Samstag, 30. April 2016

Endlich entschlüsselt: Was ist Geist?

aus nzz.ch,

Mensch und Evolution 



Was ist Geist?
Geist steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Evolution. Aber er ist die Bedingung für die menschliche Freiheit – und damit für die Erkenntnis über den Anfang allen Lebens. 
Eine Rekonstruktion. 
 
von Hans Widmer
 
Auf die Frage, was Geist sei, hat die Philosophie des Geistes viele Antworten entwickelt. Von Platon bis Hegel und über diesen hinaus liest sich allerdings das meiste, was sie im Angebot hat, wie die Deutung des Transistorradios durch den Medizinmann. Erst seit wenigen Jahrzehnten ermöglichen Erkenntnisse der Wissenschaft und die Anschauung der Technik dem bildungsfähigen Verstand, zu klaren, überprüfbaren Aussagen zu gelangen.
 
Muss man das überhaupt wissen? – Je vollständiger unsere Erkenntnis über alles um uns und in uns, desto grösser die Chancen nicht nur zur Erfüllung des eigenen Lebens, sondern auch für eine Basis, auf der sich die disparaten Kulturen der Welt in ihrem unausweichlichen Zusammenwachsen verständigen können. «Überzeugungen sind die grösseren Feinde der Wahrheit als Lügen», schrieb Nietzsche. Und in der Tat: Überzeugungen mit Überzeugungen zu konfrontieren, führt nur zu Streit. Erkenntnis der Wirklichkeit ist die einzige enge Pforte, die zu Frieden führt. 

Information 

Am Anfang der Evolution hin zu Leben steht rohe Materie. Durch ihre Eigenrotation (Spin) bestimmen Elementarteilchen schon eine Richtung im Raum, der selber nur Ausdehnung hat. Verbinden sich zwei Wasserstoffatome und ein Sauerstoffatom zu H2O, definieren sie eine Ebene; und vier Wasserstoffatome, die sich mit einem Kohlenstoffatom C zu Methan verbinden, bilden eine räumliche Struktur, ein Tetraeder mit C im Zentrum.

Komplexe Strukturen können sich ihrer Umgebung prägend aufdrängen, etwa Eiskristalle dem sie umgebenden Wasser bei Wärmeentzug. Für die Entstehung von Leben ist solches Mitteilen grundlegend. Involviert sind zwei Molekülarten mit komplexen räumlichen Strukturen: Aminosäuren und Nukleinsäuren. Verkürzt gesagt sind Aminosäuren Baumaterial, und Nukleinsäuren sind Baupläne. Leben beginnt in der Evolution genau in dem Augenblick, in dem eine Kette von Nukleinsäuren den Bauplan eines Negativs ihrer selbst und dieses Negativ wiederum den Bauplan des Positivs darstellt. Verzwirnt bilden diese Ketten die Doppelhelix und instruieren über mRNA und tRNA die Produktion von Peptidketten, die sowohl diese Produktion katalysieren als auch das Baumaterial für die Stoffwechselfunktionen bereitstellen («Hyperzyklus»).

Gefühle sind keine blossen Stimmungen, sondern Aufträge an das Denken. 

Mit diesen Bauplänen tritt das Phänomen «Information» ins Universum. Information kommt sonst im Universum und in aller Physik und aller Chemie nicht vor – nur in diesen wunderbaren Molekülen, die, in einem Kirschkern versammelt, der Bauplan für einen Kirschbaum sind, der wiederum Kirschen tragen wird. Der Sprung zu Information und Leben organisiert sich unter den Bedingungen der Erde mit grosser Wahrscheinlichkeit selbst – unwahrscheinlich im Universum sind nur diese Bedingungen. Dabei gründet sämtliches unendlich vielfältiges Leben, von Algen bis zum Menschen, allein auf 4 Nukleinsäuren und 20 Aminosäuren. Zum Vergleich: Das gesamte Wissen der Menschheit lässt sich mit 26 Buchstaben und 10 Ziffern darstellen. 

Biologische Datenverarbeitung 

Die Entwicklung von Geist geht von einer späteren Evolutionsstufe aus als jener der Entstehung der DNA. Organe können sich nämlich nur ausbilden, wenn deren Funktionieren in einem Organismus koordiniert wird. Dies besorgen Signale, die durch Nervenbahnen fliessen und in Ganglien verarbeitet werden. Signale sind Stellvertreter für chemische Zustände, die in vorangegangenen Evolutionsstufen direkt miteinander reagierten. Bei Einzellern ist noch alles in Berührung, was miteinander reagieren soll, und was nicht, ist in geeigneter Weise getrennt.

Die Signale sind elektrische Impulse, also materielle Erscheinungen wie die DNA, doch liegt nun der Informationsgehalt in deren Reihenfolge, also in der Zeit – nicht im Raum. Aus den Signale verarbeitenden Ganglien gehen in der Evolution Gehirne hervor. Dem einfachen Reptilgehirn überlagert sich in Jahrmillionen das limbische System und diesem der Neocortex. Jede zusätzliche Kapazität an Datenverarbeitung steht im Dienst der bisherigen, kann jedoch deren Vermögen grundlegend erweitern. Vom Reptil, dessen Nachwuchs aus dem Ei schlüpft und sich fortan allein durchschlägt, bis zum Schimpansen mit seinem langsamen Heranwachsen und seinen komplexen sozialen Relationen werden Datenverarbeitung und Gehirn um Grössenordnungen vielschichtiger, komplexer und aufwendiger.

Da die biologischen Bedürfnisse durch angeborene Reflexe und Instinkte unmittelbar in Verhalten übersetzt werden, bleibt das Verhalten selbst von Schimpansen, bei aller gewonnenen Flexibilität, stereotyp und ohne Entwicklung, in kollektiver wie individueller Hinsicht. Auch wenn ein Schimpanse einen Mundvoll Wasser in ein für seine Hand zu enges Gefäss gibt, um Nüsse, die dann obenauf schwimmen, herauszuholen, ist dies noch nicht Denken, sondern nur eine Rekombination stereotyper Aktionen. 

