aus Die Presse, Wien, 23.02.2016
Kurzes Leben, kurze Geduld, aber wie herum?
Es gibt eine Korrelation zwischen der Länge der Telomere, die vermutlich bei der des Lebens mitspielen, und der des Geduldsfadens. Man weiß nur nicht, was Ursache ist und was Wirkung.
von Jürgen Langenbach
Ob im Supermarkt oder in der U-Bahn beim Aussteigen: Oft kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Ungeduld der Menschen mit ihrem Alter wächst. Das ist natürlich eine ganz unsystematische private Beobachtung, „anecdotal evidence“. Immerhin, die TV-Werbung hat es aufgenommen, jene für ein elektronisches Zahlungsmittel: Mit der Chipkarte in der Hand wippt an einer Kasse eine alte Dame immer drängender von einem Fuß auf den anderen, weil der junge Mann vor ihr so endlos mit dem Bargeld braucht.
Das ist natürlich eine Persiflage. Aber irgendwie haben Alter und Geduld doch etwas miteinander zu tun, und zwar ganz tief in der Biologie: in den Telomeren. Das sind die Endstücke der Chromosomen, man kann sie sich wie die Kappen an den Ende von Schnürsenkeln vorstellen.
Bei den Chromosomen schützen sie die Enden nicht nur, sie bestimmen auch ihre Lebensdauer bzw. die der jeweiligen Zelle: Bei jeder Zellteilung werden sie ein wenig kürzer, und wenn sie einen Schwellenwert überschritten haben, teilt die Zelle sich nicht mehr, diese Uhr bietet wohl Schutz gegen das Anhäufen von zu vielen Mutationen. Telomere bestimmen also über die Lebensdauer von Zellen, und viele Forscher vermuten, dass sie auch bei der Lebensdauer ganzer Organismen tun. Umgekehrt ist der Zusammenhang gesicherter: Stress verkürzt Telomere, auch und vor allem ganz früher Stress, selbst der im Uterus.
Ab wann lieber die Taube auf dem Dach?
Und Richard Ebstein (Singapur) vermutet, dass kurze Telomere auch mit der kurzen Geduld zusammen-hängen, die man eben an älteren Menschen oft beobachtet und die leicht zu überhasteten Entscheidungen führt – ökonomischen etwa –, die die ergrauenden Gesellschaften in Probleme bringen könnte. Getestet hat er das an jungen Menschen, chinesischen Studenten seiner Universität. Bei ihnen hat er die Länge der Telomere gemessen – an weißen Blutzellen: Leukozyten-Telomer-Länge (LTL) –, dann hat er ihnen einen in der Psychologie gängigen Geduldstest vorgelegt, den des Delay Discounting.
Bei dem wird erhoben, wie hoch oder gering man die Zukunft schätzt: Man bekommt Geld angeboten, 100 Dollar sofort, oder in einem Monat etwas mehr, 101 etwa oder 110 oder 120. Der Schwellenwert, ab dem man lieber die Taube auf dem Dach wählt als den Spatz in der Hand, heißt „Minimales akzeptiertes Angebot“ (MAA), und wer einen hohen MAA hat – also einen hohen Anreiz braucht –, hat nicht nur wenig Geduld, sondern auch wenig Selbstdisziplin und eine ganze Reihe weiterer Eigenschaften, die das Leben schwer machen, bis hin zu Suchtgefahr und dem Risiko psychischer Leiden.
Der Zusammenhang zeigt sich klar – kurze Telomere, kurze Geduld –, ist bei Frauen stärker, vermutlich deshalb, weil sie stärker auf Stress reagieren, darauf deutet auch, dass ihr Geduldsfaden durch Hormone moduliert wird, die Stress bzw. seine Folgen dämpfen, Östrogen und Oxytocin (Pnas 22. 2.). Allerdings zeigte sich der Zusammenhang eben als Korrelation: Es ist ganz unklar, ob kurze Telomere zu kurzer Geduld führen, oder ob umgekehrt der Stress der Ungeduld die Telomere verkürzt.
Dass alles kausal von den Telomeren ausgeht, vermutete Melissa Bateson (Newcastle) in einer früheren Studie des gleichen Phänomens an ganz anderen Lebewesen, Staren: Wenn die unter hohem Stress aufwachsen und entsprechend kurze Telomere haben, entscheiden sie rasch – mit hohem Risiko –, sie müssen überleben, können sich Geduld und Sorgen um ferne Zukunft nicht leisten (Proc. Roy. Soc. B 282: 20142140). Ob das wirklich so ist und ob es auch bei Menschen so ist, muss Ebstein vorerst offen lassen.
Nota. - Es ist noch nicht lange her, da erkannte man einen aufgeklärten Menschen mit weitem Horizont daran, dass er in Sachen menschliches Verhalten den Grundsatz vertrat: alles erworben, alles erlernt, die Sozialisation ist an allem schuld. Inzwischen macht die ernüchterte Einsicht die Runde: Das ist die Berufsideologie des Pädagogenstandes; sie träumen von der Allmacht und wollen mehr Posten.
Und nun findet die Vorstellung Gehör, dass die Physiologie auch bei der Charakterbildung und dem Verhalten des Einzelnen ihre Finger im Spiel hat. Wenn's mal nur nicht wieder ins andere Exptrem umschlägt! Die Anlagen, die einer mitbringt, sind eins; was er dann daraus macht, ist ganz was anderes.
JE
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