Donnerstag, 31. August 2017

Fake science.


H. Bosch
 aus derStandard, 29. August 2017, 19:01
 
US-Experte: 
Zwei Drittel der biowissenschaftlichen Studien nicht reproduzierbar
John Ioannidis fordert auf Kongress in Wien höheren Signifikanzwert als erste Gegenmaßnahme

Wien – Medizin, Biologie und viele andere "Life Sciences" umgeben sich gern mit dem Nimbus einer abgesicherten exakten Wissenschaft. Doch sehr oft sollte es besser heißen: "Nix is fix". Dies geht aus dem Keynote-Vortrag des in Fachkreisen bekannten US-Biostatistikers John Ioannidis (Stanford University) beim Internationalen Biometrie- und Biopharmazie-Statistik-Kongress (CEN ISBS) in Wien hervor.

"Das Leben quantifizieren. Die Forschung voranbringen. Entscheidungen ermöglichen", lautet das Motto der Veranstaltung mit knapp 700 Experten im Wiener AKH (bis 1. September). Doch so klar und einfach ist die Sache nicht. Kongress-Co-Organisator Martin Posch, Professor für Medizinische Statistik an der MedUni Wien, entschuldigte sich Dienstagvormittag in seinem Eröffnungsstatement ironisch für die simplen Balkengrafiken, mit denen er die thematische Verteilung der rund 400 Vorträge für das Auditorium darzustellen versuchte.

Herausforderungen der Biostatistik

Genau das ist das Problem. Mathematische Modelle, Kurven und Grafiken verleiten allein schon durch ihre Bildlichkeit zu dem Schluss, "alles sei eine ausgemachte Sache", Forschungsergebnisse präzise, klar und eindeutig. MedUni-Wien-Rektor Markus Müller, selbst klinischer Pharmakologe und somit notwendigerweise auch Statistik-firm, sagte: "Die Biostatistik ist mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert." Das seien die Reproduzierbarkeit, wenige Patienten (in einer Studie; Anm.), seltene Erkrankungen und ähnliche Randbedingungen.

Zu den meistzitierten Wissenschaftern auf diesem Gebiet gehört John Ioannidis (Stanford University/USA). Er hat mit seiner im Jahr 2005 im medizinischen Fachjournal "PLoS Medicine" veröffentlichten, kontroversiellen Arbeit "Warum die meisten publizierten Forschungsergebnisse falsch sind" eine breite Diskussion über die Reproduzierbarkeit und den Wert der herkömmlichen empirischen Forschung ausgelöst.

Nur ein Drittel reproduzierbar

"Ist es Wissenschaft oder Fake News? Wir haben da ein Problem", sagte Ioannidis. Bei der Wiederholung von Experimenten in den Life Sciences, also Biowissenschaften, hätten fast regelmäßig die erzielten Ergebnisse deutlich von den Resultaten der ursprünglichen wissenschaftlichen Arbeit unterschieden. Der zunächst so eindeutig erscheinende Befund weichte sich auf. "Zwei Drittel der Studien und Ergebnisse ließen sich nicht reproduzieren", sagte Ioannidis.

Dabei sind die Konsequenzen schließlich anzuzweifelnder Studien gerade in der Medizin womöglich von enormer Bedeutung: Immerhin entscheiden sie, ob zum Beispiel neue Wirkstoffe zu Arzneimitteln weiterentwickelt werden, alte Substanzen vielleicht in neuen Anwendungsgebieten erprobt werden. Der US-Forscher nannte ein Beispiel: Statistisch an Labormäusen eindeutig belegt worden ist, dass das Uralt-Medikament Cimetidin, welches die Magensäureproduktion hemmt, einen Krebs-verhindernden Effekt haben sollte. "Aber viele Millionen Menschen haben Cimetidin eingenommen. Da hätte man doch eine solche Wirkung sehen müssen", sagte Ioannidis.

