Auf Pfeifsprache reagiert das Gehirn breiter
Wenn Hirten in der Türkei sich mit Pfiffen verständigen, verstehen sie nicht nur mit der linken Hirnhälfte.
Man kann mit gesprochener Sprache kommunizieren oder mit Klicklauten, mit Gebärden oder schriftlich, man kann auch pfeifen, mit den Fingern im Mund. Das ist gar nicht so selten, über 70 Ethnien tun es, man kann sich in entlegenen Regionen über Kilometer verständigen. Das taten etwa Hirten auf der Kanareninsel Gomera immer schon, sie brachten es auf das spanische Festland, im Bürgerkrieg der 1930er-Jahre bedienten sich beide Seiten dieser Kommunikationstechnik.
Eine solche hat sich auch im Norden der Türkei entwickelt, sie ist, wie alle gepfiffenen Sprachen, keine eigene Sprache, sondern übersetzt das gesprochene Türkisch in Pfeiflaute: Bis zu Entfernungen von 80, 90 Metern wird gerufen, dann wird umgestellt. Beim Mund. Im Gehirn auch? Alle anderen Kommunikationsweisen, Sprache, Gebärden etc., werden in der linken Gehirnhälfte verarbeitet, dort sitzt das Sprachzentrum. Aber beim Pfeifen geht es um Melodie und um Tonhöhen etc., die werden rechts im Gehirn verarbeitet.
Gesprochenes? Rechtes Ohr!
Also haben Onur und Monika Güntürkün, Neuroforscher an der Ruhruniversität Bochum, türkische Pfeifsprecher ins Labor gebeten und ihnen gesprochenes und gepfiffenes Türkisch vorgespielt, mit Kopfhörern, entweder ins rechte Ohr, von dort wird nach links im Gehirn gemeldet, oder ins linke, das läuft nach rechts. Kamen gesprochene Wörter von rechts, wurden sie besser verstanden, als wenn sie von links kamen. Bei gepfiffenen Wörtern war das Ohr gleichgültig: Auch wenn sie von links kamen, also rechts im Gehirn verarbeitet wurden, wurden sie so gut verstanden, wie wenn sie von rechts kamen (Current Biology 17. 8.).
Bei beiden Ohren nichts Gepfiffenes hinein ging den Forschern selbst: „Als Türke mit türkischer Muttersprache war ich schon getroffen, dass ich kein Wort verstand“, berichtet Onur: „Nicht ein Wort! Erst nach einer Woche verstand ich ein wenig, aber nur aus dem Kontext.“ In der nächsten Runde wollen die Forscher die Hirnaktivitäten feiner messen, mit EEG. Vielleicht klärt sich dann die Diskrepanz ihres Befunds zu einem früheren an Gomera-Pfeifern (Nature 433, S. 31): Dort war auch beim Pfeifen die linke Hirnhälfte aktiv, nur sie. Aber nur bei Menschen, die die Pfeifsprache verstanden. Die anderen aktivierten in ihrer Not das ganze Gehirn.
Wie auch immer, die nächste Runde muss rasch kommen, auch Hirten in entlegenen Regionen haben heute ein Handy in der Tasche. In Gomera hat man früh reagiert, seit 1999 wird die Pfeifsprache in Grundschulen unterrichtet. (jl)
Die komplexen Laute des gepfiffenen Türkisch, das immer noch in entlegenen Bergregionen der Türkei "gesprochen" wird, entstehen durch spezielle Fingerhaltungen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen