln, die zuvor Zuschauer gewesen waren, ahmten das Verhalten, das sie beobachtet hatten, also nicht einfach nach, sie optimierten es sogar. Insgesamt hatten sie die Wahl zwischen drei Bällen auf der Plattform. Bei den zuerst trainierten Hummeln waren zwei der Bälle angeklebt. Diese konnten jeweils nur den Ball bewegen, der am weitesten vom Loch entfernt war.

Das beeindruckte ihre Hummel-Zuschauer aber nicht: Als diese selbst aktiv werden durften, entschieden sie sich überwiegend für den Ball, der dem Loch am nächsten – und in ihrem Fall nicht angeklebt war. Damit wählten sie die effizienteste Lösung. Außerdem war die Farbe des Balles nicht entscheidend: Die Hummeln rollten auch einen schwarzen statt des gelben Balles zum Ziel, wenn dieser der Vertiefung am nächsten war.

"Die Tiere kopierten damit nicht bloß, was sie sahen, sondern fanden sogar ganz neue Lösungswege", meint Loukola. "Das demonstriert eine beeindruckende kognitive Flexibilität." Das gelte vor allem dann, wenn ihre Lebensumstände diese Fähigkeiten und Anpassungen von ihnen erfordern. 

Abstract
Science: "Bumblebees show cognitive flexibility by improving on an observed complex behavior."


PS. Es tut mir leid, es gelingt mir nicht, das Video zu aktivieren.
JE

Montag, 20. Februar 2017

Johannes Kepler.

aus Die Presse, Wien, 20. Februar 2017, 05:30

Ein Pionier auf der Suche nach der Weltharmonie
Der Wiener Astronom Thomas Posch widmet sich auch den weniger bekannten Spuren von Kepler als Naturphilosoph, Mathematiker und Theologe

Wien – Der Astronom Johannes Kepler (1571-1630) gilt als einer der Begründer der modernen Naturwissenschaft: Mit der Formulierung der Gesetze der Planetenbewegung wurde er zu einem Pionier der neuzeitlichen Astronomie. In einem neuen Buch zeichnet der Wiener Astronom Thomas Posch das Porträt des Forschers und widmet sich auch dessen weniger bekannten Spuren als Naturphilosoph, Mathematiker und Theologe.

Nikolaus Kopernikus (1473-1543) revolutionierte die Sicht auf das Sonnensystem, als er erklärte, nicht die Erde, sondern die Sonne stehe in dessen Mittelpunkt. Kepler baute auf dieses heftig umstrittene heliozentrische Weltbild auf: Er sah es nicht wie Kopernikus nur als hilfreiches mathematisches Konstrukt, sondern als physikalische Realität und entdeckte auf der Suche nach einer "Weltharmonie" drei fundamentale Gesetzmäßigkeiten für die Umlaufbahnen der Planeten um die Sonne.

Keplers Gesetze

Die drei Keplerschen Gesetze besagen, dass sich die Planeten nicht auf kreisförmigen, sondern elliptischen Bahnen bewegen. Das tun sie umso schneller, je näher sie der Sonne kommen. Und schließlich fand er Gesetzmäßigkeiten im Verhältnis zwischen den Umlaufzeiten der Planeten und deren mittleren Abständen von der Sonne.

Posch zeichnet Keplers Leben und Wirken anhand dessen Lebensstationen nach, beginnend bei seiner Herkunft aus der Stadt Weil bei Stuttgart, seinem Studium der Theologie in Tübingen, seinen Jahren als Mathematiklehrer an der protestantischen Stiftsschule in Graz, als kaiserlicher Mathematiker unter Rudolf II. in Prag und Linz sowie seinen turbulenten letzten Jahren, in denen er u.a. astrologischer Berater von General Wallenstein war. Ausführlich widmet sich das Buch auch der Rezeption von Keplers Werk bis ins 20. Jahrhundert.