Denken 

Um in der von denkenden Wesen gemachten Welt zu bestehen, brauchen Menschen die Fähigkeit zum Denken. Denken ist dem ererbten Instinktapparat überlagert und ist in der Evolution so radikal neu wie das Leben selbst. Das Hauptmerkmal von Denken liegt in dessen Entkopplung von stereotypen Reflexen und unterscheidet sich grundlegend von den kognitiven Leistungen von Schimpansen, was leicht nachzuvollziehen ist. Jedes Bedürfnis und jede Furcht lösen beim Tier sofort und eindeutig Aktionen aus: Wenn der Körper Energiemangel meldet, geht's auf die Jagd; einem Weibchen in Brunst jagen die Männchen sofort hinterher. Beim Menschen hingegen melden sich Bedürfnisse nicht als starre Imperative, sondern als mehr oder weniger deutliche, mehr oder weniger heftige Gefühle.
Denken ist ein Softwareprogramm, das Neuronenpopulationen verarbeitet.

Gefühle sind keineswegs blosse Stimmungen, sondern Aufträge an das Denken, aus seiner Übersicht und mit seinen Einfällen Lösungen für die Bedürfnisbefriedigung zu finden – oder diese im höheren Interesse wie Gesundheit oder Ethik aufzuschieben. Ohne Denken hätten Gefühle keinen Sinn, und ohne Gefühle hätte Denken keine Richtung. Ist das das Gefühl auslösende Bedürfnis gestillt, verschwindet es. Das ist am Beispiel von Hunger einfach nachzuvollziehen, gilt jedoch auch für die grossen Lebensziele. Ein Unbehagen im Beruf drängt zum Aufsuchen neuer Beschäftigung. Eine innere Unruhe drängt zum Überdenken der Identität – und wenn eine Übereinstimmung von Anlagen, Selbstverständnis und Stellung in der Gesellschaft erreicht ist, verschwindet das Thema. Negative Gefühle sind keine Strafen, sondern Aufforderungen zu Veränderungen dessen, was sie auslöst.

Das Bedürfnis wird durch das Denken einem ungleich grösseren Universum von Lösungsmöglichkeiten zugeführt als bloss einem Katalog von Reflexen bei Tieren. Die dadurch gewonnene Anpassungsfähigkeit ist der Grund für den überwältigenden quantitativen Erfolg der damit ausgestatteten Spezies. Wenn das unmittelbare Überleben einigermassen gesichert ist, drängt das Denken auf Beantwortung von Fragen über den Tag hinaus, will dem Lebensganzen Sinn geben, entwickelt Neugier für die Welt, in die sich das Individuum geworfen sieht. 

Evolution von Denken 

Wie kann sich Denken von der biologischen Datenverarbeitung entkoppeln? Das Gehirn entspricht keiner Computerschaltung mit fixen Verknüpfungen und eindeutigen Ja/Nein-Zuständen. Stattdessen gibt es Mehrheiten oder Minderheiten von Neuronen, die aufeinander wirken. Denken ist ein Softwareprogramm, das entkoppelte Neuronenpopulationen verarbeitet. Vorausgesetzt ist die erhöhte Datenverarbeitungskapazität, die in dreieinhalb Millionen Jahren etwa auf das Dreifache gegenüber Lucy (Australopithecus afarensis) angewachsen ist, was übrigens kein genetischer, sondern ein Domestikationseffekt ist. 

Information ist Struktur von Materie, die sich mitteilt. 

Wie in der Evolution vorangehende Erweiterungen der Datenverarbeitungskapazität baut Denken auf dem auf, was andere höhere Primaten schon können – bei näherer Betrachtung verblüffend viel. Sie können
 
■ raumbezogen: sich erinnern, was wo in ihrer Umgebung ist, sich verborgene Bewegungen vorstellen und beobachtete fortführen, Abkürzungen gehen;
 
■ objektbezogen: Klassen bilden, Entsprechungen bei kleinen Zahlen finden, Probleme durch Einsicht in ihre Mechanik lösen, Werkzeuge gebrauchen;
 
■ sozial: lernen, Beziehungen pflegen, das Verhalten anderer vorausberechnen, Taktik anwenden, kooperieren, Arbeit teilen, Stimmungen wie Trauer ausdrücken.
 
Diese kognitiven Fähigkeiten steigert Denken ins Unerschöpfliche durch die Erweiterung des Horizonts vom unmittelbar Sichtbaren zu allem Vorstellbaren, von anwesenden Sippenmitgliedern zur ganzen Menschheit, von der Gegenwart in alle Zeiten. Voraussetzung dafür sind die sich beim Kind in Stufen entwickelnden Fähigkeiten, grosse Mengen an Informationen auf den Begriff zu bringen und rationell zu verarbeiten durch intuitiv-logische Operationen, die in Sprache und Mathematik formalisiert.

Bewusstsein 

Jean Piaget schreibt: «Am Beginn der geistigen Evolution gibt es . . . keine Differenzierung zwischen dem Ich und der Aussenwelt . . . die erlebten Eindrücke sind auf einer einzigen Ebene ausgebreitet, die weder innerlich noch äusserlich ist.» Danach baut die entkoppelte Datenverarbeitung des Menschen ab ovo eine eigene Datenbank auf, die das Tier nicht hat. Das Kleinkind speichert von acht Monaten an Gegenstände, Personen und Aktionsschemata, die die Erfahrung von Intention, Handlung und Effekt zusammenfassen. In kleinen Dosen werden eigener Körper, eigene Empfindungen, Einsichten und Vorlieben in die Vorstellung integriert, woraus sich mit der Zeit ein Selbst aufbaut. Das Selbst betreibt das Denken, und das Denken projiziert das Selbst – ein Zyklus wie der «Hyperzyklus» am Anfang des Lebens.

Bewusstsein, die neue Informationsplattform, baut sukzessive das Bild einer Aussenwelt auf – und spiegelbildlich das Bild eines Ichs. Die Ausbildung der Individualität entspricht einer zunehmenden Objektivierung der Welt. Dasselbe gilt für die Geistesgeschichte: Sie ist im Wesentlichen die Geschichte zunehmender Objektivierung. 

Was ist nun Geist? 