Statistische Signifikanz neu definieren

Der Wissenschafter und sein Team analysierten 50 Millionen Zusammenfassungen (Abstracts) von wissenschaftlichen Studien aus Medizin und Life Sciences. Sie stießen auf Erstaunliches: "96 Prozent der Studien ergaben ein statistisch signifikantes Ergebnis." Im Grunde genommen sei das extrem unwahrscheinlich und spreche gegen das bisher verwendete Konzept der statistischen Signifikanz, die traditionell dann gegeben ist, wenn die Chance, dass ein Resultat auf Zufall beruht, unter fünf Prozent liegt (sogenannter p-Wert kleiner 0,05). "Vielleicht sollten wir als ersten Damm gegen Fehler die statistische Signifikanz neu definieren und einen p-Wert von 0,005 als Erfordernis festsetzen", sagte Ioannidis. Das müsste bereits 90 Prozent der bisherigen Fehlerquoten beseitigen.

Freilich, vom Ansatz her ist es mit einer solchen einfachen Festlegung nicht getan. Der US-Wissenschafter listete häufig vorliegende Rahmenbedingungen in der Wissenschaft auf, die leicht zu nicht reproduzierbaren oder falschen Ergebnissen führen: "Ein Wissenschafter, der in einem 'Silo' arbeitet, geringe Probanden/Probenanzahl, eine Hypothese für eine Studie, die besonders leicht zu einem bestimmten Ergebnis führt, Analysen erst nach den Experimenten, der p-Wert von 0,05, wissenschaftliches Arbeiten ohne Datenaustausch und ohne Wiederholung der Experimente." Man müsse bei alldem auch den einzelnen Wissenschafter und Menschen einrechnen, der mit begrenzten Ressourcen auskommen muss und es gar nicht gerne sieht, wenn seine Studie kein verwertbares Ergebnis bringt. (APA, 29.8.2017)


Nota. - Wissenschaft ist öffentliches Wissen; nämlich indem es öffentlich wurde, unterliegt ipso facto allgemeiner Kritik, und die trennt sie Spreu vom Weizen. - Trennt sie sie? Natürlich nur, wenn die veröffentlichten Experimente von andern Forschern nachgestellt und gegebenenfalls widerlegt werden; und dann ist alles in Ordnung.

Aber daran hapert es eben: Für eigene Forschungen werden - mühsam genug - Fördergelder eingeworben. Doch wer investiert schon in eine Forschung, die gar keine eigenen Resultate erbringen, sondern nur anderer Leute Versuche überprüfen soll? Nicht einmal die Fachjournale wollen sie publizieren.

In den Sozialwissenschaften, namentlich der Psychologie, ist das Problem bekannt. Dass es aber in der naturwissenschaftlichen Biologie nicht minder akut ist, lässt es einem kalt den Rücken runterlaufen.
JE


Montag, 14. August 2017

Was geht bei Halluzinationen im Gehirn vor?

Grünewald, aus Isenheimer Altar
aus scinexx

Blick ins Gehirn bei Halluzinationen
Hirnaktivität verrät, warum einige Menschen leichter Stimmen hören als andere 

Was macht einige Menschen anfälliger für Halluzinationen als andere? Eine erste Antwort hat nun ein Experiment im Hirnscanner geliefert. Es enthüllt: Bei Menschen, die häufig nichtexistente Stimmen hören, ist das Kleinhirn weniger aktiv. Dieses jedoch wirkt als "Wächter" gegen falsche Wahrnehmungen. Ist diese Prüfung geschwächt, können überstarke Erwartungen zu Halluzinationen führen, wie die Forscher im Fachmagazin "Science" berichten. 

Sie gaukeln uns geisterhafte Erscheinungen vor, lassen uns Stimmen hören oder sogar Düfte riechen, die in Wirklichkeit nicht da sind: Bei einer Halluzination nehmen wir Dinge wahr, die nur in unserem Kopf existieren. Möglich wird dies, weil unser Gehirn Reize nicht einfach naturgetreu wiedergibt. Stattdessen interpretiert es sie und gleicht sie mit unseren Erwartungen, Vorerfahrungen und unserem Wissen ab. Erst dann gelangt die Wahrnehmung in unser Bewusstsein.

Bei einer Halluzination verselbstständigt sich diese Kette der Verarbeitungsschritte – sie läuft ab, ohne dass ein Reizsignal sie angestoßen hat. Dieser "Leerlauf" kommt häufig bei Menschen mit Psychosen oder hohem Fieber vor, lässt sich aber auch bei Gesunden provozieren, beispielsweise durch länger anhaltenden Reizentzug.