Anhand zahlreicher Zitate aus Werken und Briefen Keplers gibt Posch einen lebendigen Einblick in Leben und Arbeit eines Forschers in der Renaissancezeit, zunächst noch ohne Fernrohr (das erste wurde erst 1608 gebaut) und mit einfachsten Hilfsmitteln wie einem selbst aus Holzlatten zusammengebauten Winkelmessgerät. Er vermittelt auch das vielseitige Schaffen Keplers, der nicht nur in der Astronomie Bedeutendes geleistet hat, sondern auch dessen Errungenschaften in der Optik und der Mathematik.

Krankheit, Geldnot und der Dreißigjährige Krieg

Gleichzeitig beschreibt die Biographie Keplers nicht immer einfachen Alltag. Der war geprägt von Krankheit, Geldnot, ungewisser Zukunft und den historischen Entwicklungen mit heftigen konfessionellen Auseinandersetzungen, der Gegenreformation und dem Dreißigjährigen Krieg.

Auch wenn er heute vor allem als Astronom bekannt ist, sah Kepler in der Theologie "seine primäre Berufung", schreibt Posch, für den alle großen Werke des Astronomen nicht nur naturwissenschaftliche, sondern ebenso sehr naturphilosophische und theologische Arbeiten sind. Der Autor betont zwar Keplers Abgrenzung gegenüber pseudowissenschaftlichen Bestrebungen, stört sich aber nicht an der Vermischung vom ganzheitlichen Blick mit dem Glauben an einen übernatürlichen Weltenplan. Keplers Worte wie "Ich wollte Theologe werden ... Nun aber seht, wie Gott durch mein Bemühen auch in der Astronomie gefeiert wird", sind für Posch "Kern des keplerschen Denkens".

Kepler träumt von der "Weltharmonik"

Voltaire und Laplace orteten bei Keplers metaphysischen und theologischen Ausführungen sowie seiner Suche nach Gesetzen der musikalischen Harmonie in der Anordnung des Sonnensystems "Träumereien" bzw. "Verirrung einer träumerischen Einbildungskraft". Für Posch ist der keplersche Kosmos dagegen einer, "dessen geistige Struktur dem Menschen erlaubt, sich darin staunend und mit großer Freude wiederzufinden". Der Autor räumt aber ein, dass dieser Grundgedanke der "Weltharmonik" über Jahrhunderte hinweg einen Stein des Anstoßes bildete und auch "den Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts ein 'harmonikaler' Kosmos im Durchschnitt wohl noch fremder als seinen Vorgängern in der Kepler-Rezeption ist". (APA.) 

Zum Thema
Heliozentrismus: Die Irrtümer des Kopernikus



Dienstag, 14. Februar 2017

Selbstbewusste Rhesusäffchen.


aus derStandard.at, 14. Februar 2017, 19:53

Trainierte Rhesusaffen können sich im Spiegel erkennen
Haben sie erst einmal die Funktionsweise des Spiegels verstanden, werden Zähne und Genitalien inspiziert und die Haare gekämmt

Schanghai – Es mag uns seltsam erscheinen, aber nur die wenigsten Tiere sind dazu in der Lage, sich im Spiegel zu erkennen: Menschenaffen, Delfine, Indische Elefanten können es; Menschenkinder schaffen es ab etwa zwei Jahren. Nun schlagen Forscher um den renommierten Neurowissenschafter Mu-ming Poo (Schanghai-Institut für Biowissenschaften) im Fachblatt "PNAS" vor, den exklusiven Klub um ein neues Mitglied zu erweitern – wenn auch unter bestimmten Bedingungen.
 
Durch einige Tricks gelang es den Forschern nämlich, auch Rhesusaffen diese Fähigkeit beizubringen. Diese Primatenart kann sich – wie auch Hunde und Schweine – im Normalfall zwar selbst nicht im Spiegel erkennen, aber diesen immerhin dazu nützen, um Futter zu finden.

Das Schlüsselexperiment

 
Um drei jungen Rhesusaffen diese ihnen ansonsten unbekannte Art der Selbstwahrnehmung beizubringen, wurden die Tiere vor einem Spiegel gesetzt, ehe man ihre Umgebung mit einem harmlosen Laserpointer anstrahlte. Berührten die Tiere den Lichtpunkt, den sie nur über den Spiegel wahrnehmen konnten, gab es Futter.
 