Die «Substanz» von Geist, die die Philosophie zweieinhalbtausend Jahre lang gesucht hat, ist Information. Information ist Struktur von Materie, die sich mitteilt. Denken ist die im menschlichen Gehirn von der Intuition entkoppelte Verarbeitung von Information, die im Dienst ebendieser Intuition Input in Output überführt. Geist ist Gedachtes. Was ist Gedachtes anderes als – Gedanken! Gedanken können zwar niedergeschrieben und in Bibliotheken verstaut werden, Geist sind sie jedoch erst wieder, wenn sie gelesen und damit gedacht werden.

Seit dem Homo sapiens sapiens erfolgt Denken auch in Sprache statt bloss in Vorstellungen – der entscheidende Sprung im geistigen Vermögen. Sprache besteht aus Begriffen und Regeln und gestattet Erfassung, Verarbeitung, Mitteilung und Speicherung von Erfahrungen. Begriffe sind Abstraktionen und erfassen das, was Mengen von Gegenständen und Ereignissen gemeinsam ist; etwa erfasst der Begriff «Haus» das Millionen von Häusern Gemeinsame, nämlich dass sie von Menschen gemacht sind und bergen – der Begriff ist jedoch ohne Kontext leer und bedarf konkreter Ergänzungen wie «Opernhaus der Stadt Zürich», «das erste Haus rechts eingangs Dorf». 

Bewahrung des Bewährten 

Aus der Wechselwirkung von mit Geist ausgestatteten Lebewesen untereinander entsteht Kultur. Hegel nannte die Wechselwirkung «Dialektik» und das Ergebnis «Weltgeist». Kultur durchläuft eine Evolution nach den Gesetzen aller Evolution: Wandel (Mutation in der Biologie), Selektion des sich Bewährenden, Bewahrung des Bewährten. Hegel meinte bejahend zum Ergebnis dieser Evolution: «Was wirklich ist, das ist vernünftig, und was vernünftig ist, das ist wirklich.»

Die perennierende Frage war, wie Geist und Materie aufeinander wirken würden, und nun fällt die Antwort kurz aus: Sie sind ein Ganzes, bedingen einander und sind isoliert zu nichts nütze – so wenig wie ein Auto ohne Lenkung und eine Lenkung ohne Auto.

Sowohl die Hardware von Leben wie die Software, die dessen Betrieb lenkt, sind materielle Strukturen. Es ist das Zusammenwirken von Information und Materie, das Leben ausmacht. Die Moleküle, die auf elementarer Stufe Information und Materie darstellen, setzen sich in beiden Fällen aus den Atomen H, C, N und O zusammen, haben lediglich unterschiedliche Strukturen, und diese bestimmen ihre unterschiedlichen, komplementären Funktionen. 

Dualismus 

Auf Stufe Nervensystem kommt die Zeitdimension hinzu: Signale wirken online aufeinander und führen zu neuen neuronalen Verknüpfungen. Alles Geistige und alles, was unter Seele subsumiert werden kann: Intuition, im Unbewussten verarbeitete Erfahrungen, tragende Erkenntnisse und Bekenntnisse zum Lebenssinn, sind im Gehirn als neuronale Strukturen abgelegt. Körper und Geist/Seele sind nur an der Oberfläche etwas Verschiedenes, im Innersten sind sie ein Einziges. Die von Platon eingebrachte Idee eines «Dualismus», der den zwei unterschiedlichen Erscheinungsformen dieses einzigen Ganzen isolierte Existenz zuordnet, führt in die Irre.

Die Persönlichkeit wird zur festen Burg in der fliessenden, unberechenbaren Welt. 

Der Mensch ist in seinen Antrieben und Intuitionen weitgehend Primat geblieben, und sein Denken hat die Funktion, diesen Primaten erfolgreich durch die von Menschen geschaffene Zivilisation zu führen. Dabei ist seine Identität zu jeder Zeit, da er zu entscheiden hat, festgelegt: genetisch, durch Prägung, eigene Handlungen und Erfahrungen. Die einzige Freiheit liegt folglich in der anstehenden Entscheidung. Wenn diese zu Erfahrung geworden ist, geht sie als kleinere oder grössere Erweiterung in die Identität ein. 

Freier Wille 

Freier Wille ist somit auch in der Theorie nur das, was das Individuum im Alltag erlebt: die Wahl des nächsten Schrittes – nicht die Wahl, wer es im Augenblick der Wahl sei. Selbst wenn dieser Schritt die Erstellung eines Lebensplanes ist: Es geht um nicht mehr als den nächsten Schritt. Da jeder Schritt im Dienst weitgehend intuitiver Bedürfnisse steht, fällt die Entscheidungen in letzter Instanz ebenfalls die Intuition. Der freie Wille beschränkt sich somit primär auf das Auffinden von Lösungen und das Aufbereiten von Entscheidungen. Wie «frei» er darin sein kann, manifestiert sich bisweilen in Ratlosigkeit. 

Unsterblichkeit 

Die Aussenansicht von Seele ist Persönlichkeit. Zunehmend in einem Menschenleben wird diese durch die eigenen Entscheidungen geformt. Je schärfer auf Ziele ausgerichtet, je kohärenter Entscheidungen, je konsequenter Handlungen, desto grösser die Chance auf ein seinen Möglichkeiten gerecht werdendes Leben. Ihre Erfüllung bedarf nicht der Nobelpreise, Goldmedaillen oder Millionen, sondern allein der Ausschöpfung der eigenen Anlagen von der Liebesfähigkeit bis zur Tatkraft, wie winzig oder überragend sie immer sind.

Die Persönlichkeit wird zur festen Burg in der fliessenden, unberechenbaren, bisweilen konfus erscheinenden Welt. Sie legt ihre Werte fest und hält sich daran. Ihre Überzeugungen, Haltungen und Handlungen sind ein Ganzes. Sie ist sich selbst willkommen, nimmt das Unabänderliche hin und gliedert sich mittragend in die Gesellschaft ein. Die Persönlichkeit, oder eben Seele, die sich auf solche Höhe emporarbeitet, erreicht zu Lebzeiten eine vergnügliche Art von Unsterblichkeit, und eines Lebens nach dem Ableben bedarf sie nicht. 