Test mit Schachbrett und Ton

Aber warum neigen einige Menschen eher zu Halluzinationen als andere? Was läuft in ihrem Gehirn anders? Um das herauszufinden, haben Albert Powers von der Yale University und seine Kollegen vier verschiedenen Probandengruppen zu einem Experiment eingeladen: Gesunde Menschen, die regelmäßig Stimmen hören und stimmenhörende Psychotiker, sowie Gesunde und Psychotiker, die noch nie akustische Halluzinationen hatten.


Alle Teilnehmer blickten auf einen Bildschirm, auf dem jeweils kurz ein Schachbrett aufblitzte. Parallel dazu erklang ein eine Sekunde langer Ton – aber nicht immer: Anfangs war das Schachbrett immer vom Ton begleitet, später war der Ton mal leiser und mal gar nicht vorhanden. Immer wenn die Probanden glaubten, den Ton zu hören, sollten sie einen Knopf drücken – umso länger, je sicherer sie sich waren. Während des Versuchs zeichneten die Forscher die Hirnaktivität der Probanden mittels funktioneller Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) auf.


(Science, 14.08.2017 - NPO)


Nota. - Halluzinationen gehren gottlob zu den ungewöhnlichen Erscheinungen. Aber unnatürlich oder gar übernatürlich sind sie nicht. Sie können mit den bildgebenden Verfahren der Hirnforschung beobachtet und physiologisch begründet werden, s. o.. 

Bei der klassischen Konditionierung - "verstärkte Taube" - tritt qua Reizgeneralisierung ein physischer Sti- mulus an die Stelle des andern. Das ist ein alter Hut und hat nie Skandal gemacht, weil für den Augenschein das Ursache-Wirkung-Verhältnis gewahrt blieb. Hier aber ist es nicht ein anderer physischer Reiz, der ur- sächlich wird, sondern lediglich seine Bedeutung: eine Vorstellung, ein Bild. 

Naturwissenschaftliche Befunde können Fragen der Philosophie so wenig beantworten, wie philosophische Sätze die Naturwissenschaften regulieren können. Mit andern Worten - so fest das realistische Vorurteil auch in die Köpfe der Denker eingeprägt sein mag: Die Tatsachenbefunde der Naturwissenschaft besagen etwas anderes.

Der springende Punkt: Unser Sehvermögen ist nicht ein Sinn wie die andern.
JE





Sonntag, 13. August 2017

Regulärer Zufall.

aus Die Presse, Wien,


 
Schimpansen können "Schere, Stein, Papier" lernen
Die Tiere brauchen zwar weit länger als Kindergartenkinder zum Lernen, doch auch die Menschenaffen meistern das Spiel - wohlgemerkt nach 307 Versuchen.

Auch Schimpansen können das Spiel "Schere, Stein, Papier" lernen. Ungeachtet von Alter oder Geschlecht begreift der nächste Verwandte des Menschen den kreuzweisen Zusammenhang der Handsymbole, ergab eine Studie unter Leitung von Jie Gao von der Kyoto Universität und der Peking Universität.

Die Tiere brauchten zwar weit länger als Kindergartenkinder zum Lernen, meisterten das Spiel am Ende aber ähnlich gut, berichten die Forscher im Fachjournal "Primaten". In dem Spiel schlägt das Symbol für Schere das Papier, das sich schneiden lässt, wickelt das Papier den Stein ein und macht der Stein die Schere stumpf. Kein Element hat damit einen gleichbleibenden Wert. Diese nicht-linearen Zusammenhänge zu erkennen, erfordert fortgeschrittene geistige Fähigkeiten und hilft, komplexe Beziehungen und Probleme zu lösen sowie bekanntes Wissen zu ergänzen.

An dem Versuch hatten sieben Schimpansen im Forschungszentrum für Primaten an der Kyoto Universität teilgenommen. In einer Box wurden sie trainiert, auf einem Computer-Touchscreen die jeweils stärkere Option auszuwählen - angefangen mit Papier und Stein, dann Stein und Schere und schließlich die Kombination von Schere und Papier.

Leistung von Schimpansen mit der Vierjähriger vergleichbar
Sobald sie die Bedeutung erfasst hatten, wurden ihnen die Paare in zufälliger Abfolge präsentiert. Fünf der sieben Schimpansen erfüllten die Aufgabe nach durchschnittlich 307 Sitzungen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Affen wiederkehrende Muster erlernen können. Allerdings brauchten sie bedeutend länger, um auch noch die dritte Option mit Schere und Papier zu begreifen und damit die Komplexität abzurunden.