"Das war der Schlüssel", sagt Poo.


So lernten die Affen, wie Spiegel funktionieren.

Denn danach wurde den drei trainierten Affen ein geruchloses rotes, schwarzes oder grünes Tixoband so angeklebt, dass sie es ohne Spiegel nicht sehen konnten, ehe sie in einen Käfig mit Spiegel gesteckt wurden. Die Affen zögerten nicht und griffen sofort in Richtung der Tixostreifen, die sie im Spiegel entdeckten. Und als sie dann von den Forschern alleine gelassen wurden, taten sie das, was man von jemandem erwarten würde, der gerade entdeckt hat, wie ein Spiegel funktioniert: Die Affen inspizierten mit dem Spiegel ihre Zähne, kämmten sich ihre Haare und inspizierten ihre Genitalien.
Die Affen der untrainierten Kontrollgruppe hingegen taten nichts dergleichen. (tasch)


Abstract
PNAS: "Spontaneous expression of mirror self-recognition in monkeys after learning precise visual-proprioceptive association for mirror images"



Nota. - Ein zählebiges Dogma der Biologie hat sich im allgemeinen Volksbewusstsein festgesetzt, möchte man meinen: "Die Natur verschwendet nichts." Ein Dogma, weil es blind geglaubt wird ohne jede empirische Grundlage, ja entgegen dem bloßen Augenschein. Tatsächlich war sein Gang auch umgekehrt: Nicht aus der Wissenschaft ins Volksvorurteil, sondern aus dem Volks-, genauer: Bour- geois-Vorurteil hat es einen Weg in die Wissenschaft genommen. Im Gegenteil müsste es heißen: Nichts tut die Natur systematischer als verschwenden! Systematisch muss es ja wohl auch sein, wenn die Evolution durch Auslese stattfinden soll; Auslese der am besten Geeigneten aus einer großen Masse von Irrläufern. 

Die Rhesusäffchen sind ein Beispiel. Dass Schimpansen und Gorillas imstande sind, sich im Spiegel als 'ich-selbst' wiederzuerkennen, ist lange bekannt. Doch erstens sind sie als Menschenaffen unsere nächsten Verwandten, und es muss uns nicht kränken; aber zweitens geschieht es nur unter außerge- wöhnlich günstigen Umständen, nämlich in der Versuchsstation; im Urwald liegen keine Spiegel herum.


Und nun lernen wir: Wenn man sie dressiert, können's Rhesusaffen auch. Wer weiß - und vielleicht die Katta-Lemuren?

Hypertelie hat Adolf Portmann die Neigung der Natur genannt, ihre Lebewesen mit viel mehr Fähig- keiten auszustatten, als sie in ihrer natürlich Umwelt gebrauchen können - und es für ihr allgemeines Gesetz gehalten: "Übers Ziel hinaus" müssen die Lebewesen - wenigstens immer ein paar in jeder Gattung - equipped sein, wenn die Gattungen sich auf veränderte Lebensbedingungen um- und ein- stellen können sollen.

Man könnte auf die Idee kommen, dass auch wir Menschen uns unsere besondere Intelligenz, die wir Geist nennen, nur zugezogen haben, weil wir seinerzeit overequipped in die Welt gekommen sind.
JE

Sonntag, 12. Februar 2017

Dein Schlaf pulsiert.

schlafende Jünger am Ölberg, Rohrdorf
aus derStandard.at, 12. Februar 2017, 16:05

Gehirn wechselt im Schlaf alle 25 Sekunden zwischen Alarm- und "Offline-Modus"
Neuen Erkenntnissen könnten zu besserem Verständnis von Schlafstörungen beitragen

Lausanne – Ob Mensch oder Maus: Säugetiere brauchen Schlaf für ihre körperliche und geistige Gesundheit. Beim Schlafen erholt sich der Körper, Erinnerungen werden gefestigt. Dafür muss der Schlaf kontinuierlich sein und Gehirn und Körper "abschalten". Gleichzeitig muss der Zustand ein bisschen instabil sein, damit man bei einer möglichen Gefahr aufwacht.