Nachwort 

Manch beseeltes, staunendes, liebendes Individuum fühlt sich im Innersten angegriffen, wenn seine grossen Emotionen bloss neuronale Strukturen im Gehirn darstellen sollen. Zwei Fragen mögen ihm helfen, sich mit der Vorstellung zu versöhnen: Berührt uns «Mona Lisa» weniger, weil sie auch ein 77 mal 53 Zentimeter grosses Pappelholzbrett ist mit einem Liter Farbe drauf? Geht Verliebtheit weniger durch Mark und Bein, weil sie von einer Phenylethylamin-Ausschüttung gestützt wird? Das Eigentliche liegt in den Empfindungen, die «Mona Lisa» und Liebe auslösen, nicht im Substrat, mit dem sie dargestellt werden.

Hingegen hilft das Verständnis, was Geist ist, einzusehen, was Geist nicht ist, insbesondere, dass Geist nicht im Universum «herumspükt», wie Lichtenberg einst sagte. Oder positiv gesagt: dass das einzige Zuhause von Geist im ganzen Universum das menschliche Gehirn ist. Hoppla – haben wir unversehens in Selbstherrlichkeit abgehoben? Ohne Zweifel, wenn wir das Mass an der Grösse des Geschenkes «Geist» nehmen. Nehmen wir es jedoch an der Grösse der Verantwortung, die damit einhergeht, werden wir ganz klein.

Hans Widmer ist Autor von «Das Modell des konsequenten Humanismus – Erkenntnis als Basis für das Gelingen einer Gesellschaft» sowie von «Grundzüge der deduktiven Physik – Fundament für die grossen Theorien der Physik», beide bei Rüffer & Rub, Zürich 2013.


Nota. - Au Backe, eine Breitseite auf den gesunden Menschenverstnd! Aber so pompös es auf den ersten Blick wirkt, so distanziert nüchtern ercheint es doch in der Ausarbeitung. Dem naturwissenschaftlichen Reduktionismus entwischt er aber immer erst im allerletzten Moment - indem er die Begriffe so definiert, dass auch 'das Andere' mit hineinpasst. Es fragt sich aber, wozu das Definieren gut sein soll.

Geist = Information, schreibt Hans Widmer. Geist = Absicht, schrieb Friedrich Schlegel. Wenm man 'Information' so auffasst, als ob in ihr etwas 'gemeint' sei, läuft beides auf dasselbe hinaus. Dass man denselben Gedanken so und auch anders aussprechen kann, sei jedem Dogmatiker ins Stammbuch geschrieben. Aber an sich vermehrt es nicht die Erkenntnis.

- Wenn ich es ganz in Ruhe nochmal gelesen habe, komme ich vielleicht darauf zurück.
JE




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Donnerstag, 28. April 2016

Bedeutung kommt vor dem Wortlaut.

aus scinexx

Erste "Wortkarte" unseres Gehirns
Forscher erstellen ersten Atlas des semantischen Netzwerks in unserem Gehirn
Ein neuer Hirnatlas zeigt erstmals, wo unser Gehirn welche Wörter verarbeitet. Für mehr als 10.000 Wortbedeutungen kann man direkt erkennen, welche Areale aktiv werden. Demnach aktivieren Wörter mit eher sozialer Bedeutung beispielsweise andere Hirnareale als Farbwörter, Ortsangaben oder Zahlen. Das gesamte semantische Netzwerk überzieht jedoch das gesamte Gehirn, wie die Forscher im Fachmagazin "Nature" berichten.
Dank moderner bildgebender Verfahren weiß man heute, dass Sprache in unserem Gehirn mehr Areale aktiviert als nur die beiden bekannten Sprachzentren der linken Hirnhälfte. Stattdessen ist ein ganzes Netzwerk daran beteiligt, die Bedeutung der Wörter zu entschlüsseln. Doch wie die Arbeit innerhalb dieses Netzwerks verteilt ist und wo welche Bedeutungen verarbeitet werden, blieb weitgehend unbekannt.

Geschichten erzählen im Hirnscanner

Alexander Huth und seine Kollegen von der University of California in Berkeley haben nun erstmals dieses semantische Netzwerk in seiner Gesamtheit kartiert. Für ihre Studie spielten sie sieben Probanden zwei Stunden lang vorgelesene Geschichten vor, währen diese in einem hochauflösenden funktionellen Magnetresonanz-Tomografen (fMRT) lagen. Dieser zeichnete auf, welche Gehirnregion aktiv wurde, wenn ein Wort mit einer bestimmten Bedeutung ertönte.

Für die Auswertung dieser Aufzeichnungen ordneten die Forscher gut 10.000 Wörter zwölf semantischen Bedeutungsgruppen zu. Mit Hilfe computergestützter Verfahren kartierten sie dann, wo die Wörter eine Reaktion im Gehirn der Probanden hervorriefen – und wo sich bestimmte semantische Gruppen ballten.

Verteilt über das ganze Gehirn

Das Ergebnis ist ein dreidimensionaler Atlas unseres Gehirns, der über und über mit Wörtern gepflastert ist. Schon auf den ersten Blick wird damit deutlich, dass das semantische Netzwerk unser gesamtes Denkorgan überzieht. Insgesamt sind mehr als 130 verschiedene Areale beteiligt, wie die Forscher berichten.

10.000 englische Wörter aus zwölf Bedeutungsgruppen wurden kartiert
Diese verteilen sich nahezu gleichmäßig über das gesamte Gehirn – von einer Dominanz der traditionellen Sprachzentren der linken Hirnhälfte keine Spur. "Das ist ein erstaunlicher Aspekt unseres Gehirnatlas", konstatieren Huth und seine Kollegen. "Diese Symmetrie scheint früheren Studien bei Menschen mit Hirnverletzungen zu widersprechen."

Orte, Zeiten, Beziehungen

Der Atlas zeigt, dass sich Wörter aus der gleichen Bedeutungsgruppe in bestimmten Arealen konzentrieren. Wörter aus dem sozialen Kontext aktivieren unter anderem Areale im seitlichen Scheitellappen und im Schläfenlappen , bei eng mit dem Sehen verknüpften Wortbedeutungen reagieren dagegen vornehmlich – aber nicht nur – Neuronen in der Nähe der Sehrinde. Außerdem gibt es noch Bereiche, die vor allem bei Wörtern mit Ortsbezug anspringen, andere reagieren auf Zeitwörter oder Zahlennamen.