Den Lernprozess verglichen die Wissenschafter mit 38 Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Die Kinder hatten wenig Probleme, das Spiel zu begreifen. Es gelang ihnen durchschnittlich in fünf Sitzungen, wobei es altersabhängig deutliche Unterschiede gab. Je älter die Kinder waren, umso genauer wurden sie. Die Kinder, die über vier Jahre alt waren, spielten überlegter und weniger auf Glück setzend.

"Das zeigt, dass Kinder im Alter von etwa vier Jahren die Fähigkeit erwerben, wiederkehrende Beziehungen zu erlernen und kreuzweise Problemmuster aufzulösen", erklärte Gao. Die Leistung der Schimpansen lasse sich mit der Vierjähriger vergleichen.
(APA/dpa)


Nota. - Die Meldung selbst ist, nach allem, was wir über tierische Intelligenz inzwischen wissen, nicht mehr überraschend. Bemerkenswert sind aber die 307 Versuche. Ohne Labor und Verhaltensforscher hätten die Affen sie nicht unternommen. Es mögen in jedem Individuum viele verborgene Reserven schlummern. Die müssen aber die Gelegenheit finden, sich zu aktualisieren. Manchmal reicht ein Zufall. In diesem Ex- periment mussten es 307 "Zufälle" sein, die von menschlicher Intelligenz vorausgeplant waren.
JE 


Mittwoch, 9. August 2017

Neue Theorie zur Dunklen Materie.


aus derStandard.at, 9. August 2017, 07:00


Forscher stellen neue Theorie zur Entstehung von Dunkler Materie vor
Hypothetische Materie könnte zu Beginn des Universums instabil gewesen sein. Neues Modell lässt sich mit Teilchenbeschleunigern testen.

Mainz – Ein internationales Team von Astrophysikern hat in der vergangenen Woche die bisher genaueste und umfassendste Karte der Verteilung von Dunkler Materie im Universum vorgestellt. In mehreren Studien bestätigten die Wissenschafter bisherige Annahmen, wonach der Kosmos von vier Prozent "herkömmlicher" Materie, 26 Prozent Dunkler Materie und 70 Prozent Dunkler Energie erfüllt ist.

Während sich über die Natur der Dunklen Energie bisher nur sehr wenig sagen lässt (außer, dass sie für die beschleunigte Ausdehnung des Universum verantwortlich ist), gibt es zur Existenz der Dunklen Materie viele Theorien und Experimente. Fakt scheint zu sein, dass dieser bisher unentdeckte mysteriöse Stoff in großem Maßstab enormen gravitativen Einfluss ausübt. So lässt Dunkle Materie etwa die äußeren Ränder naher Galaxien schneller rotieren, als man es aufgrund der dort beobachtbaren Sterne, Gas- und Staubwolken erwarten würde.

Alternative zu den WIMPs

Wissenschafter der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben nun einen neuen Vorschlag unterbreitet, wie die Bildung Dunkler Materie im frühen Universum abgelaufen sein könnte. Das neue Modell stellt eine Alternative zum WIMP-Paradigma dar, das in der aktuellen Forschung über verschiedene Experimente verfolgt wird.

Derzeit wird angenommen, dass es sich bei der Dunklen Materie um ein kosmologisches Relikt handelt, das seit seiner Entstehung im Wesentlichen stabil geblieben ist. "Wir haben diese Annahme auf den Prüfstand gestellt und zeigen, dass Dunkle Materie zu Beginn des Universums instabil gewesen sein könnte", erklärt Michael Baker von der Theoriegruppe am Institut für Physik der JGU. Diese Instabilität stellt wiederum einen neuen Mechanismus dar, der die beobachtete Menge Dunkler Materie im Kosmos erklärt.

Gebrochene Symmetrie

Die Stabilität der Dunklen Materie wird normalerweise mit einem Symmetrieprinzip erklärt. In ihrer Studie in den "Physical Review Letters" zeigen Baker und Joachim Kopp dagegen, dass das Universum auch durch eine Phase gegangen sein könnte, in der die Symmetrie gebrochen war. Dies würde einen Zerfall des hypothetischen Dunkle-Materie-Teilchens möglich machen. Während des elektroschwachen Phasenübergangs wurde die Symmetrie wieder hergestellt, die Dunkle Materie damit stabilisiert und ihr Vorkommen im All bis zum heutigen Tag fixiert.

