Samstag, 30. Januar 2016
Nicht Benjamin Libet wurde widerlegt, sondern seine tendenziösen Interpreten.
Unter der Überschrift Endlich befreit! berichtet Joachim Müller-Jung in der heutigen FAZ über die Versuche, die der Hirnforscher John-Dylan Haynes unlängst an der Berliner Charité durchgeführt hat. "Die Libet-Experimente sind obsolet", zitiert er den Forscher.
Dies hatten die Experimete von Bejamin Libet seinerzeit ergeben: "Gut eine Sekunde, bevor Probanden sich bewusst entschlossen, ihre Hand zu bewegen, war in den Hirnstromkurven das 'Bereitschaftspotential' dafür schon zu finden." Hirnforscher aus der ganzen Welt hatten daraus eilig gefolgert, der Wille des Menschen sei doch nicht frei, weil das Gehirn seine Entscheidungen längst getroffen habe, bevor das Bewusstsein davon etwas weiß.
Das habe Haynes nun widerlegt: "Das gemessene 'Bereitschaftspotential' sei jedenfalls kein Beweis dafür, dass der Mensch seine Entscheidungen durch das Gehirn diktiert bekommt. "Diesen Determinismus gibt es nicht."
"Der Hirnforscher, der am Berliner Bernstein Center for Computational Neuroscience der Charité seit Jahren mit allen möglichen bildgebenden und elektrophysiologischen Verfahren in die Entscheidungszentren unseres Gehirns zu blicken versucht, hat schon viele "vorbereitende Hirnwellen" identifiziert. Tatsächlich hinterlassen viele Handlungen mitunter zehn Sekunden vor der Entscheidung des bewussten Ichs eine elektrische Spur in bestimmten Hirnarealen.
Der entscheidende Punkt aber ist: Nichts spricht bisher dafür, dass diese Hirnströme das Handeln steuern, dass unser freie Wille eine Illusion ist. In den jüngsten Experimenten, seinen, wie Haynes sagt, 'wichtigsten Versuchen der letzten dreißig Jahre', hat er zusammen mit Benjamin Blankertz und Matthias Schulze-Kraft von der TU Berlin gezeigt: Das ominöse Bereitschaftspotential kann quasi überstimmt werden, die vermeintlich vorbestimmte Handlung noch willentlich und aktiv gestoppt werden."
Endlich befreit soll eben heißen: Endlich befreit von Benjamin Libets Experiment. Davon kann nun aber keine Rede sein. Libet hatte nur das Bereitschaftspotenzial experimentell nachgewiesen. Deterministische Schlussfolgerungen hat er selber gar nicht daraus gezogen, sondern hat im Gegenteil vermutet, in der kurzen Spanne wischen dem Auftreten des Bereitschftspotenzials und der bewussten Entscheidung habe das Gehirn 'die Freiheit, nein zu sagen'. Aber beweisen konnte er das in seiner Versuchsandordnung nicht. Das hat John-Dylan Haynes nun, nach gut fünfunddreißig Jahren, nachgeholt. Löblich, dass die FAZ davon berichtet. Gar nicht löblich ist, dass sie an Stelle einer alten Legende eine neue Legende setzt. Nicht Benjamin Libet ist widerlegt, sondern die voreiligen Interpreten seiner bis heute gültigen Experimente.
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