Interessant auch: Wörter, die je nach Kontext eine ganz unterschiedliche Bedeutung haben können, aktiveren je nach semantischem Zusammenhang auch jeweils andere Areale. So kann das englische Wort "Top" beispielsweise räumlich gemeint sein, aber auch eine Rangposition oder eine Wertung bedeuten. Im semantischen Atlas taucht dieses Wort daher mehrfach an unterschiedlicher Stelle auf.



Wörter mit ähnlicher Bedeutung aktivieren oft eng benachbarte Neuronen - es bilden sich Bedeutungs-"Inseln".
Viele Gemeinsamkeiten

Wo welche Wörter verarbeitet werden, war dabei trotz kleinerer individueller Unterschiede bei allen Probanden sehr ähnlich. Worauf dies beruht, ist allerdings noch nicht klar. "Es könnte sein, dass die Anatomie des Gehirns die Organisation dieses Netzwerks beeinflusst", erklären Huth und seine Kollegen. "Möglich wäre aber auch, dass dies auf sehr ähnlichen Lebenserfahrungen unserer Teilnehmer beruht, die alle in westlichen Industrieländern aufgewachsen sind."

Klar scheint aber in jedem Fall: Der erste semantische Atlas des Gehirns liefert wertvolle neue Einblicke in die Arbeitsweise unseres Gehirns. "Die Fähigkeit, semantische Repräsentationen mit diesem Detailreichtum zu kartieren, ist eine fantastische Errungenschaft", kommentiert Kenneth Whang von der US National Science Foundation. Sie hilft nicht nur Sprachforschern und Neurolinguisten weiter, sondern könnte auch in der Medizin nützlich sein.

Zudem demonstriert die Studie, dass dank moderner datengestützter Verfahren schon ein verhältnismäßig simples Experiment ausreicht, um aussagekräftige Informationen zu erhalten: Die Probanden lauschten einfach nur Geschichten, während sie im Scanner lagen. "Mit dieser Methode könnten daher künftig auch andere Aspekte der Sprache, wie Laute oder Syntax, kartiert werden", so die Forscher. (Nature, 2016; doi: 10.1038/nature17637)

(Nature, 28.04.2016 - NPO)


Nota. - Das erste, was ein Gehirn bei der Sprachverarbeitung tun muss, ist, ein Wort wiederzuerkennen: Es muss sich erinnern. Es erinnert sich... nein, nicht an den Klang, sondern an das, was gemeint ist: an die Bedeutung. Genauer gesagt: Es ist der Wortlaut, der das Gehirn - mein Gehirn: mich - an die Wortbedeutung erinnert. Der Wortlaut ist das Zeichen, die Bedeutung ist das Bezeichnete. 

Was geschehen muss, damit ein Wort durch seinen Gebrauch zum Begriff wird, steht auf einem andern Blatt. Doch was immer es sei: Auch der Begriff ist Zeichen, das Bezeichnete ist immer das Gemeinte. Gemeint wird eine Vorstellung.

Über die Entstehung der Sprache - ob zuerst die Bedeutungen das waren und ihre Mitteilung, oder ob zuerst die Laute da waren und ihre Bedeutungen erst durch den Gebrauch erworben haben - ist damit unmittelbar noch nichts erwiesen. Aber auf jeden Fall liegt es nun näher, die Priorität bei den Vorstellungen zu suchen, als bei den Lauten. Wäre es andersrum, sollten die Wörter an je einer Stelle gespeichert sein und von dort auf verschiedene Bedeutungen verweisen. Wissenschaftsökonomisch heißt das: Dieses ist die Hypothese, die auf dem Tisch des Hauses liegt; sie ist es, die gegebenenfalls durch Forschung zu widerlegen wäre. 

M. a. W., jetzt sind die Parteigänger Noam Chomskys am Zug.
JE







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Dienstag, 26. April 2016

Die Ernährung beeinflusst das Epigenom.

Zelle (Zeichnung): Fast jede Körperzelle trägt in ihrem Zellkern eine...
Fast jede Körperzelle trägt in ihrem Zellkern eine vollständige Kopie der gesamten Erbgutinformation. Je nach Funktion braucht sie davon nur einen Bruchteil. Nicht benötigte Gene werden abgeschaltet.                                                                                                                                                                                         
aus scinexx   


Fruchtzucker verändert DNA von Gehirnzellen
Genetische Umprogrammierung könnte das Risiko für Krankheiten steigern
Weitreichender Einfluss: Eine fruchtzuckerhaltige Ernährung könnte unser Erbgut verändern, wie ein Versuch mit Ratten zeigt. Demnach verändert Fructose Anlagerungen an der DNA von Gehirnzellen. Diese beeinflussen, welche Gene abgelesen werden – und können so das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen, sowie die Entstehung von Krankheiten wie Parkinson oder Depressionen fördern.

Alle unsere Zellen tragen das gleiche Erbgut. Doch je nach Gewebe und Zelltyp ist jeweils ein anderer Teil davon aktiv und wird abgelesen. Reguliert wird dieser zweite Code des Lebens über das sogenannte Epigenom – molekulare Veränderungen an der DNA, die wie ein Schalter das Ablesen der genetischen Informationen an bestimmten Stellen verhindern können. Zellen steuern so unter anderem, wann sie welche Proteine produzieren.

Umwelteinflüsse können diese epigenetische Programmierung beeinflussen. Studien belegen zum Beispiel, dass Sport blockierende Anlagerungen an der DNA von Muskelzellen löst – und dadurch mehr Gene abgelesen werden können als vorher. Auch unsere Ernährungsweise kann sich wahrscheinlich auf das Epigenom auswirken. Welchen Einfluss eine fruchtzuckerreiche Ernährung in diesem Zusammenhang hat, haben nun Wissenschaftler um Qingying Meng von der University of California in Los Angeles untersucht – und deutliche Effekte festgestellt.

