Die Geschichte des Weltuntergangs
Der Tag des Herrn, der Tag des Zorns
Die
christliche Vorstellung eines bevorstehenden Weltendes hat das
Abendland mitgeprägt – sie ist bis heute virulent, wie der Historiker
Johannes Fried in einem neuen Buch zeigt.
Der Tag des Herrn, der Tag des Zorns
Die christliche Vorstellung eines bevorstehenden Weltendes hat das Abendland mitgeprägt – sie ist bis heute virulent, wie der Historiker Johannes Fried in einem neuen Buch zeigt.
Könnte man ein
Fieberthermometer in die Welt stecken, es wäre die abzulesende
Temperatur jüngst wohl um einige Grad gestiegen. Weltmächte begegnen
einander wieder mit militärischen Drohgebärden, Migrationsbewegungen
nehmen ungeahnte Ausmasse an, das globale Finanzsystem steht auf der
Kippe. Dazu läuft das schon länger bekannte Hintergrundprogramm:
drohende Klimakatastrophe, besorgniserregende Pandemien, Angst vor der
genetischen Veränderung des Menschen . . . Die gute alte Erde mache es
nicht mehr ewig, liess sich unlängst der Physiker Stephen Hawking
vernehmen. Wir sollten vorsichtig umgehen mit ihr – bis wir
technologisch so weit seien, ins Weltall auszuwandern.
Naherwartungen
«Der folgende Essay ist ein Symptom unserer Zeit» – so beginnt, recht nüchtern, Johannes Fried sein neues Buch über ein alles andere als nüchternes Thema: den Weltuntergang, den Tag des Herrn, den «Tag des Zorns», den «Dies Irae», wie die katholische Totenliturgie ihn bis 1970 kannte und nannte. Die Apokalypse war und ist bis heute, so die faszinierende Grundthese des Mittelalterhistorikers, eine christliche Angelegenheit. Zwar sieht Fried beispielsweise im Hinduismus Vorstellungen einer zyklischen Erneuerung der Welt verbreitet, zwar spreche auch der Koran von einem Weltengericht. Aber nur das Christentum habe, inspiriert von Teilen der jüdischen Prophetie und vor allem von der Katastrophe der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 n. Chr., die Idee eines finalen Weltenbrands entwickelt. Befragt man Überlebende der Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki nach ihren Erinnerungen, dann verwenden sie interessanterweise nicht das Wort, das durchschnittlichen Menschen im Westen schon in Anbetracht weit weniger schrecklicher Ereignisse einfällt: «apokalyptisch».
Dass mit dem Untergang bald oder sehr bald zu rechnen sei, prägte in Europa das Lebensgefühl über Jahrhunderte hinweg. Anlass zur Resignation, wie man meinen könnte, bot es in einer christlichen Perspektive allerdings nicht. Was galt es nicht alles an Gutem zu tun, um sich und andere auf das grosse Finale vorzubereiten; was nicht alles an Busse, um es vielleicht doch noch ein wenig hinauszuzögern.
Bei
Fried erweist sich das vorgestellte Weltende als kultureller
Antriebsfaktor ersten Ranges, verdanken doch zentrale Umbrüche wie etwa
die Reformation ihre Schubkraft einer unmittelbaren Naherwartung des
Jüngsten Gerichts. Martin Luther erblickte im Papst keineswegs nur
metaphorisch den Antichrist, der laut Neuem Testament der endgültigen
Wiederkunft Christi vorausgehen werde. Andere Gruppen wie die
Wiedertäufer beriefen sich auf Bibelstellen, laut denen dem Weltenbrand
tausend Jahre eines friedlichen irdischen Wohlstands vorgeschaltet sein
würden. Von da ist es zu den Sozialutopien des 19. und 20. Jahrhunderts
nicht mehr weit. Indem Fried souverän die Grenzen des eigenen Fachs
überschreitet, macht er zugleich einmal mehr die Sinnlosigkeit der
Annahme deutlich, es gebe eine regelrechte Epochenschwelle zwischen
Mittelalter und Neuzeit. Dass viele Naturwissenschaften ihre
Fortentwicklung im Mittelalter der Sorge um das Ende verdanken, hatte
Fried schon vor einigen Jahren in seinem Werk «Aufstieg aus dem
Untergang» (2001) dargelegt. Gerade weil man «weder Tag noch Stunde»
wissen konnte, wie es im Matthäusevangelium heisst, galt es die
kosmischen Zeichen zu deuten, die dem Tag des Herrn vorausgehen sollten.