Anita Lüthi von der Uni Lausanne hat mit Kollegen von der Uni Tübingen erforscht, wie sich die widersprüchlichen Ansprüche ans Schlafen miteinander vereinbaren lassen. Dafür haben sie Hirn- und Herzaktivität bei schlafenden Menschen und Mäusen gemessen.

Auf größeren Zeitskalen lässt sich der menschliche Schlaf in abwechselnde REM- ("rapid eye movement") und Nicht-REM-Phasen einteilen. Während wir in der REM-Phase träumen, sind Träume in der Nicht-REM-Phase selten. Letztere dient der Erholung und der Festigung von Gedächtnisinhalten.

Wechsel im Halbminutentakt


Wie Lüthi und ihr Team nun herausgefunden haben, wechselt der Schlaf in dieser Phase alle 25 Sekunden zwischen zwei Zuständen – dem kontinuierlichen Schlaf zur Erholung und Festigung von Erinnerungen, bei dem aber Sinnesreize kaum ins Bewusstsein gelangen, und dem fragilen für die Wachsamkeit.

Hirn und Herz sind also jeweils 25 Sekunden "in Alarmbereitschaft", bevor sie für 25 Sekunden quasi in den "Offline-Modus" gehen. Diese sich stetig wiederholenden Zyklen fanden die Forschenden sowohl bei den Mäusen als auch bei den Menschen, wie sie im Fachjournal "Science Advances" berichten.

"Wenn Sie zum Beispiel gerade in der kontinuierlichen Schlafphase sind und Ihre Katze aufs Bett springt, wird Sie das unbeeindruckt lassen", erklärten die beiden Erstautoren Sandro Lecci und Laura Fernandez. "Wenn die Katze aber ein paar Sekunden später auf Ihrem Kopfkissen landet, wenn Sie sich gerade in der fragilen Schlafphase befinden, werden Sie aufwachen."

Neue Einblicke in Schlafstörungen


Mit den neuen Erkenntnissen hoffen die Forschenden auch, zum Verständnis von Schlafstörungen und der Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten beizutragen. "Zu verstehen, warum und wie sich schlechter Schlaf negativ auf das Herz auswirkt und zur Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankun- gen beiträgt, ist eine weitere Achse unserer künftigen Forschung", sagte Lüthi. (APA, red,)

Dienstag, 7. Februar 2017

Was tut überhaupt ein Muskel?

aus Die Presse, Wien, 28.01.2017

Der Muskel arbeitet mit vereinten Kräften
Wiener Forscher entdeckten, was den Muskel in seinem Innersten zusammenhält. Die molekulare Anziehungskraft zwischen zwei Proteinen ist entscheidend – aber erst die große Anzahl an Verbindungen stabilisiert.

In europaweiter Zusammenarbeit sind Forscher seit Langem bemüht, die Funktionsweise von Muskelgewebe zu berechnen, zu simulieren und zu verstehen. Unter der Leitung von Kristina Djinovic-Carugo ist es einem Team des Departments für Strukturbiologie und Computational Biology der Universität Wien gemeinsam mit der TU München kürzlich gelungen, ein grundlegendes Rätsel zu lösen.

Was sich die Wissenschaftler bisher nicht erklären konnten: Was hält einen Muskel, der sich drehen, zusammenziehen, dehnen und dabei größte Widerstände überwinden kann, eigentlich in seinem Innersten zusammen?

Der Aufbau eines Muskels ist gut bekannt: Da gibt es die Filamente Aktin und Myosin, die bei Kontraktion ineinandergleiten. Es gibt z-Scheiben, an denen die Filamente verankert sind, zusammen bilden diese kleinen Einheiten größere Strukturen, die Sarkomere. Alle diese bekannten Tatsachen stellten die Wissenschaft jedoch vor ein Problem: Warum ist der Muskel stabil, obwohl er eigentlich bei jeder Belastung auseinanderfallen müsste?