Zuckerdrinks für Ratten

Für ihre Studie analysierten die Forscher, wie sich der Fruchtzucker auf das Erinnerungsvermögen von Ratten auswirkt. Dazu trainierten sie die Tiere zunächst darin, ein Labyrinth zielsicher zu durchlaufen und teilten sie anschließend nach dem Zufallsprinzip in unterschiedliche Gruppen ein. Sechs Wochen lang bekam nun eine Gruppe jeden Tag Fructose-haltiges Wasser eingeflößt und nahm dabei verhältnismäßig etwa so viel Fruchtzucker auf, wie ein Mensch, der einen Liter Limonade trinkt. Eine zweite Gruppe trank zum Vergleich täglich die gleiche Menge an Wasser ohne Fruchtzucker.

Nach sechs Wochen schickte Mengs Team die Ratten erneut durch das Labyrinth. Dabei zeigten sich erstaunliche Unterschiede: Während die Ratten aus der Gruppe ohne Fructose die zuvor gelernte Aufgabe gut meisterten, schnitten die Tiere, die sich von Wasser plus Zucker ernährt hatten, im Vergleich deutlich schlechter ab. Sie brauchten im Schnitt doppelt so lange, um den Weg aus dem Irrgarten zu finden – für die Forscher ein Hinweis darauf, dass die Fructose das Erinnerungsvermögen der Ratten beeinträchtigt hatte. 

Die gute Nachricht: Eine bestimmte ungesättigte Fettsäure scheint diesen schädlichen Einfluss des Fruchtzuckers jedoch rückgängig zu machen, wie die Wissenschaftler berichten. Das zeigten Experimente mit einer dritten Gruppe. Diese hatte Zuckerwasser getrunken, das zusätzlich mit Docosahexaensäure (DHA) versetzt worden war – und erzielte im Labyrinthtest ähnlich gute Ergebnisse wie die Gruppe, die reines Wasser bekommen hatte.

Fructose verändert Gene im Gehirn

Doch sind diese Verhaltensunterschiede wirklich auf Modifikationen der DNA zurückzuführen? Um das zu überprüfen, sequenzierte das Team über 20.000 Gene der Gehirnzellen der Ratten. Dabei identifizierten sie rund 700 Gene im Hypothalamus und etwa 200 Gene im Hippocampus des Gehirns, die durch die Fructose verändert worden waren.

Wie die Wissenschaftler herausfanden, setzt der Fruchtzucker offensichtlich einen Mechanismus in Gang, bei der der Nukleinbase Cytosin eine biochemische Gruppe hinzugefügt oder weggenommen wird. "Solche Modifikationen spielen eine wichtige Rolle als An- beziehungsweise Aus-Schalter von Genen", erklären die Forscher. 

Insbesondere auf zwei Gene namens Bgn und Fmod scheint sich der Fruchtzucker den Ergebnissen zufolge schnell auszuwirken. Sind diese einmal verändert, setzt das eine Kaskade in Gang, die letztendlich hunderte weitere Gene beeinflusst. "Bgn und Fmod könnten sich deshalb als Anknüpfungspunkt für Medikamente eignen, die Krankheiten behandeln sollen, die durch veränderte Gene im Gehirn entstehen", vermuten die Wissenschaftler.

Mit richtiger Ernährung Krankheiten vorbeugen

Eine Vielzahl der durch den Fruchtzucker modifizierten Gene sind Mengs Team zufolge mit Genen vergleichbar, die auch Menschen in sich tragen. Veränderungen an solchen Genen können unter anderem Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, Depressionen, bipolare Störungen oder andere Hirnkrankheiten verursachen.

"Essen wirkt wie ein pharmazeutischer Bestandteil, der das Gehirn beeinflusst", schließen die Forscher. Wer wenige zuckerhaltige Erfrischungsgetränke, Süßigkeiten und Nachspeisen konsumiere, könne nicht nur Übergewicht und Diabetes vorbeugen, sondern auch die Funktionsfähigkeit des Gehirns bewahren. Ob Docosahexaensäure ähnlich positiv wirkt wie eine zuckerfreie Ernährung, müsse hingegen erst noch geprüft werden. "DHA hat unseren Ergebnissen zufolge womöglich einen vorteilhaften Effekt. Ein Wundermittel gegen Krankheiten ist es aber sicher nicht." (EBioMedicine, 2016; doi: 10.1016/j.ebiom.2016.04.008)
(University of California Los Angeles, 25.04.2016 - DAL)







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Sonntag, 24. April 2016

Bewusst und unbewusst: keine Stufen, sondern Intervalle.


 
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Wie unser Gehirn Bewusstein erzeugt


Nathalie Huber   
Kommunikation
Universität Zürich

2.04.2016 20:00  
Entsteht unser Bewusstsein aus kontinuierlich verarbeiteten Sinneseindrücken? Ein neuer Ansatz von Wissenschaftlern der Universitäten Zürich und Ulm sowie der EPFL zeigt nun, wie das Gehirn Sinneseindrücke zu einem grossen Teil unbewusst verarbeitet. Gemäss ihrem Modell ist das Bewusstsein lediglich in Zeitintervallen von bis zu 400 Millisekunden aktiv, während dazwischen Lücken unbewusster Reizverarbeitung liegen. 

Das Fahrzeug vor Ihnen stoppt abrupt, und Sie bremsen, bevor Sie sich überhaupt bewusst machen, was vor sich geht. Was gemeinhin als Reflex bezeichnet wird, ist im Detail viel komplexer und Anlass einer langwährenden wissenschaftlichen Debatte: Ist das Bewusstsein ein konstanter, ununterbrochener Strom von Eindrücken oder eine Reihe einzelner Bilder, die das Gehirn zu einer sinnvollen Information zusammefügt – wie die 24 Bilder pro Sekunde einer Filmspule? Wissenschaftler der Universitäten Zürich und Ulm sowie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) stellen nun ein neues Modell vor, das erklärt, wie das Gehirn unbewusste visuelle Informationen verarbeitet. Gemäss diesem Modell ist das Bewusstsein nur in Intervallen von bis zu 400 Millisekunden aktiv – dazwischen nehmen wir nichts bewusst wahr.