Das verschaffte nicht nur der Astrologie, sondern auch der Astronomie
gewaltigen Auftrieb, regte Zeitrechnung und Kalenderwesen an.
Doch dreht Fried im neuen Buch die Schraube um eine entscheidende Windung weiter. Nicht nur habe die Religion ihre eigene Säkularisierung befördert, so die These, sondern die Naturwissenschaften seien – in umgekehrter Perspektive betrachtet – auch bis heute von christlichen Deutungsmustern geprägt. Wenn Wissenschafter vor Klimakatastrophe oder Überbevölkerung warnten, erscheine uns das Ende nicht weniger nahe als den Menschen des Mittelalters. – Und wie damals gilt es heute möglichst alles zu tun, um die Katastrophe noch ein wenig aufzuschieben. Millionen werden investiert, um herauszufinden, ob die Erde bald mit einem Asteroiden zusammenstossen könnte oder das Universum weiter expandieren wird.
Kulturelles Unterbewusstsein
Mag die Theologie seit der Aufklärung die Beschäftigung mit der Wiederkunft Christi allmählich aufgegeben haben, so kehren die alten Ängste in einer merkwürdigen Dialektik der Aufklärung doch umso sicherer zurück: «Der kulturelle Habitus apokalyptischer Erwartungen verlässt den ‹Westen› nicht.»
Damit möchte der Historiker natürlich nicht die Ergebnisse moderner Forschung bestreiten, und die Realität möglicher Untergangsszenarien ist ohnehin nicht sein Thema. Nur sieht er im christlich geprägten Westen bis heute «eine versteckte, doch unstillbare Sehnsucht nach dem Ende» am Werk, die gerade von der Populärkultur immer wieder aufs Neue befeuert werde. Kein Jahr ohne Kinofilme, in denen die Welt untergeht oder von guten Menschen gerade noch gerettet wird. Verändert hat sich laut Fried dabei nur, dass der Mensch, der Gott nicht mehr als Schöpfer sieht, sich nun die Verantwortung für das Ende in der Regel selbst zuschreibt. Wie alles andere ist so auch die Apokalypse «technischer, messbarer und umfassender geworden, uns näher gerückt, eingebunden in die Komplexität der globalisierten Welt, von Menschen hervorgebracht». Doch das kulturelle Gedächtnis prägt die Formen, in denen wir uns selbst beschreiben. Oder sollte man hier schon von einem «kulturellen Unterbewusstsein» sprechen?
Solche geschichtstheoretischen Überlegungen liessen sich vielfach an Frieds Durchgang durch zweitausend Jahre Weltuntergang anschliessen. Der Autor selbst lässt Deutungen eher implizit mitschwingen, als sie dem Leser aufzudrängen. Erst recht bleibt er mit Wertungen vorsichtig, als verordne er sich angesichts seines Alarmismus-trächtigen Themas eine Extraportion Zurückhaltung. Das sorgt auch dafür, dass sich nicht jede Wendung der anschaulich geschriebenen Darstellung unmittelbar erschliesst, dass mancher Satz zunächst abzuschweifen scheint. Bis der Leser nach und nach verstanden hat, dass er an einem faszinierenden Freiflug teilnimmt, der eine neue Perspektive auf die europäische Ideengeschichte eröffnet.
Johannes Fried: Dies Irae – Eine Geschichte des Weltuntergangs. C. H. Beck, München 2016. 352 S., Fr. 38.90.
Nota - Obige
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