Besonders wenn er passiv gedehnt wird, müssten die vielen gleitenden, beweglichen Filamente den Anschluss zueinander verlieren und der Muskel würde sich in seine Bestandteile auflösen. Das Stretching nach dem Morgenlauf wäre unser Todesurteil. Ganz zu schweigen von den Milliarden Kontraktionen des Herzmuskels, die uns durch ein langes und aktives Leben bringen.

Weltgrößtes Protein Titin

Sowohl die Herz- als auch die Skelettmuskulatur muss Unglaubliches leisten. Sie muss flexibel sein, sich auf einen Bruchteil ihrer Länge zusammenziehen, aber genauso dehnen können. Und immer wieder muss sie auch repariert werden – und das bei laufendem Betrieb. Das Geheimnis der Kräfte, die diesen starken Zusammenhalt von Molekülen bewirken, haben Kristina Djinovic-Carugo und ihre Forschungsgruppe in Zusammenarbeit mit dem Team von Matthias Rief, TU München, nun gelöst. Zwei Proteine spielen eine wichtige Rolle: Das Alpha-Actinin und das Titin, das größte bekannte Protein auf Erden, das als Anker für die beweglichen Gleitfilamente fungiert.

Die molekulare Anziehung zwischen diesen beiden Proteinen konnten die Forscher nun erstmals messen: Sie war erstaunlich klein. Mit nur rund fünf Piko-Newton sind die Bande alles andere als stark. Besser veranschaulicht sind das 0,000.000.000.005 Newton.

„Eine einzelne Verbindung ist sehr schwach. Aber die riesige Menge an kleinen Kräften, die in einem Muskel wirken, bildet eine große Kraft“, erklärt die Chemikerin Kristina Djinovic-Carugo. Das Ganze ist also mehr als die Summe seiner Teile. Dieses Prinzip scheint jedoch nicht in jedem Fall wirksam zu sein. Es kommt auch darauf an, in welche Richtung diese Kräfte wirken. Würde man einen Muskel in die Breite ziehen statt in die Länge – was im Körper physiologisch nicht passiert – würden die Kräfte nicht reichen, und das Gewebe würde zerfallen.

Diese neuen Erkenntnisse könnten irgendwann auch in der Medizin Anwendung finden. Bei Kardiomyopathien, also Störungen des Herzmuskelgewebes, oder auch bei Muskeldystrophien. Diese sind häufig durch genetische Defekte bedingt, die Einfluss auf Aufbau und Zusammenhalt im Muskelgewebe haben, und es instabil machen könnten.

 

LEXIKON

0,000.000.000.005 Newton oder fünf Piko-Newton beträgt die Anziehungskraft zwischen den Proteinen Titin und Alpha-Actinin im Muskel.

Die einzelnen Verbindungen sind zu schwach, um das Gewebe zusammenzuhalten, doch in Summe machen sie den Muskel stabil und flexibel zugleich. Das gilt aber nur für Belastungen in der Längsrichtung.


Freitag, 3. Februar 2017

Allnächtliches Großreinemachen.

allmystery
aus scinexx

Gehirn: Schrumpfkur im Schlaf
Während der Nacht rekalibriert unser Gehirn seine Synapsen

Platz für Neues: Wenn wir schlafen, findet in unserem Gehirn eine umfangreiche Rekalibrierung statt. Nahezu alle Synapsen schrumpfen um fast 20 Prozent und verlieren einen Teil ihrer Proteine, wie Forscher im Fachmagazin "Science" berichten. Der Grund für die neuronale Schrumpfkur: Erst das nächtliche Herunterskalieren schafft Platz für neues selektives Wachstum am nächsten Tag – und nur so können wir Neues lernen.

Schlaf ist für unser Gehirn unverzichtbar. Denn in dieser Ruhepause festigen sich unsere Erinnerungen und Gelerntes geht ins Langzeitgedächtnis über. Zudem nutzt unser Denkorgan die Nacht, um Abfallstoffe auszuschwemmen. Fehlt der Schlaf, machen wir mehr Fehler, neigen zu falschen Erinnerungen und werden reizbarer.