Ein Bild oder ein Ton, ein Geruch oder eine Berührung folgt der anderen und liefert uns ein kontinuierliches Bild der Welt um uns herum. Soweit wir es wahrnehmen können, werden unsere Sinnesinformationen kontinuierlich in bewusste Wahrnehmung umgewandelt: Wir sehen Gegenstände, die sich flüssig bewegen, hören pausenlos Töne oder riechen und fühlen ohne Unterbrechung. Eine andere Lehrmeinung argumentiert hingegen, dass unser Gehirn die Sinnesinformationen nur in einzelnen Zeitpunkten erfasst, wie eine Kamera, die Schnappschüsse aufnimmt. Selbst angesichts der zunehmenden Belege, die gegen das «kontinuierliche» Bewusstsein sprechen, überzeugt auch die Theorie des unterbrochenen Bewusstseinsstroms nicht.

Ein zweistufiges Modell der Informationsverarbeitung

 

Frank Scharnowski von der Psychiatrischen Universitätsklinik der Universität Zürich hat gemeinsam mit Michael Herzog von der EPFL ein Modell bzw. ein «konzeptionelles» Rahmenwerk entwickelt, das erläutert, wie das Bewusstsein tatsächlich funktioniert. Die Wissenschaftler haben dazu Daten aus veröffentlichten psychologischen Experimenten und Verhaltensversuchen geprüft. Das Modell der Wissenschaftler schlägt eine zweistufige Informationsverarbeitung vor, wobei zuerst die unbewusste Stufe kommt: Das Gehirn verarbeitet bestimmte Merkmale von Gegenständen, etwa Farbe oder Form, und analysiert diese quasi kontinuierlich und unbewusst mit einer sehr hohen Zeitauflösung. Ein Tennisspieler könnte beispielsweise bereits beginnen, auf einen kommenden Ball zu reagieren, bevor er ihn überhaupt «bemerkt». Gemäss Modell gibt es während dieser unbewussten Verarbeitung keine echte zeitliche Wahrnehmung. Stattdessen unterscheidet das Gehirn zwischen Merkmalen wie Dauer oder Farbveränderung, indem es ihnen «zeitliche» Markierungen zuordnet. Nachdem die unbewusste Verarbeitung abgeschlossen ist, verwandelt das Gehirn gleichzeitig alle Merkmale für einzelne Zeitpunkte in bewusste Wahrnehmung um. So wird das «finale» Bild erzeugt, welches das Gehirn unserem Bewusstsein präsentiert.

Nur die klarsten Informationen werden repräsentiert

 

Der gesamte Prozess, vom Reiz bis zur bewussten Wahrnehmung, kann bis zu 400 Millisekunden dauern, was aus physiologischer Sicht eine beträchtliche Verzögerung bedeutet. «Das Gehirn möchte uns die akkuratesten Informationen geben, was Zeit in Anspruch nimmt», erklärt Neurowissenschaftler Frank Scharnowski. Es würde uns bloss verwirren, die unbewusste bzw. ungenaue Verarbeitung bewusst zu machen, so Frank Scharnowski. «Im Gegensatz zur langjährigen Debatte über den kontinuierlichen beziehungsweise unterbrochenen Bewusstsseinsstrom zeigt unser zweistufiges Modell umfassend, wie das Gehirn das Bewusstsein erzeugt. Ausserdem erklärt es, wie das Gehirn Zeit verarbeitet, und diese auf unsere Wahrnehmung der Welt abstimmt», so Frank Scharnowski.

Das neue Modell konzentriert sich auf die visuelle Wahrnehmung. Laut den Studienautoren könnte sich die Zeitverzögerung bei anderen Sinnesinformationen, etwa akustischen oder olfaktorischen, unterscheiden.

Hintergrund:
Die Studie wurde in Zusammenarbeit zwischen dem Brain Mind Institute der EPFL, der Universität Zürich und der Universität Ulm entwickelt und vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert.

Literatur:
Michael Herzog, Thomas Kammer, Frank Scharnowski. Time Slices: What Is the Duration of a Percept? PLoS Biology. April 12, 2016. doi: 10.1371/journal.pbio.1002433

Kontakt:
Prof. Frank Scharnowski
Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
Universität Zürich
Tel. +41 78 767 67 49
E-Mail: frank.scharnowski@uzh.ch



Weitere Informationen: http://www.media.uzh.ch
Nota. - Empirische Befunde, egal in welchem Fach, können die Schemata der Transzendentalphilosophie nicht beweisen - weil die keine Tatsachenbehauptungen sind, sondern Sinnbestimmungen. Könnten sie aber die sinnhaften Modelle der Transzendentalphilosophie widerlegen? Auch das nicht unmittelbar. Aber in Verlegenheit käme die Transzendentalphilosophie schon, wenn ihren Sinnbehauptungen der Augenschein direkt widerspräche. Da müsste sie eine Menge Dialektik aufbieten, um den schlechten Eindruck wieder zu zerstreuen.
Weshalb sage ich das an dieser Stelle? Weil aus der Sicht des Transzendentalphilosophen das bewusst-Sein kein Zustand ist, sondern ein Akt, durch den sich das Ich bewusst macht. Würde nun der Hirnforscher eine Stelle im Gehirn finden, wo das Bewusstsein "sitzt" und womöglich selbst im Schlaf noch blinzelt, oder eine Verschaltung mehrerer Zentren, die eine dauerhafte 'höhere Ebene' bildete - dann würde das noch nichts beweisen und die Befunden wären immer noch erst sinnhaft zu interpretieren; aber man müsste sich schon einiges einfallen lassen, um glaubhaft zu machen, dass 'der Augenschein trügt'.  
PS. Und dies noch zum Libet-Experiment: Nach Libet beträgt der Intervall zwischen Eintreten der Handlungsbereitschaft und der Möglichkeit, ja oder nein dazu zu sagen, 0,2 Sekunden. Nach dem vorliegenden Test beträgt die Gesamtzeit der 'bewussten' Verarbeitung der vorangegangenen unbewussten Vorgänge 0,4 Sekunden: doppelt so lang. Man könnte folgern, dass nach den ersten 0,2 Sekunden die Alternativen so klar und deutlich sind, dass sie 'repräsentiert' und mit Ja oder Nein beantwortet werden können; danach blieben 0,2 Sekunden fürs Überlegen. JE





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Mittwoch, 20. April 2016

Hirnströme sind so individuell wie der Fingerabdruck.