Baker und Kopp führen damit ein neues Prinzip in die Diskussion um die Natur der Dunklen Materie ein, das eine Alternative zu der verbreiteten WIMP-Theorie darstellt. WIMPs, vom englischen Weakly Interacting Massive Particles, also schwach wechselwirkende massereiche Teilchen, galten bislang als hoffnungsvolle Kandidaten bei der Suche nach den Bestandteilen der Dunklen Materie. Nach ihnen wird insbesondere in gut abgeschirmten Untergrunddetektoren gesucht. "Die Abwesenheit von überzeugenden Signalen motivierte uns, nach Alternativen zum WIMP-Paradigma zu suchen", so Kopp.

Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie

Der jetzt vorgestellte Mechanismus könnte auch, so die beiden Physiker, in Verbindung zu dem offensichtlichen Ungleichgewicht zwischen Materie und Antimaterie im Kosmos gebracht werden, wie auch zu Signalen, die bei den anstehenden Experimenten zu Gravitationswellen aufkommen. Baker und Kopp sehen auch Möglichkeiten, wie das neue Prinzip am Teilchenbeschleuniger LHC und anderen Einrichtungen nachgewiesen werden könnte. (red, 8.8.2017)


Abstract
arXiv.org: "Dark Matter Decay between Phase Transitions at the Weak Scale."




Nota. - Die Vorstellung, dass das Universum aus drei verschiedenen Grundsubstanzen in unterschiedlichem und gar wechselndem Verhältnis zueinander besteht, passt intuitiv nicht gerade für die Annahme, dass eine (eine) Gesetzlichkeit dahinter steckte.
JE



Dienstag, 1. August 2017

Wie findet der Vogel seine beste Tarnung heraus?

aus diePresse.at, 1.8.2017                                 In der Mitte eine Nachtschwalbe, die eine  perfekte Umgebung gefunden hat

Wo ist das Vogerl?
Die Camouflage bei Vögeln ist individueller als bisher angenommen. Unklar ist, wie die Tiere wissen, wo sie am wenigsten auffallen

Cambridge/Wien – Um sich vor ihren Feinden zu schützen, haben viele Tiere eine perfekte Tarnfärbung: Mit ihrer speziellen Musterung verschmelzen sie geradezu mit der Umgebung. Viele Vogelarten – zumal solche, die am Boden brüten – haben es bei der Camouflage zur Meisterschaft gebracht.

Ein Forscherteam um Claire Spottiswoode (Uni Cambridge) hat nun die Tarnstrategien von Nachtschwalben, Rennvögel und Regenpfeifern in Sambia untersucht und kam im Fachmagazin "Nature Ecology & Evolution" zu einem erstaunlichen Resultat: Die Camouflage der Tiere ist individueller als bisher gedacht.

"Wir neigen dazu, bei der Tarnung von Tieren an eine allmähliche evolutionäre Anpassung der Arten zu denken", so Spottiswoode. Tatsächlich aber scheinen die Vögel, die alle etwas anders aussehen, jenen für sie optimalen Nistplatz zu finden. Wie sie das machen, ist nach wie vor unklar. Die Forscher vermuten, dass die Vögel auf irgendeine Weise über ihr eigenes Aussehen und das ihrer Eier Bescheid "wissen".


Zum Vergleich eine etwas anders gefärbte Nachtschwalbe, die ebenfalls den für sie idealen Brutort wählte.

Für Spottiswoode würde die neue Studie dennoch zum besseren Verständnis dessen beitragen, wie Verhalten und Aussehen zusammenhängen. Und sie bedankt sich schließlich auch noch bei den Nest-Findern aus Sambia, die diese Untersuchung erst möglich machten, weil sie hunderte von perfekt getarnte Nester aufspürten, die von den Forschern eher übersehen worden wären. (tasch.) 


Abstract
Nature Ecology & Evolution: "Improvement of individual camouflage through background choice in ground-nesting birds"


Nota. - Die Bedeutung der Untersuchung kann man kaum Überschätzen: Nicht nur müssen die Vögel einen präzisen Überblick über ihre Umgebung haben, sondern auch über eine genaues Bild von sich selbst verfügen - und schließlich dieses in jenen einpassen. Sie müssen in einem spezifischen Sinn re- flektieren.
JE