 

Blick auf die Nervenverknüpfungen


Welche Prozesse dafür sorgen, dass sich unsere Lernfähigkeit im Schlaf regeneriert, blieb allerdings unklar. 2016 lieferten Messungen der Hirnströme mittels Elektroenzephalografie erste Hinweise: Sie zeigten, dass bei Menschen mit Schlafmangel die Synapsen überaktiv sind und nicht mehr weiter wachsen können – was beim Lernen nötig wäre.
 

Spielt der Nachtschlaf demnach auch für die Synapsenfunktion eine entscheidende Rolle? Um das herauszufinden, haben Luisa de Vivo von der University of Wisconsin-Madison und ihr Team untersucht, ob sich die Synapsen bei ausgeschlafenen und wachgebliebenen Mäusen in Größe und Struktur unterscheiden. Dafür analysierten sie knapp 7.000 Synapsen aus der Hirnrinde der Tiere mit Hilfe der hochauflösenden seriellen 3D-Raster-Elektronenmikroskopie (SBEM).

 

Fast 20 Prozent geschrumpft


Und tatsächlich: Die Forscher entdeckten klare Unterschiede. Bei den Mäusen, die ein paar Stunden Schlaf hinter sich hatten, waren die Berührungsflächen der Synapsen im Schnitt um 18 Prozent geschrumpft. Auch das Volumen der napfartig ausgebeulten Synapsenköpfe hatte gegenüber dem Wachzustand abgenommen.

Diese Aufnahme zeigt die Dendriten, zweigartige Fortsätze von Nervenzellen. Am Ende der Verästelungen sitzen die Synapsen.
Diese Aufnahme zeigt die Dendriten, zweigartige Fortsätze von Nervenzellen. Am Ende der Verästelungen sitzen die Synapsen.
"Diese Ergebnisse stützen die Hypothese, dass die Wachphase zu einer Zunahme der Synapsenstärke führt, während der Schlaf diese Synapsenstärke wieder renormalisiert", sagen de Vivo und ihre Kollegen. Weil nachts alle Synapsen ein Stück herunterskaliert werden, können Lernerfahrungen am Tag einige dieser Verknüpfungen wieder selektiv stärken – und so die Erinnerungen fixieren.

 

Nächtlicher Abbau der Andockstellen


Eine Vertiefung dieser Ergebnisse liefert eine zweite Studie unter Leitung von Graham Diering von der Johns Hopkins University in Baltimore. Die Forscher untersuchten ebenfalls Mäusesynapsen vor und nach dem Schlaf, legten den Schwerpunkt jedoch auf molekulare und strukturelle Veränderungen der Nervenverknüpfungen. 

Dabei zeigte sich: Die Synapsen verlieren im Schlaf nicht nur an Größe, auch die Menge der Rezeptorproteine verringert sich um rund 20 Prozent. Immer, wenn der Pegel der Botenstoffe Noradrenalin und Adenosin ein erhöhtes Schlafbedürfnis signalisiert, findet dieser Abbau der Andockstellen für die Neutrotransmitter statt. Nach Ansicht der Wissenschaftler ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass im Schlaf eine Rekalibrierung des Gehirns stattfindet: Durch das allgemeine Herunterskalieren wird wieder "Luft nach oben" geschaffen.

 

Schlafmittel stören die Rekalibrierung


Diese neuen Einblicke in das nächtliche Gehirn bestätigen, wie wichtig der Schlaf für unser geistiges Wohlergehen ist. "Schlaf ist für unser Gehirn keine wirkliche Pause, denn es muss in dieser Zeit wichtige Arbeit leisten", erklärt Huganir. "Wenn wir ihm diese Zeit nehmen, wie in unserer modernen Gesellschaft oft der Fall, schaden wir uns selbst."

Und noch etwas deutet sich an: Schlaf- und Beruhigungsmittel könnten in dieser Hinsicht auch mehr schaden als nützen. Denn zumindest bei einigen dieser Medikamente geht man davon aus, dass sie die homöostatische Rekalibrierung des Gehirns stören oder verhindern können, wie der Forscher erklärt. (Science, 2017; doi: 10.1126/science.aah5982; doi: 10.1126/science.aai8355)

(Johns Hopkins University/ University of Wisconsin-Madison, 03.02.2017 - NPO)