Verräterische Wellen: Gehirnströme können fast ebenso viel über unsere Identität preisgeben wie ein Fingerabdruck
aus scinexx

Hirnströme verraten Identität
Gehirnreaktionen sind ähnlich charakteristisch wie ein Fingerabdruck 

Hirnscan statt Fingerabdruck: Die Identität einer Person lässt sich erstaunlich genau anhand ihrer Gehirnwellen offenlegen. Das belegt nun ein Experiment von US-Forschern. Demnach sind unsere Reaktionen auf Bilder so charakteristisch, dass eine Software Personen anhand der dabei entstehenden Hirnmuster identifizieren kann – und zwar mit einer Trefferquote von 100 Prozent. Das Verfahren hat den Forschern zufolge vor allem Potenzial für Hochsicherheitsbereiche.  

Die Hirnaktivität eines Menschen verrät so einiges über ihn. Zwar können Wissenschaftler noch keine komplexen Gedanken lesen. Doch sie kommen dieser Fähigkeit immer näher. Bereits 2011 war es Forschern gelungen, anhand der Gehirnwellen geträumte Bewegungen zu erkennen. Sie konnten unterscheiden, ob der Proband gerade davon träumte, seine linke oder seine rechte Faust zu ballen. Auch gehörte und gesprochene Wörter haben Wissenschaftler schon anhand von Hirnströmen rekonstruiert.

Ein Team um Maria Ruiz Blondet von der Binghamton University geht nun noch einen Schritt weiter: Die Wissenschaftler haben Gehirnwellen nicht genutzt, um einzelne Vorgänge wie Sprechen oder Träumen abzulesen – sondern um die Identität einer Person offenzulegen.

Charakteristische Reaktionen
Ruiz Blondet und ihre Kollegen untersuchten für ihre Studie die individuellen Reaktionen von Menschen auf bestimmte optische Reize. Dafür zeigten sie 50 Probanden jeweils 500 Bilder mit unterschiedlichen Motiven – zum Beispiel ein Stück Pizza, ein Schiff, die Schauspielerin Anne Hathaway oder das Wort "Rätsel". Jedes Bild erschien dabei für lediglich eine halbe Sekunde auf einem Monitor. 
Währenddessen zeichneten die Forscher die Hirnströme der Teilnehmer mithilfe der Elektroenzephalografie (EEG) auf. Die Idee dahinter: Jede Person reagiert auf die Reihe von Bildern anders. Es müsste also ein charakteristisches Muster entstehen, anhand dessen die Probanden eindeutig erkannt werden können.
Software erkennt Probanden zu 100 Prozent


Tatsächlich zeigte sich: Die Probanden reagierten unterschiedlich genug auf die Reize, um einer speziell entwickelten Computersoftware zu einer erstaunlichen Trefferquote zu verhelfen. Hatte es sie einmal gelernt, erkannte das System die individuellen Gehirnmuster zu 100 Prozent – es konnte jede Person anhand ihrer Gehirnwellen eindeutig identifizieren. 
Dieses Ergebnis ist nach Ansicht der Forscher von großer Bedeutung. Denn bereits im vergangenen Jahr hatten sie gezeigt, dass sie anhand der Gehirnreaktion auf gesprochene Wörter eine Person aus einer Gruppe von 32 Menschen erkennen können – allerdings nur mit einer Genauigkeit von 97 Prozent. "Um solche Verfahren einmal in der Praxis anwenden zu können, will man aber natürlich zu 100 Prozent genau sein", erläutern die Wissenschaftler.
Ersatz für den Fingerabdruck? 
Ihre neue Methode funktioniert damit ähnlich gut wie ein Fingerabdruck, weshalb Ruiz Bondet und ihre Kollegen vom "Brainprint", dem Gehirnabdruck sprechen. "Je mehr Bilder man verwendet, auf die jede Person ganz unterschiedlich anspricht, umso genauer wird das Verfahren", erklären sie. Dann könnten irgendwann tatsächlich die Gehirnwellen ausreichen, um die Identität einer beliebigen Person zu verraten. Sie wären damit zum Beispiel eine Alternative zu biometrischen Identifizierungsverfahren via Fingerscans. 
Zur Anwendung könnte das "Brainprint"-Verfahren den Forschern zufolge insbesondere in Hochsicherheitsbereichen wie dem Pentagon kommen. Der Vorteil: Im Vergleich zur Identifizierung per Finger- oder Augenscan schützt die Gehirnwellenmethode besser vor Betrügern. "Fingerabdrücke können geklaut und missbraucht werden", schreiben die Wissenschaftler. Beim Gehirnabdruck sei dies schwieriger. 
Zudem kann der Betroffene im unwahrscheinlichen Fall eines "Brainprint"-Klaus seinen eigenen Abdruck gezielt manipulieren, indem er seine Reaktionen ändert – und damit einen neuen Gehirnabdruck erstellen. Ein Fingerabdruck hingegen ließe sich nicht einfach austauschen, so die Forscher. (The IEEE Transactions on Information Forensics and Security, 2016; doi: 10.1109/ISBA.2015.7126357)
(Binghamton University, 19.04.2016 - DAL)
Nota. - Zuerst einmal klingt das erschreckend: Die Maschine kann Gedanken lesen! Nach kurzem Überlegen schränken wir ein: Welche Gehirnwellen bei einem bestimmten Individuum das Wort "Hund" auslöst, kann sie wieder-erkennen, wenn sie das Individuum vorher gründlich getestet hat.
Das ist beängstigend genug. Aber man hatte uns gedroht, die Maschine könne 'objektiv' erkennen, welche Wellen für 'Hund' stehen, also bei jedem Menschen gleichermaßen. Es gäbe also eine sachliche Determination zwischen dem Wortzeichen und den dazugehörigen (Gehirnwellen und folglich) Vorstellungen; Wolf Singer hatte das als Argument gegen den freien Willen ins Feld geführt. Das ist nun glücklich vom Tisch. Kein digit determiniert 'an sich' dieses oder jenes Analogon; sondern jedes digit ist aus Freiheit und durch freie Übereinstimmung von den Subjekten als Repräsentant dieser oder jener Vorstellung 'determiniert' worden.
JE



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